A Casa Nostra – Junge italienische Literatur, Paola Galli und Dalia Oggero - Herausgeber, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011, 207 S., 16,90 €.
Die „junge italienische Literatur“, also die der heute zwanzig- oder dreißigjährigen Autoren, müssen sich mit dem schweren Erbe einer großen Erzähltradition auseinandersetzen – den Romanen und Erzählungen der Gadda und Morante, der Ortese und Tabucchi und vieler anderer, die heute noch als Protagonisten gelten. Zudem sind diese Jungen, die sicher die Vorgänger kennen, meist nur „prekär“ beschäftigt, geben kleine Zeitschriften heraus oder arbeiten in anderen Berufen. Umso erstaunlicher ist, was zwei Lektorinnen des ehrwürdigen Turiner Einaudi Verlags im Auftrag des Wagenbach Verlages zusammengestellt haben: lauter kurze Texte von literarischer Qualität.
Viele handeln von Familien (die in Italien als die unbezwingbare Feste der Gesellschaft gelten), die bröckeln – oder wie viel davon noch übrig ist. Andere haben als Figuren Halbwüchsige in der Pubertät, Kinder fast noch, die die Riten und Ansprüche der Konsumgesellschaft verinnerlicht haben, ohne dass sie ihnen doch folgen könnten. Wovon handeln die Geschichte: Caterina Bonvincini (Jahrgang 1974) beschreibt den vergeblichen Versuch einer Sozialarbeiterin, eine vierzehnjährige Roma zu akkulturieren, und ihre Zweifel, ob sich solche Kinder aus ihrem Lebensumkreis, dem Roma-Stamm, überhaupt lösen sollten; Silvia Avallones Erzählung ist Geschichte einer fatalen Beziehung zwischen einem Kleinkriminellen und einem Kind; Gaia Rayneri dagegen schildert die fremde Welt eines autistischen Kindes; wie ein Junge das sommerlichen Leben auf einem Campingplatz (und die bevorstehende Trennung der Eltern) erfährt, beschreibt Alessandro Piperno; und Andrea Bajani erzählt von einem jungen Paar, das vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen und deren einziger Trost nur der Hund zu sein scheint.
Es sind fast ausschließlich Geschichten aus der Unterschicht oder der unteren Mittelschicht, die abzustürzen droht. Sie handeln von Aggression, Stumpfheit, unterdrückter Sexualität, vor allem im Bezug auf Kinder. Es ist eine trostlose Welt, die sich da auftut. Komik gibt es nur in wenigen Geschichten, die meisten sind todernst – und unironisch. Dabei beherrschen alle Autoren ihr „Handwerk“, können erzählen, wechseln zuweilen auch von einem präzisen Realismus ins Traumhafte, imaginieren Hoffnungen plausibel. Sie wissen, wie sie Figuren zeichnen müssen, sie sind gute Psychologen.
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Ob es nun an Vorlieben den beiden Herausgeberinnen Paola Galli oder Dalia Oggero liegt oder ob sie wirklich die ganze Breite der „jungen Literatur“ erfasst haben: Erstaunlicherweise spielt die Politik keine Rolle, wenn man von drei reimlosen Gedichten von Ascanio Celestini absieht, von denen das eine den regierenden Ministerpräsidenten verhöhnt. Der Alltag der Figuren ist sonst davon frei: wie hart die gesellschaftlichen Bedingungen sind, erfährt man auch so.
Es sind lauter Talentproben, sehr gute meist, die hoffen lassen, hier werde eine große Tradition fortgesetzt, wenn diese Autoren beginnen, statt Kurzgeschichten Romane zu schreiben, wie Michela Murgia, die in „Accabadora“ einen guten vorgelegt hat. Im vorliegenden Band zeigt sich die Schriftstellerin als leidenschaftliche Sardin, die größere Unabhängigkeit für ihre Insel einfordert: als „Traum“.
Es lohnt sich, diese Texte zu lesen.
Weblink: Wagenbach Verlag