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Aufklärung über Homosexualität

Zwischen Aufklärung und Boulevardjournalismus

© Die Berliner Literaturkritik, 01.09.10

Von Kerstin Fritzsche

Das Berliner Archiv der Jugendkulturen hat vor knapp vier Jahren, zum 50-jährigen Geburtstag von BRAVO, Europas größte Jugendzeitschrift untersucht. Nun widmet sich ein neuer Band explizit der Darstellung von Lesben und Schwulen.

Hella von Sinnen ist schuld. Die Frau, die viel für die Sichtbarkeit von Lesben getan hat, hat 2006 anlässlich des 50. Geburtstags von BRAVO dem Jugendmagazin gedankt. Das Beratungsteam habe vor allem zum Thema Homosexualität seit Jahren eine offene, akzeptierende Haltung an den Tag gelegt.

Stimmt das? Kaum, dass Europas größte Jugendzeitschrift den Veröffentlichungsboom rund um den 50. Geburtstag verdaut hat, widmet das Archiv der Jugendkulturen sich erneut einer wissenschaftlichen Analyse der BRAVO. Dieses Mal hat der Diplom-Bibliothekar Erwin In het Panhuis unter die Lupe genommen, wie das umstrittene Magazin mit lesbisch-schwulen Themen umgegangen ist. In vier Teilen versucht er dabei zu erschließen, inwiefern die BRAVO tatsächlich ihrem selbst gewählten Auftrag als Sexualaufklärer gerecht wurde, wie sie mit dem Thema HIV/Aids umging und wie selbstverständlich Lesbisch- und Schwulsein in den populären Bereichen Film und Musik behandelt wurde. Den Abschluss bildet der Versuch, die BRAVO hier thematisch mit anderen Jugendzeitschriften zu vergleichen sowie ein paar persönliche Erinnerungen von beteiligten Jugendlichen sowie Dr. Martin Goldstein einfließen zu lassen, dem Mann, der lange Zeit als „Dr. Sommer“ die Personifizierung der BRAVO-Sexualaufklärung war.

Zwar schließt In het Panhuis mit seinem Buch eine wissenschaftliche Lücke, denn unter anderem hat er für seine Analyse allein rund 2700 Einzelhefte der BRAVO ausgewertet. Andererseits sind seine Ergebnisse nicht neu und kaum überraschend. Wie viele Zeitschriften und Zeitungen ist auch die BRAVO in erster Linie ein Kind ihrer Zeit und spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen. So war sie in der Anfangszeit ihrer Beratung durch Dr. Vollmer alias der Erfolgsautorin Marie Louise Fischer von sehr vorsichtigen bis homophoben Leserbrief-Antworten und Reportagen geprägt, die zum einen den Zeitgeist des noch existierenden Paragrafen 175 atmeten, zum anderen, vor allem hinsichtlich der lesbischen Sexualidentität, falsche Erziehung, ein gestörtes Elternhaus und eine „Übergangsphase“ zur „richtigen Geschlechterrolle“ als Gründe für verunsichernde gleichgeschlechtliche Erfahrungen verantwortlich machten.

Dies prägte auch noch die erste Beratungsphase von Dr. Sommer alias Dr. Martin Goldstein, der von 1969 bis 1984 die BRAVO-Aufklärung übernahm. Wie er in einem Interview bekennt, musste der Psychotherapeut dabei selbst im Laufe der Jahre einiges im Umgang mit Lesben und Schwulen lernen, so dass die BRAVO bis zu seinem Ausscheiden immer offener wurde, etwa Homosexualität auch in „regulären“ Serien oder Foto-Love-Stories darstellte und weiterführende Infos über die Szene und Beratungsmöglichkeiten gab. Höhepunkt dieses Engagements dürfte die Regenbogenseite gewesen sein, die 2002-2003 erschien. Bemerkenswert ist dabei, dass Mädchen durchweg bis in die 90er ihre gefestigte Neigung „später und seltener zugestanden wurde“, schreibt In het Panhuis. Bei der Betrachtung der in der BRAVO behandelten lesbisch-schwulen Filme und Musiker handelt es sich eher um eine Auflistung, es fehlt die Beschäftigung damit, wie die Besprechungen angekommen sind. Leider hat sich da bei den lesbischen Filmen auch ein handfester Fehler eingeschlichen: Der Filmklassiker „Mädchen in Uniform“ mit Lilli Palmer und Romy Schneider ist nicht von 1932, sondern aus den 50ern und ein Remake des Originals unter der Regie von Leotine Sagan von 1931. Zu jener Zeit ging es tatsächlich weniger um den lesbischen Subtext als um das Aufrechterhalten der „preußischen Ordnung“. Der Film hatte also klare gesellschaftsordnende Ziele. Deswegen wurde er wahrscheinlich nicht als das rezipiert, was er auch war, eben auch von der BRAVO nicht.

Mutige, eigenständige Akzente setzte die BRAVO laut In het Panhuis nur selten. Als einigermaßen bemerkenswert stellt er etwa eine Titelgeschichte von 1992 heraus, bei der in Folge von Rosa von Praunheims Outing anderer schwuler und lesbischer Prominenter eine breite Debatte darüber angestoßen wurde, ob man Stars outen darf und sollte oder nicht. Bei all diesen Artikeln ist jedoch unklar, ob das BRAVO-Redaktionsteam hier Mut bewies und Zeichen setzte oder nicht doch eher auf ein ohnehin reißerisches gesellschaftliches Thema seine Geschichte noch oben drauf setzte, um Auflage zu machen und vielleicht auch zu provozieren. Auch der Autor selbst scheint hier keine eindeutige Position zu vertreten, macht er doch genauso oft auch auf spektakuläre schwul-lesbische Themen und Ereignisse aufmerksam, die keine Erwähnung in der BRAVO fanden.

Abschließend stellt er dem Jugendmagazin ein zwiespältiges Zeugnis aus. Die BRAVO übernahm und übernimmt mit ihrer Sexualaufklärung auch für lesbische und schwule Jugendliche eine wichtige Funktion, die in ihrer Pubertät sozusagen doppelt Probleme mit der Identitätsfindung haben. Die Darstellung von schwulen und lesbischen Stars jedoch erfolge wohl eher aus sensationslüsternen, verkaufsfördernden Gründen denn aus einem tiefgründigen, journalistischen Interesse.

Hier würde man sich von der Analyse ein bisschen mehr Tiefe erwarten, vor allem hinsichtlich der immer währenden Frage, welche Inhalte der Jugendzeitschrift wirklich echt sind und welche manipuliert oder geschönt und was das mit Beteiligten und RezipientInnen macht. Dies klingt hier nur am Rande an, wie beispielsweise in dem Interview mit Sven aus Köln, der sich Jahre nach Veröffentlichung eines BRAVO-Artikels über seine Beziehung mit seinem Partner nochmals befragen ließ und sagt, dass weite Teile der damaligen Aussagen frei erfunden und dazwischen geschoben waren. Ob die BRAVO also wirklich der Identitätsfindung von Lesben und Schwulen diente, lässt sich letztendlich nur subjektiv für jeden von uns selbst beantworten, wenn wir entweder verschämt oder hocherfreut an die Zeiten zurückdenken, wo wir das Magazin heimlich mit Taschenlampe unter der Bettdecke lasen und uns auch eine erlösende Antwort auf die Frage, ob die Schwärmerei für die beste Freundin gesund ist, erwarteten.

Literaturangabe:

IN HET PANHUIS, ERWIN: Aufklärung und Aufregung. 50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO. Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2010. 194 S., 28 €.

Weblink:

Archiv der Jugendkulturen Verlag

 

 


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