Patrick Bahners: Die Panikmacher: Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift. C.H.Beck Verlag, München 2011, 320 S, 19,95 €.
Von Roland H. Wiegenstein
Wenn es so weitergeht, dann laufen in wenigen Jahrzehnten in Deutschland nur noch wenige Frauen ohne Kopftuch über die Straße, ist der Bundeskanzler ein Mann mit „Emigrationshintergrund“, gilt statt des Bürgerlichen Gesetzbuches die Scharia – dann hat sich der Staat nach Thilo Sarrazins apokalyptischer Vision „abgeschafft“. Diese Voraussage wird nicht nur von BILD propagiert, sondern von einer Reihe selbsternannter „Fachleute“ des Korans und der „Taqija“, der orientalischen Version dessen, was einmal in Europa als „rerservatio mentalis“ beschrieben und als besonders gemeine Verstellung der Ultramontanen (der Jesuiten zumal) Eingang in die Lexika fand.
Gegen diese Phantasmagorie verängstigter Bürger hat Patrick Bahners sein Buch „Die Panikmacher“ geschrieben – als einen Versuch der Aufklärung über ein Phänomen diffuser Angst, die, verstärkt durch eine skandalisierte Öffentlichkeit, in den Debatten guter Deutscher wabert. Bahners geht den Ursprüngen dieser Stimmung nach, indem er jene namhaft macht, die sie erzeugt haben.
Tatsachen (einige!) und Gerüchte (viele) stehen am Beginn dieses gefährlichen Unsinns, der nicht eben kleine Teile der Bevölkerung – ohne ausreichende Kenntnis seiner Gründe – in Angst versetzt. Da muss dann die „christlich-jüdische“ Tradition als Vademecum herhalten – was sich in unserem Land als eine besonders arge Geschichtsklitterung erweist, wie Bahner schreibt: „Was Christen lasen, lehrten und tradierten, beruhte auf dem Gedanken, dass die christliche Botschaft an die Stelle des jüdischen Gesetzes getreten sei, und die Juden verstockt seien, weil sie das nicht akzeptieren wollten. Die Emanzipation der Juden wurde von den Liberalen in der Erwartung betrieben, die Juden würden ihre Überzeugungen und Bräuche aufgeben und in der christlichen Gemeinschaft verschwinden. In dieser Assimilation wollten dann aber die Antisemiten die Tarnung von Verschwörern sehen, die es auf die Machtübernahme abgesehen hätten. Dass die Hetzreden von der verjudeten Kultur auch bei Gebildeten Resonanz fanden, ist eine der Ursachen dafür, dass schließlich die Vernichtung der Juden Staatszweck Deutschlands werden konnte und beinah zum Abschluß gebracht werden konnte. Den paar überlebenden Juden nachträglich eine Garantenstellung für den Gang der deutschen Kulturgeschichte zuzuweisen, ist eine monströse Geschmacklosigkeit.“
Nun werden die Islamkritiker jeder Couleur nicht müde, auf die Tatsache hinzuweisen, dass es auf der Welt anderthalb Milliarden Muslime gäbe, die eroberungssüchtig nichts anderes im Sinn hätten, als „den Westen“ unter ihre Knute zu bringen – als „dhimmi“, wie die Christen zu Zeiten islamischer Herrschaft bezeichnet wurden: Bürger zweiter Klasse. Die Schwüre des weiland Osama bin Laden und seiner jedem Terror zugeneigten Al Qaida gelten als Beweis. Aber selbst wenn es islamischen Heeren (die es nicht gibt) nicht gelingen sollte, einen Eroberungskrieg bis vor Wien voranzutreiben, so ist doch – wie die Islamkritiker jeder Observanz meinen – die schleichende Islamisierung nicht mehr aufzuhalten, angeführt von gewaltbereiten Jugendlichen in einigen städtischen „Brennpunkten“ (das Wort ist verräterisch!) und von jungen, das Kopftuch tragenden Frauen, die ihre Verschleierung als „politische“ Demonstration einsetzen. Nur „Gutmenschen“, die die Gefahr nicht sehen, (weil es in ihrem Viertel solche Schläger und solche Frauen kaum gibt) machen sich Illusionen und räsonieren über Minderheitenrechte, die schutzwürdig seien.
Bahners gibt sich viel Mühe, jene, die er Panikmacher nennt, im Einzelnen zu charakterisieren: die holländische Atheistin Ayaan Hirsi Ali; die „Kemalistin“ Necla Kelek, die noch in ihrer Doktorarbeit eine nüchterne Bestandsaufnahme vom Leben in den „Parallelgesellschaften“ vorlegte, ehe sie die eigenen Befunde dementierte und in den Krieg gegen den Islam zog; den Stuttgarter Verwaltungsrat Grell, der sich immer weiter in seine islamophoben, in Verordnungen gegossenen, Abneigungen verstieg; die Ministerin Schröder, die ihre eigene Version des Themas erfand; Schwarmgeister wie Udo Ulfkotte, die unermüdlich, Buch für Buch, den „Islam als Gefahr für Deutschland“ beschwören; CDU-Leute wie Hans-Jürgen Irmer und Volker Bouffier, die – von einem Teil der Presse heftig unterstützt – die Botschaft vom „Feind“ verbreiten. Bahner macht sich die Mühe, die Genese und den Ausgang des Kopftuchstreites in allen Einzelheiten zu schildern und auch dessen verfassungsrelevante Komplikationen aufzudröseln, den Kampf um Moscheebauten zu beschreiben (bis hin zu Ralph Giordanos Aussage, eine Moschee, gar eine große, beleidige sein „ästhetisches“ Empfinden.) Die Islamfeinde sind zwar eine Minderheit – aber eine lautstarke. Sie trägt dazu bei, das gesellschaftliche Klima zu vergiften und die, gegen die sie sich wendet – die Muslime in Deutschland – in die Abwehrhaltung derer zu versetzen, die sich als Menschen zweiter Klasse sehen müssen. „Millionen Bewohnern des Landes zu sagen, es sei Blindheit und Fahrlässigkeit gewesen, ihnen überhaupt eine Ansiedlung und Familiengründung zu gestatten – das ist keine Problembeschreibung, sondern ein Ausweichen vor den Problemen in die Wunschwelt einer alternativen Geschichte, ein als zynische Illusionslosigkeit getarnter Eskapismus“, schreibt Bahner über Sarrazin, dessen Bildungsvorstellungen er auf Grund der von diesem entwickelten „Stufentheorie“ der Integration – erste Stufe Deutschlernen, zweite Stufe Grundschule, dritte Gymnasium und Studium – bescheinigt, das sei „sozialdemokratische Bildungspolitik in Reinkultur, der bürgerliche Neuhumanismus als demokratische Utopie. Vollständig integriert ist der Akademiker, der ganze Mensch hat Abitur“. Von der gesellschaftlichen Wirklichkeit sind solche Vorstellungen weit entfernt. Für die Islamkritiker sollen „asoziale Taten chancenarmer Jugendlicher mit türkischer oder arabischer Familiengeschichte als Bürgerkriegshandlungen gedeutet werden.“ Und nicht als soziopolitische Gegebenheiten, die mehr mit dem Arbeitsmarkt und der Allokation billiger Wohnungen (und Abrisshäuser) als mit der Bildung von Armeen in Ghettos zu tun haben.
„Nach wie vor ist die Frage nach dem Verhältnis des Islam zu den universalen Menschenrechten und zu unserem Rechtstaat weithin ungeklärt“, so ein katholischer Bischof. Bahners weist drauf hin: „Das hielt dem Islam der Amtsträger einer Kirche vor, die fast zweitausend Jahre alt ist und ihr eigenes Verhalten zu den Menschenrechten genau fünfundvierzig Jahre vor dem Artikel des Bischofs geklärt hatte, mit der Verabschiedung der Pastoralkonstitution ‚Gaudium et spes’, am letzten Sitzungstag des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat daran erinnert, dass man die Menschenrechte auch im Protestantismus bis weit in die fünfziger Jahre hinein als ‚liberalistische Verirrung’ des modernen Menschen ansah.“
Bahners’ Buch ist das Kompendium einer Verwirrung, die, von Sensationsmeldungen in Schrecken versetzt, den falschen Fachleuten glaubt und eine Angst erzeugt, die objektiv unangebracht und dennoch wirksam ist. Ihr in „Die Panikmacher“ so ausführlich und plausibel die Schelle umzuhängen, ist hilfreich – für alle, die noch lesen können.
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