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Die erzählerische Essenz Rushdies

„Die bezaubernde Florentinerin“ enthält vertraute Themen aus Salman Rushdies früheren Büchern

© Die Berliner Literaturkritik, 13.08.09

Vertraut und fremd zugleich — so könnte das erste Urteil lauten, das ein mit Salman Rushdies Werken vertrauter Leser über dessen neuen Roman „Die bezaubernde Florentinerin“ treffen mag: Vertraut erscheint der thematische Brückenschlag zwischen östlicher und westlicher Kultur, Orient und Okzident. Fremd erscheinen jedoch der märchenhafte Ton, den der Erzähler anschlägt, sowie der geschichtliche Fokus auf das 16. Jahrhundert. Erst bei näherer Betrachtung entpuppt dieser bilderreiche, bunte Roman sich nicht etwa als Ausnahmewerk, sondern vielmehr als erzählerische Essenz aus dem bisherigen Schaffen Rushdies.

Die Rahmenhandlung von „Die bezaubernde Florentinerin“ ist schnell erzählt: Im Jahr 1572 betritt ein junger Florentiner den Palast von Akbar, dem Großmogul von Hindustan, in der indischen Stadt Fatehpur Sikri. Der blonde Fremdling stellt sich als „Mogul der Liebe“ vor, der Akbar eine wichtige Geschichte zu erzählen habe. In deren Verlauf wird sich herausstellen, dass der Fremdling in Wahrheit Niccolò Vespucci heißt und ein Nachfahre des berühmten Entdeckers Amerigo Vespucci ist, gleichzeitig aber auch Akbars Onkel ist. Doch ebendiese Geschichte, die der Florentiner dem Großmogul im Verlauf von zwei Jahren an dessen Hof schildert, ist umso schwieriger wiederzugeben, umfasst sie doch nach Rushdie-Manier eine Fülle unterschiedlicher Perspektiven, Figuren und einzelner Schicksale und durchwandert zudem verschiedene Kontinente und Zeitalter. Es werden ein Panoptikum voller Ikonen der westlichen Renaissance — darunter Machiavelli, Andrea Doria, Boticelli, die Medicis — und Einblicke in die Geschichte des Orients präsentiert. Zusammengehalten wird diese Erzählung von der alles überstrahlenden Figur der titelgebenden bezaubernden Florentinerin. Diese ist ursprünglich die Mogulprinzessin Qara Köz, die lange verloren geglaubte Tante Akbars und die angebliche Mutter Niccolò Vespuccis.

Vespuccis Geschichte enthält eine Fülle weiterer Geschichten, die sich gemäß einer mise-en-abyme-Struktur bis in die Unendlichkeit zu spiegeln scheinen. All diesen mitunter ins Phantastische und Kuriose gleitenden Erzählungen und Anekdoten ist einschließlich der gesamten Rahmenhandlung ein Motiv eigen: Der Erzählakt selbst wird als lebenserhaltende Maßnahme präsentiert. Wie bereits in Rushdies vorangegangen Werken „Mitternachtskinder“ (1981) und „Des Mauren letzter Seufzer“ (1995) fabulieren die Protagonisten hier um ihr Leben, ähnlich der Sheherazade aus den „Geschichten aus tausendundeiner Nacht“. So bleibt zunächst auch unklar, ob am Ende von Vespuccis Geschichte das Verderben oder gar die Erfüllung all seiner Wünsche lauert, doch eines bleibt gewiss: „Ohne seine Geschichte erzählt zu haben, wäre er weniger als ein Mensch, nur eine Albino-Kakerlake, eine Laus.“ Die lebenserhaltende Macht der Geschichte spiegelt sich in den schillernden Figuren Vespuccis weiterer Erzählung, wie zum Beispiel der als „Gedächtnispalast“ betitelten Frau, deren Erinnerungen von einem Sultan in einer Gehirnwäsche zugunsten seiner eigenen Abenteuergeschichten überlagert wurden. „Gedächtnispalast“ findet erst wieder zu ihren eigenen Lebenserinnerungen, nachdem sie alle Abenteuer des Sultans wiedergegeben hat. Doch die plötzliche Konfrontation mit ihrer traurigen Vergangenheit erweist sich als bitter und endet schließlich im Selbstmord.

Das Phänomen des Geschichtenerzählens bis zum Tod hält sogar in Großmogul Akbars Reich Einzug, wie das Ende des Hofmalers Dashwanth verbildlicht: Inspiriert von den Geschichten um die Mogulprinzessin Qara Köz stellt Dashwanth deren Abenteuer in einer Reihe von opulenten Gemälden dar und verspürt zunehmend den Wunsch, mit dieser gottgleichen Schönheit vereint zu sein. Dieser Wunsch erfüllt sich schließlich auf bildliche Weise. Der Hofmaler wird immer dünner, verschwindet und ist schließlich nur noch in der Ecke seines letzten Porträts von Qara Köz zu finden. „Er will in die Geschichte eindringen, die er erzählt, und darin ein neues Leben beginnen“, schließt Großmogul Akbar aus diesem unglaublichen Ende Dashwanths und scheint mit diesen Worten das zentrale Motiv des Romans zu umkreisen: Es sind die Geschichte und der Erzählakt, die den Menschen am Leben erhalten und dieses Leben zugleich erfüllen. Sich mit dieser Geschichte zu vereinen, in ihr aufzugehen — sei sie nun Realität, Fiktion oder gar Illusion — wird als erlösender Akt für den Menschen dargestellt.

Rushdies zehnter Roman scheint damit die Wurzel seines jahrzehntelangen literarischen Schaffens auszugraben und dem Leser gesondert darzulegen: Das Erzählen als zentrale Daseinsquelle und -erfüllung. So präsentiert „Die bezaubernde Florentinerin“ sich fernab jeglicher Geschichtsaufarbeitung, Verhandlung des postkolonialen Bewusstseins und Islamkritik als kraftvolles, bilderreiches Werk, das den Leser mit seinen sagenhaften, abenteuerlichen und mitunter urkomischen Geschichten über die Macht der Illusion bis zum Schluss begeistert.

Von Dobrila Kontić

Literaturangabe:

RUSHDIE, SALMAN: Die bezaubernde Florentinerin. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009. 448 S., 19,90 €.

Weblink:

Rowohlt Verlag


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