Von Christiane Lotto
Der Titel provoziert einen Seufzer. Musste es so preziös sein? Aber wer das Buch aufschlägt, findet in seiner Mitte ein Juwel: den aus 46 Gedichten bestehenden Zyklus „schmetterlingssäge doc.“.
Schmetterlinge zersägen – was für eine Vorstellung! Als werde das Zarte, Beglückende, ja die Poesie selbst hingeschlachtet. Nicht nur die literarische, sondern auch die, die (selten genug) durch unser Leben flattert. Dimmen wir das Bild herunter auf unsere Alltagserfahrung, stellt sich die Säge als Zwang und Fremdbestimmung dar. „nach jahren der lohnarbeit / an der schmetterlingssäge / begannen wir endlich die nachteiligen / wirkungen des goldstaubs zu spüren…“ Selbst wenn es das Gold des Kunstwerks ist, was da staubt, oder das der emotionalen Zuwendung - die „lohnarbeit“ lagert ihre Sedimente in unseren Lungen ab, die Sprache wird „dürftig“ darüber. Wir reden Formelhaftes, verlieren die eigenen Wörter, schließlich uns selbst.
Alle Gedichte bilden die Säge durch die gegeneinander versetzten Verspaare ab. Diese gleichzeitig luftige und, in der Wiederholung, stabile Form ist offen für die überraschendsten Inhalte. Täuschend spontan, doch genau austariert treffen Mondkrater und Walnüsse, Schneewittchen und Bärenspuren aufeinander und erzeugen semantische Beben, aber auch ästhetischen Genuss und zustimmendes Lächeln. Die Pfade literarischer Anspielungen reichen zurück bis Sophokles, während am Wegrand „unser / noch junges buntmetallglück“ aufscheint. Das Ziel solcher Kombinatorik ist nicht der grelle Effekt, sondern ein intensives Leuchten. Ein Kopfkino voller Bilder, manchmal rätselhaft, immer suggestiv und nah an dem, was wir „unser Leben“ nennen: „die liebevoll umzäunte anlage kind. / das versöhnliche plaudern der großen väter. / die trockenmilch der stunden“
Wie man sich durchfrickelt von Woche zu Woche, das Ich ein Restbestand (immerhin sehr fühlbar), der Boden teils zubetoniert, teils schwankend; die Art, wie der Mensch ins Vorhandene eingreift und die befremdlichen sozialen Riten, denen er folgt, all das durchdringt den Zyklus von Anfang bis Ende und wird lakonisch kommentiert: „bei sachgemäßer lagerung / halten unsre tage acht, vielleicht / zehn stunden…“ Dieser Echoraum ist uns vertraut, selbst wenn er das sichere Fundament verweigert. Der Ton kann flapsig sein, nicht zuletzt durch umgangssprachliche Elisionen wie „unsre“ oder „sahn“ (Thomas Kling grüßt), Ironie gibt es reichlich, auch Witz. Wie sonst ließe sich das Ernste verhandeln, das Melancholische und das Gefühl? Plötzlich aber endet ein Gedicht, das so sperrige Begriffe wie Zeit und Selbstreflexion durchdekliniert, mit der Zeile: „und hätten die liebe nicht.“ Treffer, wirkungsvoll.
Regiert wird der Zyklus von der magischen Sieben (sieben Kapitel zu sieben Gedichten), aber als Fragment: das letzte Bündel enthält nur vier Texte. Die Perle ist nicht überall glatt, sondern hat eine Schramme, gerade das verbürgt ihre immer noch mögliche Existenz. Weithin überstrahlt sie die umgebenden Concetti und Strips und was da sonst noch die Seiten füllt. Aber Hinreißendes gibt es auch dort, gleich auf der ersten Seite. Ein Liebesgedicht für die innerste Manteltasche und eine Winterbewältigungshilfe dazu: „immer noch februar, / wieder trifft man uns im stadtpark an, // wo wir auf den durchgeweichten bänken / für die magnolienblüte probesitzen...“ Wer da nicht mitschwingt, ist wohl schon erfroren.
Literaturangabe:
RUDOLPH, ANDRE: fluglärm über den palästen unsrer restinnerlichkeit. Illustriert von Annette Kühn. luxbooks Verlag, Wiesbaden 2009, 104 S.,18,50 €.
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