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Die (Fußball-)Geschichte Argentiniens

Der Fußball und die Erfindung der argentinischen Nation

© Die Berliner Literaturkritik, 02.09.10

Von Dominik Rose

Mit Lionel Messi hat die Studie des argentinischen Soziologen und Philosophen Pablo Alabarces, die erstmals 2002 unter dem Titel Fútbol y patria (also: „Fußball und Vaterland“) erschien ist und 2008 in ihrer vierten Auflage aktualisiert wurde, tatsächlich – auch wenn dies der Titel der aktuellen deutschen Erstausgabe von Suhrkamp suggeriert – kaum etwas zu tun. Oder anders gesagt, der von seinen glühenden Anhängern „Messias“ getaufte argentinische Fußballstar ist darin ebenso sehr Randfigur wie im Ausgang der zurückliegenden Fußball-WM in Südafrika. Weshalb, nebenbei gemutmaßt, vermutlich die meisten Argentinier nach dem deprimierenden Ausscheiden im Viertelfinale gegen das deutsche Team auf die provokante Frage „Für Messi sterben?“ mit „No, gracias!“ antworten dürften.

Das hat, der Logik von Alabarces´ Thesen folgend, wohl auch damit zu tun, dass der argentinische Fußball mit dem erzwungenen Rücktritt Maradonas aus dem Nationalteam 1994  seine „letzte große Erzählung“ geschrieben hat. Soll heißen, Maradona war das letzte Bindeglied zwischen dem Fußball und der Nation, der letzte klassische Volksheld, bevor der Sport sich in Richtung eines global-kapitalistischen Spektakels veränderte, in dem die Spieler keine volkstümlichen Helden, sondern vielmehr Waren und Werbeträger sind, die ökonomischen Regeln gehorchen.

Bevor der Autor mit seinem reichlich desillusionierendem Fazit schließt, nimmt er den Fußballsport als eine kulturelle Praxis unter die Lupe, die sich schon früh als ideale Bühne für Massenrituale erwies, als Projektionsfläche für nationale Mythen und Identitäten. Die Instrumentalisierung des Fußballs und seine mediale Überhöhung mögen zwar für einen kritischen Fußballanhänger keine überraschenden Befunde sein, der Einblick in die wechselvolle argentinische Geschichte zwischen Sport, Politik und Gesellschaft ist jedoch durchaus erhellend. Pablo Alabarces gliedert sein Buch Epochen bezogen in verschiedene Abschnitte und umspannt dabei ein ganzes Jahrhundert: Die Frühphase des argentinischen Fußballs korrespondiert für Alabarces mit der gesellschaftlichen Problematik einer argentinischen Identität, um die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die herrschenden Klassen sorgen und daher als Antwort auf die massenhafte Einwanderung europäischer Migranten das einheitsstiftende Modell des „Gaucho“ etablieren. Was der „Gaucho“ als Mythos für die Gesellschaft bedeutet, bedeutet für den Fußball die sogenannte „kreolische Spielweise“. Ursprünglich als Elitesport am Ende des 19. Jahrhundert von den Engländern gegründet (die Argentine Association Football League, deren Verkehrssprache englisch war), musste der argentinische Fußball sich zunächst vom englischen Vorbild lösen und eine eigene Identität herausbilden, die bezeichnenderweise vor allem durch ein Presseorgan, das Sportjournal „El Grafico“, etabliert wurde.  Einzelne Spieler werden in den Artikeln heroisch überhöht, mit nationalen, typisierten Eigenschaften beschrieben und somit zu Bedeutungsträgern argentinischer Identität.

Diese Anfänge sind deshalb wichtig, da sie die historische Rivalität (und spätere Feindschaft) mit dem englischen Fußball erklären. Der argentinische Fußball musste sich zunächst emanzipieren und ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln. Interessant ist im Hinblick auf den Konflikt mit England, dass dieser mit dem Falklandkrieg 1982 eine zusätzliche politische Ebene erhielt. Wurde dem Autor zufolge der sportliche Erfolg über England während der WM 1986 aufgrund der zeitlichen Nähe zum verlorenen Krieg und der schmachvollen Erinnerung an die erst 1983 zu Ende gegangene Militär-Diktatur noch nicht – zumindest öffentlich – als Revanche gewertet, war dieser Aspekt im Zuge des argentinischen Sieges im Achtelfinale der WM 1998 sehr wohl von Bedeutung. Insbesondere die argentinischen Medien schlugen einen chauvinistisch durchwirkten Ton an. Fernsehsender und Zeitungen ergänzten ihre Berichte über das Spiel mit Interviews mit Kriegsveteranen, der Nachrichtensender Crónica TV blendete gar am Ende der Partie den Schriftzug „Die Malvinen sind argentinisch!“ ein.

Die Instrumentalisierung des Sports durch Politik und Medien ist ein zentraler Aspekt des Buches. Seine Anfänge verortet Alibarces in der Ära des Peronismus nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Fußball als Vaterlandssymbol erfunden wurde. Er eignete sich dazu, soziologisch betrachtet, vor allem durch seine Volkstümlichkeit. Die unteren Bevölkerungsschichten fühlten sich durch den Fußball dazugehörig, waren einbezogen in das Konstrukt einer „Nation“. Die Zwiespältigkeit dieser vereinnahmenden Betrachtungsweise des Fußballs wird in den Zeiten der Diktaturen deutlich, vor allem in der Zeit der Militärdiktatur von 1976-1983, für den Autor „die blutigste Diktatur in der argentinischen Geschichte“. Die unrühmliche Figur, die die FIFA im Rahmen der Weltmeisterschaft von 1978 einnahm, die sie der faschistischen Diktatur zum Trotz in Argentinien stattfinden ließ, lässt der Autor außen vor. Bezeichnend für das oft dreckige Geschäft, das die Marke „Fußball“ bedeutet, beleuchtet Alibarces die Taktiken der damaligen Machthaber, aus dem WM-Event einen Imagegewinn zu ziehen, es für die eigenen Zwecke zu benutzen. Wieder ist es vor allem die weitestgehend gleichgeschaltete Presse, die der Ideologie als Sprachrohr dient. Die argentinische Mannschaft repräsentiert nichts weniger als das gesamte Volk, von einem alle Subjekte einschließenden „Wir“ ist ebenso die Rede wie vom forcierten Mythos „la nuestra“ (mit „unsere Art“ übersetzt), während die sportlichen Gegner als die „Anderen“ stereotypisiert und teils – vor allem in Hinblick auf den Endspielgegner Niederlande – verunglimpft werden. Die stark nostalgische Betrachtungsweise, die auf die Rückbesinnung auf frühere Zeiten pocht, deckt sich zudem mit den Strategien der Regierung.

Die Vereinnahmung des Fußballs ist natürlich auch in den demokratischen Zeiten wirksam, wie Alibarces Analyse des „Mythos Maradona“ zeigt. Maradona vereint durch seine bescheidene Herkunft, seinen sozialen Aufstieg, seinen durch Gerissenheit und Rebellion beschriebenen Charakter und schließlich auch durch seine Skandale („der unverstandene, verfolgte Auserwählte“) viele Merkmale des klassischen Volkshelden. Wenn Maradona leidet, so der Autor, dann leidet das Volk mit ihm. Diese überzogene Glorifizierung eines Fußballspielers mag mit dem Abstand betrachtet ziemlich absurd sein, im Hinblick auf die ursprüngliche Bedeutung des Fußballs als gesellschaftlicher Katalysator und Repräsentant eines konstruierten nationalen Identitätsbegriffs wird sie durchaus nachvollziehbar.

Man mag sich fragen, ob Alibarces mit seinem nahtlosen Übergang des Endes der Ära Maradona hin zum Massenspektakel des globalen Kapitalismus nicht zu sehr einer einfachen Dramaturgie folgt, denn die Kommerzialisierung des Sports dürfte doch schon einige Jahrzehnte früher einsetzen. Die konstatierte Krise des Fußballs als Repräsentant einer nationalen Identität ist dennoch schlüssig. Bei den zurückliegenden Weltmeisterschaften waren es dann auch, wie der Autor zeigt, vor allem die multinationalen Konzerne wie etwa „Nike“, die mit ihren global geschalteten, auf die jeweiligen Länder zugeschnittenen Werbeclips einen künstlichen Patriotismus zu aktivieren versuchten, ein verlogenes Zusammengehörigkeitsgefühl, das doch letztlich nur im Dienste ökonomischer Interessen steht. Identitäten, schließt Alibarces treffend, entstehen heute vor allem durch Konsum. Und gesellschaftliche Missstände, so banal das auch klingen mag, wurden allen medialen und politischen Vereinnahmungen des Sports zum Trotz, noch nie durch den Fußball gelöst.

Literaturangabe:

ALABARCES, PEDRO: „Für Messi sterben? – Der Fußball und die Erfindung der argentinischen Nation“. Aus dem Spanischen übersetzt von Bettina Engels  und Karen Genschow. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 287 S., 16 €.

Weblink:

Suhrkamp Verlag

 


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