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Die Geschichte einer starken, mutigen Frau

Die Neuübersetzung einer großen Erzählung: Willa Cathers „Meine Antonia“

© Die Berliner Literaturkritik, 10.07.08

 

MÜNCHEN (BLK) – 2008 ist die Neuübersetzung von Willa Cathers Roman „Meine Antonia“ beim Knaus Verlag erschienen.

Klappentext: Die Wiederentdeckung einer großen, zeitlosen Erzählerin

Als Sinclair Lewis 1930 den Literaturnobelpreis erhielt, bemerkte er, dass die Auszeichnung eigentlich Willa Cather gebühre. Die heute fast vergessene moderne Klassikerin schrieb mit „Meine Antonia“ den vielleicht eindrucksvollsten amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts. Es ist die Geschichte einer jener starken, mutigen Frauen, die Amerikas Herzland urbar gemacht haben.

Die unendlichen Weiten des Graslands, die Prärie im Herzen Nordamerikas – hierher zieht es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die böhmische Familie Shimerda. Wie Millionen Menschen aus der Alten Welt erhofft sie sich ein besseres Leben. Als der Nachbarjunge Jim die kleine Antonia zum ersten Mal sieht, lebt deren Familie noch in einem armseligen Erdloch. Doch das Mädchen lässt sich weder von harter Arbeit, vom tragischen Tod ihres Vaters noch von den viktorianischen Rollenvorstellungen daran hindern, die ungezähmte Natur zu erkunden, sich von der Grenzenlosigkeit des Landes mitreißen zu lassen, sich ihrem Lebenshunger hinzugeben. Antonia ist klug, zielstrebig und schön. Wild entschlossen nimmt sie ihr Schicksal in die Hand.

Eine unsentimentale, meisterhaft erzählte Hommage an eine grandiose Natur und an jene Menschen, die in der Neuen Welt für ein freies Leben aus eigener Kraft kämpften.

In der Neuübersetzung von Stefanie Kremer, mit einem Nachwort von Elke Schmitter.

Als Achtjährige übersiedelte Willa Cather (1876–1947) mit ihren Eltern von Virginia nach Nebraska, wo sie mit der unermeßlichen Prärie, aber auch mit den dortigen Einwanderern aus der Alten Welt Bekanntschaft schloß. Diese Erfahrungen eines Neben- und Miteinander verschiedener Ethnien, Religionen und Kulturen prägten sie tief. Obwohl sie als Lehrerin, Redakteurin und später als erfolgreiche Schriftstellerin vor allem in New York lebte, spielen ihre Werke meist in der heroischen Weite der Prärie des amerikanischen Westens und Südwestens, der sie so ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Willa Cather erhielt den Pulitzer-Preis und gilt als eine der großen amerikanischen Erzählerinnen. Mit „Antonia“ schuf sie eine der bedeutendsten Frauengestalten der modernen Literatur. (vol/zei)

Leseprobe:

© Knaus ©

Optima dies … prima fugit

Vergil

 

FÜR CARRIE UND IRENE MINER

In Erinnerung an eine alte, wahre Freundschaft

 

Einführung

Als ich letzten Sommer während einer heftigen Hitzewelle mit dem Zug durch die Ebenen Iowas fuhr, hatte ich das Glück, gemeinsam mit James Quayle Burden zu reisen – Jim Burden, wie wir ihn im Westen noch immer nennen. Er und ich sind alte Freunde – wir sind in derselben Kleinstadt in Nebraska zusammen aufgewachsen –, und wir hatten uns viel zu erzählen. Während der Zug die endlosen Meilen reifen Weizens durchschnitt, vorbei an ländlichen Städtchen, leuchtend bunt blühenden Wiesen und kleinen Eichenwäldern, deren Laub in der Sonne welkte, saßen wir im Panoramawagen; das Holz fühlte sich heiß an, und alles war dick mit rotem Staub überzogen. Der Staub und die Hitze, der sengende Wind, all das ließ viele Erinnerungen in uns wach werden. Wir sprachen darüber, wie es ist, seine Kindheit in solchen kleinen Städten zu verbringen, begraben unter Weizen und Mais, in stetem Kampf gegen die Kapriolen des Wetters: in den glühend heißen Sommern, wenn das Land grün und wogend unter einem strahlend blauen Himmel liegt, wenn die üppige Pflanzenwelt einen schier erstickt mit den Farben und Gerüchen des wuchernden Unkrauts und der reichen Ernten; in den stürmischen, schneearmen Wintern, wenn das ganze Land grau und kahl gefegt ist wie Eisenblech. Wir waren uns einig, dass niemand, der nicht in einer kleinen Präriestadt aufgewachsen ist, auch nur das Geringste darüber wissen kann. Es sei wie eine eingeschworene Gemeinschaft, sagten wir.

Obwohl Jim Burden und ich alte Freunde sind und beide in New York wohnen, sehe ich ihn dort nicht oft. Er arbeitet als Rechtsbeistand für eines der großen Eisenbahnunternehmen im Westen, und manchmal ist er wochenlang nicht in seinem New Yorker Büro. Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns so selten treffen. Ein anderer ist, dass ich seine Frau nicht mag.

Als Jim noch ein unbekannter junger Rechtsanwalt war, der darum kämpfte, sich in New York durchzusetzen, wurde seine Karriere plötzlich durch eine glänzende Verbindung vorangebracht. Genevieve Whitney war die einzige Tochter einer hochrangigen Persönlichkeit. Ihre Vermählung mit dem jungen Burden gab damals Anlass zu allerlei Klatsch und Tratsch. Man erzählte sich, ihr Vetter, Rutland Whitney, habe sie auf schändliche Weise sitzen lassen, und diesen Unbekannten aus dem Westen heirate sie aus einer bloßen Laune heraus. Schon damals war sie ein ruheloses, dickköpfiges Mädchen gewesen, das seine Freunde gern verblüffte. Auch später, nachdem ich sie kennengelernt hatte, war sie immer wieder für Überraschungen gut. Sie stellte eines ihrer Stadthäuser den Suffragetten als Hauptquartier zur Verfügung, inszenierte eines ihrer Stücke am Princess Theater, wurde festgenommen, als sie während eines Streiks der Textilarbeiter demonstrierte, und so fort. Ich habe noch nie so recht daran geglaubt, dass sie für die Dinge, denen sie ihren Namen und ihr flüchtiges Interesse leiht, echte Anteilnahme aufbringt. Sie ist attraktiv, energiegeladen und tatkräftig, doch für mich hat es den Anschein, als wäre sie durch nichts zu beeindrucken und schon von ihrer Veranlagung her unfähig zu jeder Begeisterung. Ich vermute, dass sie über die harmlosen Schwärmereien ihres Gatten ziemlich aufgebracht ist, stattdessen hält sie es für lohnend, als Gönnerin einer Gruppe junger Dichter und Maler aufzutreten, die sich durch fortschrittliche Ideen und recht mittelmäßiges Talent auszeichnen. Sie hat ihr eigenes Vermögen und lebt ihr eigenes Leben. Aus irgendeinem Grund möchte sie Mrs. James Burden bleiben.

Was Jim anbelangt, so hatten die Enttäuschungen des Lebens seine von Natur aus romantische, leidenschaftliche Art nicht dämpfen können. Diese Leidenschaftlichkeit, die ihn als Jungen oftmals sehr komisch wirken ließ, war eine der wichtigsten Grundlagen seines Erfolgs. Er hängt mit ganzem Herzen an diesem großartigen Land, durch das kreuz und quer die Räder seiner Eisenbahn rattern. Sein Glaube an und sein Wissen über das Land haben eine bedeutende Rolle bei dessen Erschließung gespielt. Immer wieder treibt er Kapital für neue Vorhaben in Wyoming und Montana auf, und er hat den jungen Männern dort geholfen, im Minen-, Holz- und Ölgeschäft Bemerkenswertes zu leisten. Gelingt es einem jungen Burschen mit einer Idee erst einmal, Jim Burdens Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihn zu begleiten, wenn er sich in die Wildnis aufmacht, um neue Routen durch die Berge zu entdecken oder unbekannte Canyons zu erkunden, dann lässt das Geld, mit dem man die Dinge in Angriff nehmen kann, gewöhnlich nicht lange auf sich warten. Jim kann sich noch immer in diesen grandiosen Träumen des Westens verlieren. Auch wenn er nun schon über vierzig ist, begegnet er neuen Menschen und Unternehmungen mit der gleichen Begeisterung, die seine Freunde aus der Jugendzeit noch an ihm kennen. Ich habe den Eindruck, dass er niemals älter wird. Seine frische Gesichtsfarbe, das sandbraune Haar und die wachen blauen Augen sind die eines jungen Mannes, und in seinem mitfühlenden Interesse an Frauen spürt man die Jugend ebenso wie den Westen und ganz Amerika.

Im Laufe dieses glühend heißen Tages, an dem wir Iowa durchquerten, kam unser Gespräch immer wieder auf eine zentrale Gestalt zurück, ein Mädchen aus Böhmen, das wir vor langer Zeit gekannt und beide sehr bewundert hatten. Mehr als jeder andere Mensch, an den wir uns erinnerten, verkörperte dieses Mädchen für uns das Land, die Umstände, das ganze Abenteuer unserer Kindheit. Wir mussten nur ihren Namen aussprechen, und schon wurden Bilder von Menschen und Orten wieder wach, wie bei einem stillen Schauspiel im Kopf. Ich hatte sie völlig aus den Augen verloren, aber Jim hatte sie nach langen Jahren wiedergefunden und eine Freundschaft erneuert, die ihm sehr viel bedeutete, und er hatte von seinem geschäftigen Leben genügend Zeit abgezweigt, um diese Bande zu pflegen. An jenem Tag war er ganz von ihr erfüllt. Er schaffte es, dass ich sie wieder vor mir sah, ihre Gegenwart wieder spürte, er ließ all meine alte Zuneigung zu ihr wieder aufleben.

„Ich verstehe einfach nicht“, sagte er unvermittelt, wieso du nie etwas über Antonia geschrieben hast.“

Ich sagte ihm, ich hätte immer das Gefühl gehabt, andere Menschen – er, zum Beispiel – hätten sie viel besser gekannt als ich. Aber ich war bereit, eine Abmachung mit ihm zu treffen; ich wollte alles über Antonia niederschreiben, woran ich mich erinnerte, wenn er das Gleiche tat. Auf diese Weise konnten wir vielleicht ein Bild von ihr gewinnen.

Er fuhr sich mit einer aufgeregten Geste durchs Haar, die bei ihm oft einen spontanen Entschluss verrät, und ich sah, dass mein Vorschlag ihn gepackt hatte. „Vielleicht mache ich das, vielleicht mache ich das!“ Er starrte ein Weilchen aus dem Fenster, und als er sich wieder zu mir umdrehte, hatte sein Blick diese einzigartige Klarheit, die von einer plötzlichen Eingebung herrührt. „Natürlich“, sagte er, „müsste ich es sehr direkt angehen und eine ganze Menge über mich selbst erzählen. Genauso, wie ich sie wahrgenommen und erlebt habe, denn ich wüsste nicht, wie ich es anders schreiben könnte.“

Ich sagte ihm, dass ich genau das über Antonia wissen wollte: wie er sie gekannt und erlebt hatte. Er hatte Momente mit ihr gehabt, die mir, dem kleinen Mädchen, das zugesehen hatte, wie Antonia kam und ging, verwehrt geblieben waren.

Monate später, an einem stürmischen Winternachmittag, kam Jim Burden in meine Wohnung, unter seinem Pelzmantel trug er einen Aktenordner, der förmlich aus allen Nähten platzte. Er brachte ihn ins Wohnzimmer, und während er sich die Hände wärmte, klopfte er mit einigem Stolz ein paar Mal auf den Deckel.

„Ich bin gestern Abend damit fertig geworden – mit dieser Antonia-Geschichte“, sagte er. „Und, wie steht es mit dir?“ Ich musste ihm gestehen, dass ich nicht über einige wenige Notizen hinausgekommen war.

„Notizen? So etwas habe ich gar nicht erst gemacht.“ Er trank seinen Tee mit einem Zug aus und stellte die Tasse ab. „Ich habe keine Gliederung entworfen und auch später nichts mehr umgestellt. Ich habe einfach nur aufgeschrieben, was Antonias Name in meiner Erinnerung wachgerufen hat – über sie, über mich, über andere Menschen. Es ist ziemlich durcheinander, schätze ich. Es hat nicht einmal einen Titel.“ Er ging ins Nebenzimmer, setzte sich an meinen Sekretär und schrieb das Wort „Antonia“ auf den rötlichen Deckel des Ordners. Einen Moment lang blickte er es nachdenklich an, dann schrieb er ein zweites Wort davor, so dass „Meine Antonia“ daraus wurde. Damit war er offensichtlich zufrieden.

„Lies es, sobald du kannst“, sagte er und stand auf, „aber lass nicht zu, dass es deine eigene Geschichte beeinflusst.“

Meine eigene Geschichte wurde nie geschrieben. Die folgende Erzählung entspricht im Großen und Ganzen Jims Manuskript, so wie er es mir gegeben hat.

© Knaus ©

Literaturangaben:
CATHER, WILLA: Meine Antonia. Roman. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Stefanie Kremer. Albrecht Knaus Verlag, München 2008. 320 S., 19,95 €.

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