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Die Münchner Bildhauerschule

Katalog zur Ausstellung in Passau, Güstrow und Berlin

© Die Berliner Literaturkritik, 23.04.09

 

Der Münchner Bildhauer Hans Wimmer hatte noch zu Lebzeiten einen großen zusammenhängenden Werkkomplex aus allen Schaffensperioden dem Oberhausmuseum Passau gestiftet und selbst noch die Dauerausstellung dort gestaltet. Ihn zu seinem 100. Geburtstag 2007 zu ehren, war von diesem Museum ausgegangen. Aber in der Zusammenarbeit mit der Ernst Barlach Stiftung Güstrow und dem Georg-Kolbe-Museum Berlin bezog man sein Werk in einen Rückblick auf 100 Jahre Münchner Bildhauerschule mit ein. Diese Ausstellung, klassische Themen wie Figuren und Torsi, Porträts und Köpfe, Tierplastik wie Bildhauer-Zeichnungen, aber nach 1945 auch neue abstrakte Formerfindungen umfassend, kann man jetzt nach Stationen in Passau und Güstrow bis 13. April 2009 im Georg-Kolbe-Museum betrachten.

Der von Volker Probst (Ernst Barlach Stiftung Güstrow), Max Brunner und Adolf Hofstetter (beide Oberhausmuseum Passau) herausgegebene Katalog enthält eine Reihe von speziellen Aufsätzen zur Münchner Bildhauerschule und ein von Ludger Drost kommentiertes Verzeichnis der ausgestellten Werke. Raimund Hoffmann beschäftigt sich mit Berlin und München als Zentren der deutschen Plastik im 19. und 20. Jahrhundert. Christa Lichtenstern stellt unter dem Titel „Zur ‚Formidee’ vordringen“ Beobachtungen zur Münchner Bildhauerschule nach 1945 an. Ursel Berger widmet sich der Wirksamkeit der Münchner Bildhauer Adolf von Hildebrand, Hermann Hahn, Ignatius Taschner, Georg Wrba, Ludwig Kasper und Lothar Fischer in Berlin.

Birgit Joos beschreibt die Jahre 1924 bis 1944 an der Münchner Kunstakademie, die in der NS-Zeit zur „Vorzeigeakademie“ wurde und bei einem Bombenangriff im Juli 1944 zerstört wurde. Die Stellung der Bildhauerkollegen Gerhard Marcks und Hans Wimmer zwischen Antike und Moderne stellt Jürgen Fitschen dar, wobei er besonders auf die einflussreiche Rolle des klassischen Archäologen Ernst Buschor eingeht. Uta Kuhl arbeitet wichtige Schaffensperioden im Werk von Hans Wimmer heraus, während sich der Bildhauer Helmut Heinze Hans Wimmers Schrift „Über die Bildhauerei“ als einem bedeutenden Bildhauer-Zeugnis zuwendet. Diese Beiträge liest man mit großem Gewinn, aber auch das Betrachten der aufgeführten Bildhauer-Arbeiten regt zu nicht weniger wichtigen Erkenntnissen, Vergleichen und Schlussfolgerungen an.

Adolf von Hildebrand war sozusagen der Begründer der Münchner Bildhauerschule, seinem klärenden Vorbild wie auch seiner Schrift „Das Problem der Form“ (1893) blieben die nachfolgenden Bildhauer zutiefst verpflichtet. Er schmückte die bayrische Hauptstadt mit wohlgestalteten Wasserspielen, wie dem Wittelsbacher Brunnen und dem Hubertusbrunnen, mit denen er die dazugehörige Architektur selbst schaffen konnte. Der kubische Block, die feste Form mit reinen Umrisslinien waren für Hildebrand das bindende Formgesetz. Seine innovative Kraft bezeichnet die Kunsthistorikerin Christa Lichtenstern mit dem Stichwort „Formenhoheit der Figur“. Das gilt auch für die „Jugendliche Pilgerin“ (um 1916) in ihrer maßvollen Körperhaltung oder das Porträt Werner Siemens (1892/1902) in seiner ernsten Art der Charakterzeichnung.

Seit 1912 war Hermann Hahn als Nachfolger Hildebrands an der Akademie der Bildenden Künste München für die Bildhauerei verantwortlich. In seinen allegorischen Figuren „Elegie“ und „Schönheit“ (beide 1918) verschmelzen Aktfigur und Gewand zu einer Form, die „Geistiges“ zum Ausdruck bringen will. Dagegen folgen die korrespondierenden Knaben- und Mädchenfiguren „Renato und Lia“ (1931) des Hahn-Schülers Josef Henselmann eher dem klassischen als dem archaischen Figurenideal seines Lehrers. Der sinnliche menschliche Körper trägt bei aller Idealisierung auch individuelle Züge. Zu Hahns bekanntesten Schülern zählen Toni Stadler und Ludwig Kasper. Stadler entwickelte einen archaisierenden Stil. Die Form erscheint bei ihm nicht gebaut, sondern wächst organisch, die Konturen fließen.

Dagegen ist der Körper von Kaspers „Arethusa“ (1940) in seiner strengen Frontalität aus stereometrischen Grundformen gebildet. Die beiden Arme sind – abwehrend oder beschwörend – so erhoben, dass sowohl Unter- und Oberarm, aber auch Oberarm und Oberkörper einen rechten Winkel bilden und der Gestalt eine suggestive Wirkung verleihen. Anton Hillers „Weibliche Figur mit erhobener Hand“ (1930), eine streng frontale, massige Gestalt, hat den linken Arm abwehrend erhoben, während der rechte abgewinkelte Arm nach vorn weist. Auch Heinrich Kirchner, der in den 1930er Jahren die Bronzegießerei der Münchner Akademie leitete, entfernte sich von der klassischen Figur und ging in „Eva mit erhobener linker Hand“ (1936) und im „Horcher Adam“ (1939) zu einer expressiven Steigerung der Gestik über, die in der Adam-Figur nicht mehr das einfache Hören, sondern das auf Transzendenz gerichtete „Horchen“ in Szene setzt.

Neben Hahn erhielt Bernhard Bleeker – wie jener ein Anhänger der Kunst Hildebrands – 1922 eine ordentliche Professur für Bildhauerei. Sein „Jüngling“ (zwischen 1937 und 1960) führt in verinnerlichter Haltung eine in den Raum greifende Armbewegung aus. Wie sehr er sich neben der Orientierung an Hildebrand auch an die Formensprache der Antike gehalten hat, zeigt der Torso des „Jünglings“ (zwischen 1937 und 1948). 1928 nahm Hans Wimmer das Studium bei Bleeker auf. Er führte die Tradition der Münchner Bildhauerschule im 20. Jahrhundert fort und bereicherte sie mit seinem Oeuvre von künstlerischer Geschlossenheit und menschlicher Tiefe. Weich ausmodelliert, teilweise sogar verschliffen, sind die Körperformen des „Römischen Jünglings“ (1940).

Wimmer hatte vor allem eine ausgesprochene Porträt-Begabung, wie das sensitiv charaktervolle „Porträt Gabriele Wimmer“ (1937) ebenso bezeugt wie auch das mehr auf Abstraktion der Großform setzende Porträt seines Bildhauerkollegen Gerhard Marcks (1959). Eine Professur erhielt er aber nicht in München, sondern erst 1949 in Nürnberg. Sein ausgeprägter Sinn für den Zusammenklang von Plastik und städtischem baulichen Raum kommt im Richard-Strauß-Brunnen (1962) und im Kaiserstandbild Ludwigs des Bayern (1967) in München zum Ausdruck.

Toni Stadler, der 1946 eine Bildhauerklasse an der Münchner Akademie übernahm, und Wimmer repräsentieren auf sehr individuelle Weise die Tradition Münchner Bildhauerei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wimmers liegender weiblicher Akt „Desdemona“ (1976) scheint mehr zu schweben als zu ruhen, doch in der angespannten Haltung aller Glieder sucht er der Liegeposition die gleiche geistige Konzentration zu geben wie dem aufrechten Stehen. Während Wimmer unverrückbar auf Festigkeit und Erfüllung der Volumen drang, nahm Stadler noch im Alter Anregungen von den bewegten biomorphen Formabläufen eines Henri Laurens oder Henry Moore auf. Eine vibrierende Spannung liegt seinen herben Gestalten zugrunde. In den Jünglings- und Mädchenköpfen mischt sich Archaisches mit nuancenreicher Psychologie der Moderne.

Stadlers Schüler Michael Croissant oder auch der Anton-Hiller-Schüler Fritz Koenig beschritten dann ganz eigene, unkonventionelle Wege in der Plastik und setzten damit neue Akzente in der Reduktion der menschlichen Figur bis zu ihrer Auflösung. In Wilhelm Uhligs Torsi bleibt der Bezug zur Figur in der abstrakten Form weiter erhalten. Im Protest gegen das Diktat der „Form“ bildete sich bei Hans Matthäus Bachmayer und Lothar Fischer eine stark vom Informel geprägte Form der Bildhauerei heraus, die in der Erfindung des „Antiobjekts“ eine Entgegensetzung sucht.

So vereinigt die Münchner Bildhauerei – die menschliche Gestalt blieb ihr bevorzugter Gegenstand – progressive wie konservative Tendenzen. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass die Münchner Akademie in den 1930er/1940er Jahren eine „Vorzeigeakademie der Nationalsozialisten“ war, dass aber vor allem die Bildhauer – von Ausnahmen abgesehen –, gestützt auf das klassische Menschenbild Hildebrands, sich doch von einem pathetisch gesteigerten, heroisierten Menschenbild ferngehalten haben. Sie setzten auf die reine und klassische Form, erkundeten aber auch bereits die Möglichkeiten von Reduktion und Abstraktion.

Literaturangaben:
PROBST, VOLKER u. a. (Hrsg.): Gestalt – Form – Figur. Hans Wimmer und die Münchner Bildhauerschule. Hrsg. von Volker Probst, Max Brunner, Adolf Hofstetter. Ausstellungskatalog. Passau, Güstrow, Berlin 2008. 216 S., mit 369 Abb., 24,50 €.

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