(BLK) – Im Februar 2009 erschien im Campus Verlag „Die neue Weltwirtschaftskrise“ von Paul Krugman.
Klappentext: Schon vor zehn Jahren wies Paul Krugman auf die Rückkehr der ökonomischen Missstände hin, die die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre ausgelöst haben. Doch im Boom nach der Jahrtausendwende wurde seine Warnung vergessen. Jetzt steht eine neue Weltwirtschaftskrise vor unserer Tür. In seinem Buch zeigt der Nobelpreisträger, wie die mangelnde Regulierung der Finanzmärkte die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Weltwirtschaftskrise schuf. Er legt dar, welche Schritte unternommen werden müssen, damit die Krise eingedämmt und die Weltwirtschaft vor dem Absturz in eine tiefe Rezession bewahrt werden kann. Geschrieben in Krugmans typischem Stil – klar und deutlich, lebendig und unterhaltsam, dabei zugleich enorm fundiert –, wird dieses Buch sofort nach Erscheinen zu einem Grundpfeiler in der Debatte zur Lösung der Krise werden.
Paul Krugman, geboren 1953, lehrt an der Princeton University und ist einer der bedeutendsten und bekanntesten Wirtschaftswissenschaftler der Welt. 2008 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis. Er gilt als der wichtigste politische Kolumnist Amerikas und als sprachgewaltigster Ökonom unserer Zeit.
Leseprobe:
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Einleitung
Die meisten Ökonomen – sofern sie sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen – halten die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre für eine unnötige, vermeidbare Tragödie. Wenn nur der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Herbert Hoover angesichts des Konjunkturrückgangs weniger Haushaltsdisziplin geübt hätte; wenn nur die Notenbank (Federal Reserve) nicht auf Gedeih und Verderb zulasten der heimischen Wirtschaft am Goldstandard festgehalten hätte; wenn nur der Staat den bedrohten Banken mit Liquidität zu Hilfe geeilt wäre, um dem Bankenansturm, der sich 1930/31 anbahnte, frühzeitig zu wehren – dann hätte der Börsenkrach des Jahres 1929 nie solche Konsequenzen zeitigen können. Alles wäre bei einer ganz normalen, schon bald vergessenen Rezession geblieben. Und da ja Ökonomen wie Politiker ihre Lektion anscheinend gelernt haben, wird sich eine Depression dieses Kalibers bestimmt niemals wiederholen. Kein heutiger Finanzminister würde Andrew Mellons berühmtem Ratschlag folgen und mit einer Radikalkur alles vor die Hunde gehen lassen (alles „liquidieren“ – Arbeitsplätze, Börse, Farmer, Immobilien et cetera), um das System gleichsam von Grund auf zu sanieren.
Aber ist diese Zuversicht wirklich gerechtfertigt? Ende der neunziger Jahre geriet eine Gruppe asiatischer Volkswirtschaften – die zusammengenommen immerhin für ein Viertel der Weltproduktion sorgten und eine Bevölkerung von rund 700 Millionen auf12 Die neue Weltwirtschaftskrise wiesen – in eine Wirtschaftskrise, die in geradezu beängstigender Weise an die große Depression der dreißiger Jahre erinnerte. Wie in den Dreißigern schlug die Krise gleich einem Blitz aus heiterem Himmel zu, wobei die meisten Kommentatoren noch eine Fortsetzung des Booms prognostizierten, als der Abschwung längst an Dynamik gewonnen hatte; und wie in den Dreißigern erwiesen sich die gängigen wirtschaftlichen Rezepte als unwirksam, vielleicht sogar als kontraproduktiv. Die Tatsache, dass so etwas in unserer modernen Welt überhaupt noch geschehen konnte, hätte jedem, der einen Sinn für Geschichte hat, einen Schauer über den Rücken jagen sollen.
Mir jedenfalls erging es so. Die erste Auflage dieses Buches entstand als Reaktion auf die Asienkrise der neunziger Jahre. Während manche Beobachter diese Krise als spezifisch asiatisches Phänomen betrachteten, sah ich sie als ein schlechtes Omen für uns alle – als Warnung, dass die Probleme nachhaltiger Konjunktureinbrüche keineswegs aus der modernen Welt verschwunden sind. Es stimmt mich durchaus nicht fröhlich, dass ich mit meinen Befürchtungen Recht behalten habe: Während diese Neuauflage in Druck geht, kämpft ein Großteil der Welt – und zuvörderst die Vereinigten Staaten – mit einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die der großen Depression der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts eher noch stärker ähnelt, als dies bei der Asienkrise der neunziger Jahre der Fall war. Dabei glaubten wir, wirtschaftliche Schwierigkeiten der Art, wie Asien sie vor gut zehn Jahren erlebte und wie sie die Welt heute erneut bedrohen, inzwischen im Griff zu haben und somit verhindern zu können. Mochten in den schlechten alten Zeiten auch große, fortgeschrittene Länder mit stabilen Regierungen – wie Großbritannien in den zwanziger Jahren – mit längeren Stagnations- und Deflationsperioden ihre Probleme gehabt haben: Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritte von John Maynard Keynes bis Milton Friedman, dachten wir, sollte es künftig kein Problem mehr sein, derlei Entwicklungen zu unterbinden.
Mochten kleinere Länder – etwa Österreich 1931 – früher einmal den internationalen Kapitalströmen machtlos gegenübergestanden haben: Heute dürfte es angesichts des Sachverstands von Banken und Regierungen (ganz zu schweigen vom Internationalen Währungsfonds) keine Schwierigkeit mehr sein, rasch ein geeignetes Maßnahmenpaket zu schnüren, um solche Krisen rechtzeitig zu managen. Früher mochten Regierungen – wie 1930/31 die amerikanische – hilflos zugesehen haben, wie ihr Bankensystem zusammenbrach; doch in der modernen Welt gibt es ja schließlich die Einlagengarantie und außerdem eine mächtige Zentralbank, die solche Entwicklungen zu verhindern weiß, indem sie die bedrohten Einrichtungen rechtzeitig mit Liquidität versorgt. Zwar war kein vernünftiger Mensch so vermessen zu glauben, nun seien alle wirtschaftlichen Probleme ein für alle Mal vom Tisch; aber wir hatten schon das Gefühl, dass es so dick wie in den zwanziger und dreißiger Jahren nie mehr kommen könne. Eigentlich aber hätten wir bereits vor zehn Jahren sehen müssen, dass unser Selbstbewusstsein arg überzogen war. Japan steckte fast die gesamten neunziger Jahre über in einer ökonomischen Falle, die Keynes und seinen Zeitgenossen vollkommen vertraut vorgekommen wäre. Die kleineren asiatischen Volkswirtschaften wiederum stürzten praktisch über Nacht vom Boom in die Baisse – doch auch das Drehbuch ihres Niedergangs könnte geradewegs einem Werk der Wirtschafts- und Finanzgeschichte der dreißiger Jahre entstammen. Ich verglich das Ganze damals mit ehedem hoch infektiösen, dank der modernen Medizin aber längst als besiegt geltenden Bakterien, die sozusagen in einer neuen Variante aufgetaucht waren, gegen welche die üblichen Antibiotika nichts ausrichten konnten. Hier ein kurzer Auszug aus der Einleitung zur ersten Auflage: „Noch freilich ist die Zahl der Opfer gering. Dies kann jedoch für alle anderen nur heißen, alles daranzusetzen, um möglichst rasch neue Gegenmittel und prophylaktische Maßnahmen zu entwickeln, damit weitere Opfer vermieden werden.“
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Literaturangaben:
KRUGMAN, PAUL: Die neue Weltwirtschaftskrise. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009. 248 S., 24,90 €.
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