Werbung

Werbung

Werbung

Die Gazelle mit der Panzerfaust

Helene Hegemanns Debütroman „Axolotl Roadkill“

© Die Berliner Literaturkritik, 12.03.10

Von Martin Spieß

„Helene Hegemann erzählt in ihrem ersten Roman vom Leben in einer Welt, die sich von allen Konventionen befreit hat.“ Der Satz stammt aus dem Klappentext zu „Axolotl Roadkill“ und er bringt, unabsichtlich, das Problem des Buches auf den Punkt: dass die 17-jährige Autorin meint, sich außerhalb der Konventionen bewegen zu dürfen, also passagenweise beim Roman „Strobo“ des Berliner Autors Airen und bei einem Kurzfilm von Benjamin Teske abzuschreiben und es dann Kunst zu nennen. Sie gestand zwar, dass es „total gedankenlos und egoistisch“ gewesen sei, ihre Quellen nicht angegeben zu haben. Jedoch: „Ich finde mein Verhalten und meine Arbeitsweise aber total legitim.“ Aha.

Der Ullstein Verlag sieht das glücklicherweise anders und holte nachträglich die Abdruckrechte bei Airens Verlag SuKuLTuR ein. Um nicht das Gesicht zu verlieren, sagte Ullstein-Geschäftsführerin Siv Bublitz jedoch, sie „halte es für völlig inakzeptabel, den gesamten Roman unter den Generalverdacht des Plagiats zu stellen und seinen literarischen Wert zu bestreiten“, nur weil „die Quellen nicht schon in der ersten Auflage des Buches“ genannt sind. Hegemanns Alter gebe niemandem das Recht, ihr die Selbstbestimmtheit als Schriftstellerin abzusprechen.

Das Bezeichnende ist allerdings: Der Plagiatsdiskurs ist viel interessanter als das Buch selbst. Das nämlich ist einfach nur schlecht geschrieben, und seine Autorin alles, nur keine Schriftstellerin. Die Geschichte ist eine Melange aus Traumatisierung durch Mutter-Tod und Coming-of-Age inmitten von Sex, Drogen und Kultur. Protagonistin ist die 16-jährige Mifti, die bei ihrer Schwester und ihrem Bruder lebt, beide hoffnungslos in Drogen versunken. Sie schwänzt die Schule, trinkt, kifft und ach ja: versucht, ihren Seelenschmerz zu analysieren. Das tut sie dann unter Verwendung von Wörtern wie „Duldungsstarre“ und „Autoaggression“. Ihr Vater arbeitet in der Kultur und tritt nur in Form von Telefongesprächen und Kurznachrichten auf, in denen er sich wenig einfühlsam gibt. Sie solle es durchziehen, hört Mifti von allen Seiten, aber eine Richtung, in die es gehen könnte, kann sie nicht ausmachen.

Die Kritik war vor Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe begeistert von Hegemanns Debüt. „An ‚Axolotl Roadkill’ werden sich dieses Jahr wohl alle deutschsprachigen Debüts messen lassen müssen“, schrieb Nadine Lange im „Tagesspiegel“. „Ein deutsches Romandebüt mit einer solchen Kraft hat es lange nicht gegeben“, juchheite Maxim Biller in der „FAS“. Georg Diez fand das Buch in der „Süddeutschen Zeitung“ sogar „phänomenal“. Und Ursula März schrieb in der „Zeit“, es sei „ein Kugelblitz in Prosaform und Prosasprache“. Zu guter Letzt wurde das Buch für den Leipziger Buchpreis nominiert.

Nach der Lektüre fragt man sich, ob Kritiker und Jury das gleiche Buch gelesen haben wie man selbst. Bei Tobias Rapp im „Spiegel“ klingt Kritik immerhin an, wenn er schreibt, dass „‚Axolotl Roadkill’ radikal, sperrig, unfertig und streckenweise schlicht unlesbar“ ist. Das allerdings ist eine üble Untertreibung. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Das Buch ist größtenteils unlesbar, es ist eine sprachlich und syntaktisch unerträgliche Qual. Das liegt ganz einfach daran, dass das, was Hegemann dem Leser da als Jugend- bzw. Intellektuellensprache präsentiert, so weit weg ist von der Realität wie nur was. Man muss schon ziemlich beschränkt sein zu glauben, dass es heute noch Jugendliche gibt, die „Was geht“, „fette Boxen“, „am Start“ und „bis zum Getno“ sagen.

Es klappert und knarzt, wenn unvermischbare Metaphern auf Teufel komm raus miteinander verrührt werden: „Diese junge Frau spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie eine Gazelle mit Panzerfaust.“ Am treffendsten beschreibt es in diesem Zusammenhang wohl Thomas Steinfeld in der „Süddeutschen Zeitung“: „Entspräche diesem Satzungetüm eine literarische Technik, müsste man sie so beschreiben: Man suche sich mindestens eine Metapher von der möglichst schrillen, affektgeladenen Sorte, packe sie in einen Satz, der, ohne dass es dafür eine inhaltliche Notwendigkeit gäbe, von hoher syntaktischer Schwierigkeit ist, und lasse sie, in dem Augenblick, in dem der Leser erkennen will, was es mit dem Vergleich auf sich hat, in die nächste, ebenso unpassende Metapher kippen. (...) Das Durcheinander ist Absicht, denn es gibt etwas zu verbergen: einen substantiellen Mangel an Erfahrung.“

Und mit der Erfahrung fehlt Hegemann auch eine Handlung, die man als solche identifizieren könnte. Mifti ist viel auf Partys, viel auf Droge und wenig in der Schule. Das nicht enden wollende Schwadronieren über ihr Leben geht einem nicht nur aufgrund der Unlesbarkeit und Affektiertheit sehr schnell auf die Nerven. Es überwuchert auch die seltenen, aber doch vorhandenen Stellen, die zeigen, dass Hegemann, begraben unter all dem Sprachschrott, Ansätze zu einer eigenen Stimme hat, die zu entwickeln sich vielleicht lohnte: „Ich beschließe, nie wieder in eine Situation zu geraten, die ihr Gesicht in ein sorgenvolles Schlachtfeld aus Widersprüchlichkeiten verwandelt“, sagt Mifti, als sie ihre schlafende Schwester beobachtet.

Nur hat sie eben keine Geschichte. Und das ist ihr Problem. „Was kann man tun, außer abschreiben, im Internet, in einem Roman eines weitgehend unbekannt gebliebenen Autors mit dem Pseudonym Airen, in einem Kurzfilm von Benjamin Teske oder wo auch immer?“, fragt Thomas Steinfeld. Und er stellt die richtige Frage.

Airen, der Berliner Autor, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, sieht die Geschichte allerdings ziemlich entspannt: „Helene Hegemann hat mir nichts getan, sie hat mich nicht angegriffen. Mir fehlt nichts, die Geschichte ist immer noch meine.“

Und das ist der Punkt: Es ist nicht ihre. Umso befremdlicher ist, dass Hegemann in Interviews und Verlautbarungen ihres Verlags zu „ihrer“ Geschichte steht: „Es geht hier nicht um Plagiatismus, sondern um Intertextualität – ein Arbeitsverfahren, das sehr viele Künstler benutzen.“ Dann muss eben dieses Verfahren auch offengelegt und nicht so getan werden, als wären es die eigenen geistigen Früchte. Die brauchen, so viel steht fest, noch eine lange Zeit, um reif zu werden.

 

Literaturangabe:

HEGEMANN, HELENE: Axolotl Roadkill. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 208 S., 14,95 €.

Weblink:

Ullstein Verlag

 


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: