Von Simone Humml
HAMBURG (BLK) – Ein Sitzbezug im Flugzeug verwandelt sich in Gartenmulch für Erdbeeren, aus Abfällen bei der Zuckerproduktion entsteht ein Tablett. Wie so etwas funktioniert schreiben Michael Braungart und William McDonough in dem Buch „Die nächste industrielle Revolution“. Das Konzept: Produkte werden von Beginn an so entwickelt, dass sie nach Gebrauch möglichst wieder komplett nutzbar sind. Cradle to Cradle oder von der Wiege zur Wiege nennen sie das Prinzip der echten Neuverwertung. Den größten Nährboden fand die Idee bislang in den Niederlanden, aber mehr und mehr schwappt die Welle auch nach Deutschland und andere Länder über.
So ist beispielsweise ein T-Shirt der deutschen Firma Trigema vollständig kompostierbar. Als Berater für das Projekt diente Trigema dabei die von Braungart gegründete EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg. EPEA – das steht für Environmental Protection Encouragement Agency – ist ein Motor für die Cardle-to-Cradle-Bewegung und arbeitet längst auch in London, New York, Moskau und in Sao-Paulo.
Von ihrem Wissen profitierten auch die Schweizer Firma Rohner Textil und der Stoffproduzent DesignTex, die einen Bezugsstoff für Flugzeugsitze und Sessel entwickelten. Der Stoff besteht unter anderem aus der Wolle neuseeländischer Schafe und der asiatischen Faserpflanze Ramie. Stoffabfälle können zu Filz verarbeitet werden, der sich als Gartenmulch für Erdbeeren oder Gurken eignet. Die Sitzbezüge der Schweizer Firma für den Airbus 380 seien sogar 20 Prozent günstiger, schreiben die Autoren.
Das Prinzip Cradle to Cradle funktioniert laut Braungart auch bei komplizierteren Produkten: Der Bürostuhl Celle der US-Firma Herman Miller „ist zu 99 Prozent recycelbar, besteht zu 33 Prozent aus recyceltem Material und lässt sich in fünf Minuten mühelos zerlegen“. Die Firma Earth Buddy in Hongkong produziert aus Rückständen der Zuckerindustrie Essensbehälter und Tabletts, die biologisch abbaubar sind.
Bislang gehe der Umweltschutz in Deutschland häufig in die falsche Richtung. Kunststoff wird zu weniger nutzbaren Kunststoffen umgewandelt, etwa zu Parkbänken, die dann nicht mehr weiterverwertet werden können. Metalldosen enthalten mehrere verschiedene Schichten, die beim Recyceln gemischt werden. „Wenn ein System zerstörerisch ist, sollte man nicht den Versuch machen, es effizienter zu gestalten“, schreiben die Autoren. „Stattdessen sollte man Möglichkeiten finden, es vollständige umzukrempeln, so dass es effektiv wird.“
Der erste Teil des 245-Seiten-Buches erklärt die spannende Geschichte des Prinzips Cradle to Cradle. Im zweiten Teil werden einzelne Produkte präsentiert, oft allerdings in etwas hölzernen Texten. Andere Beiträge lesen sich wie eine Werbebroschüre ohne konkrete Daten und Fakten zu den vorgestellten Produkten. Wer beide Buchteile liest, gewinnt dennoch einen guten Einblick in eine mögliche nächste industrielle Revolution. (phi)
Literaturangaben:
BRAUNGART, MICHAEL und McDONOUGH, WILLIAM (Hrsg.): Die nächste industrielle Revolution. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2009. 245S., 25 €.
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