Reichlin, Linus: Er. Galiani Verlag, Berlin 2011, 288 S., 18,95 €.
Von Annett Klimpel
Klein und abgeschieden liegt die Insel Lewis an der Westküste Schottlands. Klein und abgeschieden dümpeln die Gemüter der meisten Menschen dort durch die Zeiten - die sich nur draußen, anderswo, ändern. Grau verhangen wie das Leben auf Lewis ist der Roman „Er“, mit der Linus Reichlin seine Leser zu bannen weiß - wieder einmal. Seine erste Jensen-Erzählung „Die Sehnsucht der Atome“ hatte den Deutschen Krimipreis 2009 erhalten, mit dem zweiten Werk „Der Assistent der Sterne“ bewies er, dass die Auszeichnung kein Zufallstreffer war.
Hannes Jensen muss die Trennung von seiner blinden Freundin Annick verkraften, die mit der zweijährigen Tochter zum zweiten Mann in ihrem Leben entfleucht ist. Stetes Mahnmal ist ihm der zurückgelassene Blindenhund, der an seinem neuen Herrchen ebenso verzweifelt wie dieser an ihm.
Als Jensen die Blumenverkäuferin Lea kennen und mögen lernt, wird sein Dasein noch komplexer. Eine hochintelligente Elfjährige macht ihm das Leben schwer, sein Misstrauen gegenüber einer neuen Liebe und ein dunkles Geschehnis auf Sula Sgeir, einer unbewohnten Nachbarinsel von Lewis, beides Inseln der Äußeren Hebriden. Dort kostet eine uralte Tradition jährlich Hunderte Basstölpelküken das Leben - und in einem Jahr auch das eines Mannes.
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Linus Reichlin, der mit literarisch-satirischen Kolumnen bekanntwurde, hat ein besonderes Geschick, Menschen anhand ihrer Gedanken und Gefühle fassbar zu machen, ihr Wesen zu verdeutlichen. Besonders eindringlich glückt das diesmal bei Angus - einem Mann, der nicht viel vom Leben erwartet und dennoch an ihm scheitert. Der Schweizer Autor hat sein Werk klug komponiert, eifrig klaubt man die auf den Seiten verstreuten Puzzle-Teilchen zusammen.
Ein Kriminalroman im klassischen Sinne ist „Er“ nicht – und dennoch jederzeit spannend. Lediglich am Ende des Romans mag sich mancher Leser stören: Es wirkt mit dem abrupten Stimmungswechsel eines Protagonisten eher willkürlich und gezwungen und nicht gerade als logische Folge des zuvor Erzählten.
Weblink: Galiani Verlag