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Die Bundesrepublik in frühen Fotos: Jupp Darchingers Zeitreise

Der Band hat die Hauptkapitel „Familienleben. Der Herr im Haus bin ich“, „Wirtschaft. Die Schlote rauchen wieder“ und „Politik. Auf nach Westen“

© Die Berliner Literaturkritik, 30.06.08

 

Von Wilfried Mommert

Wenn die Bundesrepublik im nächsten Frühjahr ihren 60. Geburtstag feiert, dann liegt bereits ein opulentes und gewichtiges Geburtstagsgeschenk auf dem Tisch. Man muss dafür den halben Wohnzimmertisch frei räumen, um den langjährigen „Spiegel“-Fotografen Jupp Darchinger auf seiner fotografischen Reise durch die frühe Bundesrepublik von 1952 bis 1967 zu begleiten. Darchingers Welt war die Bonner Republik, er gilt als der Fotograf jener längst entschwundenen Zeit. Der Band ist nicht nur ein dickleibiges Album mit zahlreichen Schwarz-Weiß- und Farbfotos, sondern ist mit seinen 40 mal 33 cm auch ein besonders stattliches Exemplar eines großformatigen Fotobandes.

Es ist quasi eine Suche nach der verlorenen Zeit. Der große Zeitabstand bringt es mit sich, dass es heute als ein schon etwas befremdlicher Blick zurück, manchmal sogar verfremdeter Blick erscheint, wie man beim Durchblättern denken mag. Ein Mann geht mit seiner Kamera wie mit den Augen eines Fremden durch sein Land. Die Männer tragen übrigens noch alle Hut oder stehen noch reihenweise an den Fließbändern der heute weitgehend automatisierten Autofabriken und die Frauen mussten ihren Mann noch um Erlaubnis fragen, wenn sie einen Beruf ergreifen oder ein eigenes Bankkonto eröffnen wollten. Arbeit am Samstag war noch selbstverständlich, es gab noch fast leere Autobahnkreuze, das Fernsehen zog als neuer „Hausaltar“, um den sich die Familie versammelte, in die Wohnstuben ein und die „Buben“ trugen unisono kurze Lederhosen, speckig aber haltbar.

Darchinger hat wie nur wenige Vertreter seines Berufsstandes einen präzisen Blick auf die Wirklichkeit mit dem Gefühl für den besonderen Augenblick glücklich verbunden. Mit der Bezeichnung Darchingers als „Fotojournalist“ konnte das Bonner Finanzamt nichtsdestotrotz zunächst nichts anfangen. Der „fremde Blick“ der Nachgeborenen steht diesem fotografischen wie künstlerischen Dokumenten naturgemäß heute gegenüber, Klaus Honnef bringt es im Vorwort auf den Punkt: „Das äußere Erscheinungsbild des eigenen Landes während dieser Zeit ist ihnen vermutlich weniger vertraut als das ferner Länder in Amerika, Asien oder Afrika.“

Der Band hat die Hauptkapitel „Familienleben. Der Herr im Haus bin ich“, „Wirtschaft. Die Schlote rauchen wieder“ und „Politik. Auf nach Westen“. Darchinger hat bei allen heute vielleicht pittoresk erscheinenden „Schnappschüssen“ nie den Blick für den Alltag der Menschen verloren, auch nicht für die sozialen Missstände am Rande des erst noch wachsenden Wirtschaftswunders, das ja am Anfang auch von Flüchtlingslagern und Notunterkünften gekennzeichnet war. Auch die Rentner und Kriegsopfer in ihrem oft eher tristen Alltagsleben verliert er nicht aus dem Kamerablick.

Als „politischer Fotograf“ war Darchinger in den frühen 60er Jahren auch dabei, als der junge US-Präsident John F. Kennedy Deutschland besuchte. Später begleitete er auch Willy Brandt auf dessen Wahlkampfreisen. Von den Wahlkämpfen der späten 50er Jahren hielt Darchinger zwei nebeneinander hängende Plakate der CDU und SPD mit bemerkenswert „kontrastierenden“ Aussagen fest: „Keine Experimente – wählt CDU“ und „Schluss mit Experimenten – wählt SPD“. Es war Kalter Krieg, an den Autobahnen standen noch die Warnhinweise: „Bis West-Berlin erneut 3 km durch Sowjetische Zone!“

1958 porträtierte Darchinger einen schon damals bemerkenswert staatsmännisch posierenden Berliner Regierenden Bürgermeister Willy Brandt vor dem (noch offenen) Brandenburger Tor, der drei Jahre später zum ersten Mal (gegen Konrad Adenauer) im Jahr des Mauerbaus als Kanzlerkandidat antreten sollte. Mittlerweile hat Darchinger seine 1,5 Millionen Aufnahmen in die Obhut des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung gegeben, mit der „Berliner Republik“ hat er nichts mehr am Hut, seine Söhne sind dran.

Literaturangaben:
DARCHINGER, JOSEF HEINRICH (Hrsg.): Wirtschaftswunder. Deutschland nach dem Krieg 1952-1967. Text von Klaus Honnef. Taschen Verlag, Köln 2008. 290 S., 400 €.

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