Werbung

Werbung

Werbung

Die Körperbeschwörerin

Der Roman „Honigkuss“ von Salwa Al Neimi

© Die Berliner Literaturkritik, 09.10.08

 

HAMBURG (BLK) – Im August 2008 ist der Roman „Honigkuss“ von Salwa Al Neimi bei Hoffmann und Campe erschienen.

Klappentext: „Es gibt Menschen, die Geister beschwören – ich beschwöre Körper. Ich weiß nichts über meine Seele, nichts über die Seelen anderer, aber ich kenne meinen Körper und den der anderen. Das genügt mir …“ Sie stammt aus Damaskus, arbeitet als Bibliothekarin in Paris und hütet sorgsam das Geheimnis ihrer sexuellen Eskapaden. Mit ihren Liebhabern lebt sie die wollüstigen Darstellungen der arabischen Erotikklassiker nach. Da sie verheiratet ist, droht für diese Abenteuer nach islamischem Recht das Gefängnis. Erst als sie zu einem Kongress über verbotene Bücher eingeladen wird, findet sie Gelegenheit, von ihrem verborgenen Leben zu erzählen – dem Liebesleben einer arabischen Frau, die begierig ist auf Männer, Sex und Geschichten.

Salwa Al Neimi wurde in Damaskus geboren und studierte an der dortigen Universität arabische Literatur. Später zog sie nach Paris, wo sie ein Studium der Theaterwissenschaften absolvierte. Sie lebt als Journalistin und Publizistin in Paris und veröffentlichte bislang Erzählungen und Lyrik. Honigkuss ist ihr erster Roman, der 2007 im Libanon erschien. Das Buch war in den arabischen Ländern ein Skandal, wurde von Rezensenten als „sexuelle Intifada“ (Emirates Media) bezeichnet und markierte für viele die „Ankunft der sexuellen Revolution“ (Al-Kifah al-arabi). (bah/mir)

 

Leseprobe:

© Hoffmann und Campe ©

Über Genussehen und erotische Bücher

Es gibt Menschen, die Geister beschwören– ich beschwöre Körper. Ich weiß nichts über meine Seele, nichts über die Seelen anderer, aber ich kenne meinen Körper und den der anderen.

Das genügt mir. Ich beschwöre ihre Körper herauf und tauche ein in die Geschichten, die ich mit ihnen erlebe– flüchtige Gestalten in flüchtigen Körpern, nicht mehr und nicht weniger. Männer als Objekte? Warum nicht?

Ich benutze sie? Als Sexobjekte? Warum nicht?

Als meine Geliebten?

Was für ein starkes Wort. Ich verwende es nie, nicht einmal in Gedanken. Der Denker hat es einmal ausgesprochen, da war ich schockiert. Geliebter? Ich habe keine Geliebten. Ich müsste ein anderes Wort dafür finden, aber die Mühe habe ich mir nie gemacht. Eines Tages sprach ich mit ihm über eine Freundin, die er auf einer Party kennengelernt hatte. „Weiß sie, dass ich dein Geliebter bin?“, fragte er spontan. Unser Verhältnis war mein Geheimnis. Aber dennoch war es nicht die Frage, die mich störte, sondern das Wort „Geliebter“.

Der Denker sollte mein Geliebter sein? Nie im Leben wäre ich auf diesen Gedanken gekommen.

Konnte ich die Geliebte eines Mannes sein, von dem ich nur eines erwartete: dass er die Tür schließt und mich nimmt?

Konnte ich die Geliebte eines Mannes sein, von dem ich mir lediglich ein paar gestohlene Stunden erhoffte? Zu längerem Nachdenken kam ich nicht, denn wie so oft erklärte der Denker: „Ich habe eine Idee.“ Er trat ans Bett. Ich lag auf dem Bauch, den Rücken gebogen, während ich mich auf den Armen abstützte. Er stand hinter mir, ich konnte ihn nicht sehen.

Seine Hände gleiten über meinen Körper, zeichnen seine Umrisse nach – von den Schultern bis zu den Schenkeln, dann verharren sie auf meinem Gesäß. Er zieht mich zu sich heran, ich recke mich ihm entgegen, damit ich ganz und gar von ihm erfüllt werde. Das Gesicht vergrabe ich im Kissen, um mein lustvolles Stöhnen zu ersticken, das unsere Bewegungen rhythmisch begleitet, auch wenn ich weiß: Je schamloser der Beischlaf ist, desto schöner ist er.

Er hält mich eng an sich gepresst. Diese Stellung mag ich am liebsten, und ihm ergeht es ebenso. In dieser Position begegnen sich, wenn auch aus unterschiedlicher Sicht, unsere Blicke. Das Wichtige ist, dass sie überhaupt aufeinandertreffen.

Ich vergesse meine Freundin, und jede theoretische Erörterung löst sich in der lustvollen Verschmelzung unserer Körper auf. Geliebter?

Freilich war es dem Denker nicht zu verübeln, dass er dieses Wort gebrauchte. Ich kann das nicht, weil ich von einem anderen sprachlichen Planeten stamme. Es ist der Planet der weiblichen Sprache, die darauf wartet, dass ich sie erschaffe. Gewöhnlich suche ich Hilfe bei Wörterbüchern, aber dort finde ich nur unbefriedigende Antworten. Die Worte und das dahinterliegende Konzept engen mich ein. Der Sinn des Wortes „Geliebter“ ist zu allgemein gefasst, als dass ich es für die Männer verwenden könnte, denen ich begegnet bin. Trifft das auch auf den Denker zu? Geliebter?

Das Sich-Begegnen steht am Anfang. Ein verstohlenes Aufblitzen in einem Blick, und schon spüre ich die Erwiderung in mir. Eine Empfindung ohne Absicht. Gleich im ersten Augenblick. Noch bevor der Freier das Beglaubigungsschreiben seines Begehrens überreicht. Auf meine Begierde kommt es an, meine ureigenste Begierde.

„Ja“ oder „Nein“? Die Entscheidung entzündet sich in einem einzigen Blick. Der Entschluss kommt quasi von ganz allein, setzt alle Regeln außer Kraft. Ich höre bloß noch meine eigene Stimme. Die Stimme meiner Begierde, die mich nur selten überfällt.

Mein moralisches Empfinden hat nichts mit den Werten der Welt zu tun, die mich umgibt. Werte, die ich schon vor so langer Zeit aufgegeben habe. Meine persönliche Moral bestimmt mein Handeln und liefert mir den Maßstab dafür. Den Prinzipien gemäß, die ich für mich aufgestellt habe. Mich interessiert nur, inwieweit sich das, was ich tue, auf mich und mein Leben auswirkt– mein strahlendes Gesicht nach der Liebe, der Glanz in meinen Augen, das Gefühl, mit meinem Körper eins zu sein, die Glut der Worte, die in meiner Brust brennt und sich zu Geschichten formt.

Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano. Bitten soll man darum, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist sei… Gesundheit und Wohlsein durch Sex: Das wusste ich bereits, bevor ich meine geliebten erotischen Bücher der arabischen Literatur las, die mir recht gaben.

Der Weltenbummler sagte: „Du lässt keinen anderen Mann als deinen Ehemann gelten.“

Er sagte: „Du weist jeden Mann in die Schranken, der dich begehrt. Deine hohen moralischen Maßstäbe lassen dich die Gesellschaft des Mannes fürchten, ebenso wie sein Urteil.“

Er sagte: „Das sind die Reste deiner alten puritanischen Erziehung, die dich verkrüppelte, lähmte und in Ketten legte. Deshalb würdest du ein Ja als Selbstaufgabe begreifen.“

Er sagte: „Du hast Angst, in den Augen des Mannes nicht mehr so strahlend dazustehen, wenn du dich ihm hingibst.“

Er sagte: „Du hast nicht genügend Vertrauen in deinen Körper und wagst es deshalb nicht, dich nackt vor einem Mann zu zeigen.“

Er sagte: „Du befürchtest, dass ein Mann, sobald du ihm zu Willen bist, über dich herrschen will.“

Er sagte: „Du willst nicht wie deine Freundin sein, die zu jedem Mann Ja sagt, weshalb du sie für eine Schlampe hältst.“

Ich sagte: „Gut möglich.“ Dabei wusste ich, dass ich Lichtjahre von dem Bild, das er sich von mir machte, entfernt war.

Ich sagte: „Gut möglich.“ Weil ich ihm die Worte nicht ins Gesicht sagen wollte: „Wenn ich mich dir verweigere, dann heißt das noch lange nicht, dass ich mich allen Männern verweigere.“

Ich sagte: „Gut möglich.“ Und so ließ ich ihn im Glauben, dass ich seine Schlussfolgerungen für richtig hielt. Es gehört zu dem Spiel, das ich spiele. Zu meiner Rolle, die ich in der Gesellschaft so erfolgreich ausfülle.

Einen bestimmten Mann abzulehnen soll bedeuten, dass ich von Männern nichts wissen will? Dass ich, wenn ich zu einem Mann Nein sage, auch zu allen anderen Männern Nein sage? Das ist eine typisch männliche Interpretation, die aber nicht nur den Männern, sondern vor allem mir zupass kommt.

Ich sagte: „Gut möglich.“ Weil ich mich vor ihm nicht entschleiern wollte.

Was sollte ich Männern wie ihm sagen? Dass ich mich nur von meinem Willen leiten lasse? Dass mich ihre Ansichten, Werte, moralischen Vorstellungen genauso wenig angehen wie gesellschaftliche Normen, Religion und Traditionen? Dass ich das Gerede der Leute genauso wenig fürchte wie tödliche Strafen und das Schmoren in der Hölle?

Ich weiß, dass ich von Natur aus polygam bin. Wie wahrscheinlich die meisten Frauen. Im Gegensatz zu dem, was man uns beigebracht hat. Vielleicht sollte ich statt polygam besser sagen, dass ich zu Polyandrie neige.

Vor einigen Jahren hörte ich ein Interview mit Alberto Moravia. Darin sprach er über die sexuelle Vielfalt der Frau. Für mich kamen seine Worte einer Offenbarung gleich. Er brachte auf den Punkt, was ich längst fühlte und lebte. Später stieß ich in einem Buch eines zeitgenössischen französischen Philosophen auf eine ähnliche Aussage. Ihm zufolge haben alle Menschen eine Veranlagung zur Promiskuität, also Frauen genauso wie Männer. Voller Vergnügen verschlang ich sein Buch, obwohl es nicht erst dieser Lektüre bedurfte: In mir spürte ich längst die Richtigkeit dieses Gedankens.

Hörte ich das Interview mit Alberto Moravia vor oder nach der Zeit des Denkers? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.

Las ich den französischen Philosophen vor oder nach der Zeit des Denkers? Auch das weiß ich nicht mehr.

© Hoffmann und Campe ©

Literaturangaben:
AL NEIMI, SALWA: Honigkuss. Übersetzt aus dem Arabischen von Doris Kilias. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. 128 S., 14,95 €.

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: