Von Stephanie Schick
Pünktlich zum Mauerfalljubiläum hat auch Alexander Osangseinen Festbeitrag geliefert - und zwar in Form einer Liebesgeschichte. Aufgrund innerdeutscher und sozialer Differenzen rennen ein Ost-Mann und eine West-Frau immer noch gegen Mauern an.
Schauplatz ist der Berliner Klischee-Stadtteil „Prenzlauer Berg“, der zu Ostzeiten als Künstlerrefugium galt und heute als Mekka für bessergestellte Yuppies dient. Schauspieler haben sich dort moderne Lofts gesichert. Kaum ein Altbau, der nicht komplettsaniert ist. Auf die quirlig-lebendigen Hinterhöfe von einst kommt man heute nur noch mit gültigem Zahlencode.
Und mit diesem Gegensatz wären wir im Kern der Geschichte angekommen. Eine gut situierte Münchenerin, die oft mit ihrer Tochter allein ist, während ihr Mann Geschäftsreisen absolviert, fühlt sich vom Lärm einer Projektgruppe arbeitsloser Künstler gestört. Prompt beschwert sie sich persönlich bei diesen sozialen Außenseitern und begegnet Andreas. Auf unerklärliche Weise wird sie ihn immer wieder an den unterschiedlichsten Orten Berlins treffen.
Und so kommt es, wie es kommen muss. Die verkrachte Ostexistenz Andreas und die erfolgreiche Westfrau Ulrike verlieben sich ineinander. Eine Liaison entspinnt sich, trotz oder gerade wegen aller Unterschiede. Für Andreas völlig unverständlich, erklärt sie ihm den Osten, aus dem er kommt. Ulrike kennt Schriftsteller von damals, deren Namen er nie hörte. Seine stromlinienförmige Angepasstheit in der DDR stößt ihm angesichts der verpassten Möglichkeiten bitter auf. Die Westfrau Ulrike klammert sich wiederum an die Authentizität dieses realen Versagers. Hauptsache sie kann ihrem ereignislosen Leben entfliehen.
Dass beide nicht dauerhaft zueinander finden, überrascht kaum. Zu verschieden sind diese Charaktere, zu festgefahren in ihren Lebenslagen, zu glatt konstruiert aus Osangs Feder geronnen. Der Leser ahnt von vornherein, dass aus diesem ungleichen Paar nichts werden wird. Leider besteht in ebenjener Schnörkellosigkeit das Problem des Buches. Vieles ist absehbar und wirkt abgedroschen. Die Dialoge bedienen Klischees und schmecken fade. Darüber hinaus zeichnet die Protagonisten eine enorme Begriffsstutzigkeit aus.
Gespräche, die immerfort Fetzen des letzten Satzes aufgreifen, schmälern das erzählerische Potential des Plots. Die Suche nach Wahrhaftigkeit, die die Menschen dies- und jenseits der Mauer beschäftigte und immer noch beschäftigt, passt nicht zu der aufgesetzten Redeweise. Auch die verschiedenen Erzählstränge verknoten sich daher eher, als das sie Licht ins Dunkel brächten. Hier wird viel erklärt, was keiner Erklärung bedarf.
Dem originellen Ende wird so früh der Wind aus den Segeln genommen und so manche Passage wirkt unfreiwillig komisch. Dabei gestaltet sich das „Zwischenparken von schwer zu vermittelnden Arbeitslosen“ in diversen Projekten doch als großes Problem unserer Gegenwart. Den vielen arbeitslosen Berliner Schauspielern, die immer wieder im Buch auftauchen, dürfte ihr Gastauftritt in diesem Mauerfallroman missfallen. Auch das allzu deutlich betonte Getue der Westler schrammt an der Wirklichkeit vorbei. Es mag schon stimmen, dass Heerschaaren schwäbischer Protestantenkinder nach Berlin zum Studium aufbrechen. Doch sie besiedeln nicht ausschließlich bestimmte Straßenzüge und feiern sich selbst.
Kurzum: Die überschüssigen Klischees lösen sich auch in der Schizophrenie des Protagonisten nicht auf. „Königstorkinder“ versammelt zu viele gängige Vorurteile, um ein stimmiges Ganzes hervorzubringen und die Mauer in unseren Köpfen pünktlich zum 20. Jahrestag endgültig abzureißen.
Literaturangabe:
OSANG, ALEXANDER. Königstorkinder, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2010. 333 S., 19,95 €.