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Die Industrialisierung der Medizin

Bernd Hontschiks Sachbuch „Herzenssachen“

© Die Berliner Literaturkritik, 02.10.09

Von Jürgen Meier

Der Chirurg Bernd Hontschik kämpft gegen die „Zerstörungsprozesse unserer Sozial- und Gesundheitssysteme“, in der die Patienten zu „Kunden“ und der Arzt zum „Dienstleister“ degradiert würden. Unter dem moralischen Deckmantel der „Eigenverantwortlichkeit“ vollziehe sich mit jeder „Gesundheitsreform“ nur ein weiterer Schritt der Vernichtung des Solidarprinzips. Nicht die bio-psycho-soziale Situation des kranken Menschen stehe im Mittelpunkt, sondern dessen Krankheiten. Das Krankenhaus, bezahlt nach Diagnosen, nicht mehr nach notwendiger Pflege und Therapie, verwandle sich mehr und mehr in eine Reparaturfabrik. Diese Zerstörung der Humanmedizin begleite ein Medienspektakel, auf das wir fast immer hereinfallen: Der Raucher oder der Dicke, seien doch selbst schuld an ihrer Erkrankung. Hontschik zeigt dem Leser, wie schnell sich diese Verwandlung von Kranken in Schuldige fortsetzen lässt. Ist der Skifahrer nicht selbst schuld, wenn er sich wedelnd ein Bein bricht? Wer mit dem Auto verunglückt, ist der nicht auch selbst schuld?

Die Ausgaben für das Gesundheitswesen seien im Verhältnis zum BIP von 10,5 Prozent auf 10,4 Prozent im Jahre 2007 gefallen. Dennoch tische man uns die Lüge „Kostenexplosion“ auf. Dabei drehe sich alles nur um eines, um Profite für die Pharma- und Geräteindustrie. Was der Autor an vielen Beispielen beweist. So habe es bislang noch keine Bundesregierung gewagt, die „Positivliste“ der wirksamen und preiswerten Medikamente durchzusetzen!

Hontschik stützt sich in seiner Kritik an der „Industrialisierung“ der Medizin auf Thure von Uexküll, der die bio-psycho-sozial integrierte Medizin entwickelte. Die moderne „dualistische“ Medizin zerteile den Menschen in Körper und Seele, statt deren Integration in einem Subjekt zu erkennen. Jedes Subjekt schaffe sich seine eigene Wirklichkeit. Nichts existiere unabhängig von der Erkenntnis des Subjektes, schreibt Hontschik, womit er allerdings die objektive Zerstörung des Solidarprinzips, die er so plastisch beschreibt, theoretisch leugnet. Er wiederholt hier den Fehler seines Lehrers Uexküll. Denn ein Subjekt kann es nur geben, weil es eine Subjekt-Objekt-, also eine Mensch - Naturbeziehung oder Mensch - Industriebeziehung gibt. „Der Kapitalismus greift mit Macht, mit System und mit Erfolg nach allem Sozialen. Aber nur soweit das Profit verspricht“, schreibt Hontschik und widerlegt damit selbst die These, dass es die „Industrialisierung“ sei, die die Humanmedizin vernichte. Es ist doch die Art, wie die Industrialisierung vom Subjekt genutzt wird! Agiert sie für oder gegen die Humanmedizin? Während Uexküll den „Meta-Arzt“ forderte, der im Kranken die Symptome als Zeichen entschlüsseln sollte, fordert Hontschik den Humanmediziner, der den Kranken als gesellschaftliches Wesen behandelt, das die Lügen der Gesundheitsreformer durchschauen muss, um sich und die Gesellschaft heilen zu können. Hontschiks Buch enthüllt sehr gekonnt viele dieser Lügen und trägt damit zur Heilung durch Widerstand bei.

Literaturangabe:

HONTSCHIK, BERND: Herzenssachen. So schön kann Medizin sein. Weissbooks Verlag, Frankfurt 2009. Geb., 130 S., 14 €.

Weblink:

Weissbooks Verlag


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