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Die Azoren-Insel Faial: Erdbeben, Vulkane und Emigranten

Ralph Roger Glöcklers neu aufgelegter Reisebericht von 1997

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 30.05.08

 

Europas Außenposten im Atlantik ist vulkanischen Ursprungs: die Ilhas dos Açores, die Azoren. Die neun Inseln sind aus einer submarinen Hochebene erwachsen, einer Verdickung der Erdkruste, dem sogenannten Hochplateau der Azoren. Dessen höchste Aufwölbung erreicht fast neun Kilometer über dem Meeresboden: Es ist die Azoren-Insel Pico mit dem höchsten Berg Portugals, einem atlantischen Fujiyama von 2.345 Meter Höhe, einem gefährlichen Berg. Denn unter Pico und der Nachbarinsel Faial befinden sich Magmakammern, die Reiche des Gottes Vulcanus, der die Gluten der Tiefe schürt.

Doch damit nicht genug. Die Azoren liegen in einer Zone verstärkter seismischer Aktivität. Verantwortlich hierfür sind plattentektonische Prozesse in der Lithosphäre, ausgelöst durch die Dynamik zweier Mega-Strukturen: des Mittelatlantischen Rückens und des Azoren-Gibraltar-Bruchs. Vor allem die Azoren-Insel Faial ist gekennzeichnet von den Folgen zahlreicher Erdbeben. 1957 erschütterte eine submarine Eruption die Insel. Wochenlang bebte die Erde an der Ponta dos Capelinhos. Vor der Küste baute sich ein Vulkan auf, der Leuchtturm von Capelinhos verschwand unter Lavamassen, Aschefontänen bedeckten Faial.

Der Literaturwissenschaftler und Ethnologe Ralph Roger Glöckler begab sich auf Spurensuche. In „Vulkanische Reise. Eine Azoren-Saga“ beschreibt er die Folgen der Jahre 1957 und 1958. Er sprach mit Alteingesessenen, folgte den Auswanderern nach New Bedford, Massachusetts und durchwanderte die Lavafelder im Nordwesten der Insel. Er besuchte das Observatorium auf dem Monte das Mocas, las die Aufzeichnungen des Tomaz Pacheco, des Leuchtturmwärters von Capelinhos, und verabredete sich mit Professor José Ávila Martins im Departamento de Oceanografia e Pescas zu einem Gespräch über Lithosphärenplatten, Konvektionsströme und Hotspot-Vulkanismus.

Glöckler bereiste Faial in den 1990er-Jahren während einer mehrwöchigen „crise sísmica“, im Gepäck Herman Melvilles „Moby Dick“ und die „Briefe“ von Plinius dem Jüngeren, die ersten, schriftlich überlieferten Berichte über einen Vulkanausbruch (dem des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr.). „Ich wollte wissen, wie es ist“, schreibt Glöckler, und wie es begann, damals am 27. September 1957, bei den ersten Erdstößen, als das Meer westlich des Leuchtturms von Capelinhos zu brodeln anfing und die Bevölkerung aufschreckte. Am 29. des Monats hatten sich die Befürchtungen bewahrheitet: Vor der Küste ereigneten sich riesige Explosionen. Der submarine Schlot spuckte ein Jahr lang, über 30 Mio. Tonnen Lava und Asche ergossen sich aus dem Erdinneren.

Nur wenige Minuten vom Leuchtturm entfernt liegt der alte Walfängerhafen Porto Comprido. Wale sind vor den Azoren seit jeher auf der Durchreise. Aufgrund der vom Vulkanismus gestalteten Unterwasser-Topografie finden sie hier jede Menge Nahrung: Fische, Krebse und Tintenfische. Früher erwartete sie auch der Tod. Bis Anfang der 1980er wurde der Pottwal bejagt. Walfischöl, Amber und Knochen waren begehrt und versprachen hohe Erlöse. Bereits im 19. Jahrhundert waren die Männer von Faial und Pico gesuchte Walfänger (Herman Melville berichtet in „Moby Dick“, 1851, von den azoreanischen „Whalers“) sie galten als tapfer, ehrlich und bescheiden, wurden gern angeheuert von US-amerikanischen Schiffen.

Die Verbindungen zu den Vereinigten Staaten sind eng. Fast jeder auf Faial hat einen oder mehrere Verwandte in der Neuen Welt, allein zwischen 1958 und 1960 suchten über 2.500 Familien einen Neuanfang in Nordamerika. So auch der jetzige Unternehmer John/João in New Bedford, ein azoreanischer Emigrant aus Porto Comprido. Dort verbrachte er mit seinen Eltern die Sommermonate. Sein Vater war Harpunier auf einer der schlanken, selbst in Stürmen wendigen Canoas, die rausfuhren zur Pottwaljagd, und Fischer, wenn die Wale auf sich warten ließen. Dann brach 1957 der Vulkan aus, verschüttete den Nordwesten der Insel und die glücklichen Tage von Joãos Kindheit.

Einige Emigranten besuchen ihre Heimat, zum Beispiel zu Pfingsten, zum Fest des Divino Espirito Santo. Dann ziehen prächtige Prozessionen mit damastbestickten Standarten durch die Ortschaften der Insel. In rote Umhänge gehüllte Musiker gehen dem Imperador voraus. Er wird das Festessen ausrichten, mit Wein und Massa Sovada, einem leicht gesüßten Brot, und der Sopa do Espirito Santo, einer aromatischen Fleischsuppe. Die Ursprünge des Kultes liegen im Dunklen. Belegt ist jedoch, dass die Vulkankatastrophe des Jahres 1672 ihn neu belebte. Seither wird jährlich der Divino gefeiert, damit er den Menschen von Faial Schutz vor Hunger, Krankheit, Erdbeben und dem Ausbruch der Vulkane gewähre.

Erdbeben und Naturkatastrophen sind Urgewalten, sie zerstören und schaffen neues Leben. Glöckler fährt in das Mistério, einen undurchdringlichen Wald von betörendem Duft. Üppig wuchernde Vegetation wächst auf den Lavamassen des Ausbruchs von 1672. Die Verwandlung glühend heißer Lava in duftende Wälder war für die Bewohner der Insel ein Wunder, ein Mistério. Haben sie es verstanden? Während in den Dörfern die Prozessionen beginnen, blickt Ralph Roger Glöckler inmitten des Mistério auf rostende Autowracks, ausgelaufene Batterien, Giftmüllfässer und den kokelnden Plastikmüll einer Müllaufbereitungsanlage, errichtet mit Geldern der Europäischen Gemeinschaft.

Nachtrag: 1998, ein Jahr nach Erstveröffentlichung der „Vulkanischen Reise“, zerstörte ein Erdbeben der Stärke 6,2 mehrere Dörfer auf Faial. 3.00o Häuser wurden beschädigt, über 1.000 zerstört. Acht Menschen starben, viele wurden obdachlos. Noch Jahre später lebten einige Familien in aufgestellten Wohncontainern.

Literaturangaben:
GLÖCKLER, RALPH ROGER: Vulkanische Reise. Eine Azoren-Saga. Elfenbein Verlag, Berlin 2008. 189 S., 19 €.

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Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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