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Die Klaviatur des abseitigen Lebens

Denis Johnsons fulminantes Kriegsepos „Ein gerader Rauch“

© Die Berliner Literaturkritik, 10.02.09

 

Zu Beginn stirbt die Hoffnung – John F. Kennedy wurde erschossen. Was daheim die Erde erschüttern ließ, hat hier, in den Tropen Asiens, nur noch den bitteren Nachgeschmack einer durchzechten Nacht. Es scheint nicht die rechte Zeit, zumindest aber nicht der rechte Ort für Idealisten: Wo Menschen auf ihre bloßen Körper reduziert werden, platzen Träume wie Seifenblasen. Es herrscht Krieg.

Skip Sands ist ein CIA-Spion, ein junger ehrgeiziger Mann, der seinem Onkel, dem hoch dekorierten Colonel, nacheifert. Einem Phantom gleich durchstreift dieser in den Sechzigern mit seiner Spezialeinheit den vietnamesischen Dschungel. Sein Ressort ist die psychologische Kriegsführung, sein Plan eine Operation monströsen Ausmaßes – „ein gerader Rauch“. Mit der Hilfe psychedelischer Tunnellabyrinthe, einer wahnwitzigen Kartei, für die Skip verantwortlich zeichnet, und eines einheimischen Doppelagenten, macht er sich daran, „Charlies Hirn aufzuweichen“: Es gelte, die Macht über die Mythen des Landes zu gewinnen, so seine Predigten – raubt ihnen ihre Geschichten und ihr raubt ihnen den Glauben. Doch die Mission scheitert, sie wurden verraten…

Einige Soldaten kehren schließlich nach Hause zurück, so auch die Houston-Brüder Bill und James, einigen vielleicht bekannt aus Johnsons erstem Roman Engel. Ihre Jugend ist dahin, mit Mitte Zwanzig haben sie bereits das Doppelte an Jahren auf dem Buckel. Wie man ein normales Leben führt, haben sie längst vergessen. Also drängen sie im heimatlichen Arizona an den äußeren Rand, sie trinken, schlagen sich, und landen auf ihrer verzweifelten Suche nach Linderung immer wieder im Gefängnis.

Kein Schriftsteller seiner Generation bespielt die Klaviatur des abseitigen Lebens wie Denis Johnson. Sein Personal rekrutiert er aus den have-nots, misfits, down-and-outs. Sie liegen ihm förmlich zu Füßen, er scheint ihre Stimmen zu hören, ihr Leid zu antizipieren. Selbst im Sturm des Krieges lässt er sie zu keinem Zeitpunkt aus den Augen. Nie schweift er ab, um die Politik hinter dem Grauen zu erklären. Dabei nähert er sich seinen Figuren mit einer selbst unnahbaren Zartheit, unter ihnen Verräter, Heuchler, Mörder, und lässt ihnen dadurch ihre Würde und ihre Menschlichkeit: „Etwas, dass sich von einem Baum zum anderen bewegte, geriet Seaman Houston in den Blick […] Er nahm den Kopf des Affen ins Visier. Ohne an etwas Bestimmtes zu denken, drückte er ab […] Der Affe wurde flach gegen den Baum geklatscht, wobei er enthusiastisch Arme und Beine ausbreitete, griff dann mit beiden Händen nach hinten, als wollte er sich am Rücken kratzen, und fiel zu Boden. Voller Entsetzen beobachtete Seaman Houston, wie er sich dort wand […] Er spürte, wie es ihm selbst den Magen zerriss. ‚Herrgott noch mal!’, schrie er den Affen an, als ob der an seinem beklemmenden, abscheulichen Zustand etwas ändern könnte […] Seaman Houston ging zu dem Affen hin, legte das Gewehr neben ihm ab und hob das Tier hoch, indem er ihm eine Hand unter das Hinterteil schob und seinen Kopf in die andere bettete. Fasziniert, dann angewidert bemerkte er, dass der Affe weinte […] Während er ihn in den Händen hielt, blieb dessen Herz stehen […] Er hatte das Gefühl, alles sei seine Schuld, da niemand in der Nähe war, erlaubte er sich zu weinen wie ein Kind. Er war achtzehn Jahre alt.“

Glaube und Vernunft seiner Schützlinge stellt Johnson indes immer wieder auf die Probe. Denn der wahre Horror des Krieges manifestiert sich in der Abwesenheit jeglichen Sinns. Wo seine Willkür wütet, ist kein Platz für Recht und Ordnung, werden auch letzte Regeln gebrochen: „Wenn man in einem fremden Land ist, vergewaltigt man keine Frauen, tut dem Vieh nichts zuleide und beschädigt nach Möglichkeit kein fremdes Eigentum, nur die Hütten darf man niederbrennen, das gehört zum Job.“

Das Chaos – es ist kein Zufall, dass Skip ausgerechnet Artaud studiert – inszeniert Johnson mal grobflächig-orchestral, mal leise und zurückgezogen mit der Hilfe stiller Kammertöne. Eine sinnstiftende Form fehlt vollends, kein gerader Rauch insofern, von der Grobstruktur, den mit Jahreszahlen überschriebenen Kapiteln einmal abgesehen. Das Figurenensemble ist gigantisch, die szenischen Schnitte funktionieren eher assoziativ als handlungsnotwendig. Die „anarchische Vitalität“ wird von Johnson somit gekonnt forciert, die Lektüre darüber aber zum Bewusstseinstrip: Zeilen und Worte flirren regelrecht durchs Bild, von den Seiten tropft es konfuse Stimmungen. Die Seele wiegt schwer. Man spürt es, mit aller Kraft wird sie festzuhalten versucht, damit sie nicht entweiche. Das Herz rast, Taubheit dringt in die Fingerspitzen.

Wenngleich weniger unheimlich und beklemmend als Joseph Conrads „Heart of Darkness“, so spürt Johnson doch mit ebenbürtiger erzählerischer Konsequenz dem Gefühl metaphysischer Verlorenheit nach. Während die hiesigen Legenden mit gezielten Desinformationen entkörpert werden, gehen die eigenen Mythen und mit ihnen die letzten Erinnerungsfetzen an eine kollektive Identität vollends verloren. Und so irren die In-die-Welt-Geworfenen ihren Existenzen hinterher, enden in der Zelle oder am Strick. Den Schrecken des Krieges haben sie, ob in Saigon oder in Arizona, schließlich nichts entgegenzusetzen – ebenso wenig wie wir der Urgewalt dieses fulminanten Romans.

Von Lars Claßen

Literaturangaben:
JOHNSON, DENIS: Ein gerader Rauch. Rowohlt, Reinbek 2008. 880 S., 24,90 €.

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