Von Matthias Hoenig
In Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise kann der Buchtitel zunächst zynisch wirken: „Die Kunst des erfolgreichen Abstiegs – Vom guten Leben jenseits der Karriere“. Doch die Provokation macht Sinn. Der Autor Hans Ruoff, jahrzehntelang im hektischen Fernseh- und Nachrichtengeschäft Journalist und heute selbstständiger Schreibtrainer in Berlin, hat ein außergewöhnlich authentisches Lebenshilfe-Buch geschrieben – weil es hautnah Betroffene zu Wort kommen lässt und zugleich arbeitssoziologische und psychologische Mechanismen übergreifend analysiert.
Fünf konkrete Einzelschicksale machen deutlich, dass ein ungewollter oder freiwilliger Karriereknick Chance für ein sinnerfüllteres, zufriedeneres und ausgeglicheneres Leben sein kann (aber natürlich nicht sein muss).
In vier Beispielen – die Namen und beruflichen Positionen werden offen genannt – geht es um einen unfreiwilligen Karriereknick: Wegen Burn-Outs, (unverschuldeter) Insolvenz, einer Umstrukturierung mit Personalabbau, eines verlorenen Machtkampfs im Unternehmen. Alle vier werden sich nach schwierigen Phasen in einer für sie persönlich befriedigenderen Lage befinden, alle mit deutlich weniger Geld, aber auch weniger Stress. Das fünfte Beispiel handelt von einer hochqualifizierten Biologin, die der Liebe wegen einen Industrie-Traumjob in England freiwillig aufgibt und stattdessen zur Behörde in Berlin wechselt, um mit ihrem Mann dort zusammen leben zu können.
Die Lehre, die das Buch anhand der Beispiele vermitteln will, ist einfach: Mensch bleiben, sich selbst nicht verlieren. Trotz immer stärkerer Arbeitsverdichtung, trotz betrieblicher Sachzwänge, trotz steigender zeitlicher Überbeanspruchung durch den Arbeitgeber. Drei Fragen sollte sich jeder stellen: Wie will ich mein Leben künftig gestalten? Wieviel Geld brauche ich wirklich? Wie wichtig ist Zeit für mich?
„Vor allem Jüngere und Hochqualifizierte nehmen es nicht mehr hin, dass die Firma alles diktiert: das Tempo, die Arbeitszeit, den wechselnden Einsatzort“, schreibt Ruoff. Eine gute Kinderbetreuung sei für „die neuen Nachdenklichen“ bei der Wahl eines Arbeitgebers genauso wichtig wie das Gehalt. „High Potentials wollen mehr als nur Karriere“, berichtet die Deutschland-Personalchefin von Microsoft, Brigitte Hirl-Höfer. Auch in Deutschland erwartet die zitierte Arbeitssoziologin Almut Kirschbaum, dass sich die Unternehmen in Zukunft mehr in Richtung Work-Life-Balance bewegen – aber nicht für alle Beschäftigen, sondern nur für die Hochqualifizierten.
Was das Buch so lesenswert macht, ist die Offenheit der Menschen, die über ihren beruflichen Karriereknick, ihre Gefühle, Ängste, aber auch den gelungenen Weg aus der Krise sehr freimütig berichten. Das macht Mut und eröffnet neue Sichtweisen. Die Praxisberichte von Coachs und Therapeuten können helfen, eigene Verhaltensstrategien im Berufsleben zu entwickeln. „Ich denke, wir müssen uns davon verabschieden, dass es so etwas wie eine planbare Karriere gibt“, sagt die Arbeitsmedizinerin Marianne Engelhardt-Schaden. Insgesamt ist Ruoffs Buch ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben, in dem der berufliche Erfolg nicht alles ist.
Literaturangaben:
RUOFF, HANS: Die Kunst des erfolgreichen Abstiegs – Vom guten Leben jenseits der Karriere. Herder, Freiburg 2008. 160 S., 8,95 €.
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