Werbung

Werbung

Werbung

Die Neuentdeckung eines einzigartigen Porträtisten

Kia Vahlands Künstlerbiografie „Sebastiano del Piombo. Ein Venezianer in Rom“

© Die Berliner Literaturkritik, 30.05.08

 

OSTFILDERN (BLK) – Kia Vahlands Künstlerbiografie „Sebastiano del Piombo. Ein Venezianer in Rom“ ist im Mai 2008 beim Verlag Hantje Cantz erschienen.

Klappentext: Kunst zum Lesen: Künstlerbiografie zu Sebastiano del Piombo, dessen Werk zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Sebastiano del Piombo (um 1485–1547) galt zu Lebzeiten zunächst als größte Hoffnung der venezianischen Malerei neben Giorgione, dann als schärfster Konkurrent Raffaels in Rom. Als einziger Renaissancekünstler vermittelte er zwischen der venezianischen und der mittelitalienischen Schule. Giorgiones, Leonardos und Michelangelos Ideen entwickelte er zu einem eindringlichen, farbintensiven und klassischen Stil weiter.

Der einfallsreiche Venezianer entdeckte als erster eine Technik, um in Öl auf Stein zu malen. Darüber kam es zum Streit mit seinem engen Freund Michelangelo, der meinte, diese Technik sei nur etwas für „Frauen und Faulpelze wie Sebastiano“. Deswegen denunzierte Giorgio Vasari Sebastiano in seinen Viten posthum als faul, was eine jahrhundertlange Missachtung von del Piombos Werk zur Folge hatte. Eine Neuentdeckung des einzigartigen Porträtisten ist überfällig. Die Biografie ergänzt den Katalog zu den Ausstellungen in Rom und Berlin im Jahr 2008. (car/wip)

 

Leseprobe:

© Verlag Hatje Cantz ©

1. Sebastiano in Venedig

Kurz nach 1500 tingelt ein junger Mann mit seiner Laute durch Venedig: Sebastiano Luciani. Schnell werden die gebildeten Adeligen auf den Sänger aufmerksam, der seinem Instrument ohne weitere Begleitung immer neue Töne entlockt. Sie laden den rund Zwanzigjährigen ein, in ihren Salons zu spielen. Der Musiker unterhält die bessere Gesellschaft und lernt schnell ihre Umgangsformen. Als Lautenspieler interessiert er sich auch für Poesie, denn oft werden vertonte Gedichte bei Feiern vorgetragen. Vielleicht begegnet er in den Palazzi auch dem Schriftsteller Pietro Bembo, der gerade an seinen Asolani arbeitet – dem 1505 veröffentlichten Prosastück mit integrierten Liedern, das von einer solchen Festgesellschaft erzählt.

Sicher aber erfährt er in diesen Kreisen, wer der beste und einflussreichste Künstler der Stadt ist: Giovanni Bellini (um 1435–1516). Sebastiano selbst scheint keiner Malerdynastie zu entstammen; der Beruf seines Vaters Luciano de Luciani ist nicht überliefert. Der junge Mann entscheidet sich also nicht aus familiären Gründen, sondern aus freien Stücken für die Malerei – eine Kunst, die zwar noch als Handwerk gilt, aber in der Kulturmetropole hochgeachtet ist: Giovannis Bruder Gentile Bellini durfte sogar in diplomatischer Mission nach Konstantinopel reisen, um im Auftrag der venezianischen Regierung für den Sultan des Osmanischen Reiches zu malen.

Obwohl Sebastiano an der Staffelei unerfahren ist, kann er laut seinem Biografen Giorgio Vasari (1511–1574) den alten Giovanni Bellini überzeugen, ihn als Lehrling aufzunehmen. Dessen Familienbetrieb führt die wichtigsten Großaufträge der Stadt und unzählige kleine Bestellungen aus. Sebastiano lernt Andachtsbilder zu malen. Die Venezianer fühlen sich Maria besonders verbunden: Sie glauben, dank ihr sei die am Verkündigungstag des Jahres 421 gegründete Stadt nie erobert worden. Das Bild der Madonna wird in den meisten Palazzi der Serenissima verehrt, oft schmückt es einen Privataltar, vor dem die Bewohner täglich beten.

Vermutlich ist Sebastiano auch an den großen Altartafeln beteiligt, auf die sich Giovanni Bellini spezialisiert hat: kontemplative Bilder mit Heiligen, die sich in der Landschaft des Veneto um den Thron der Muttergottes gruppieren, in Gedanken und im Gebet versunken. Der Mittsechziger Giovanni Bellini ist ein engagierter Lehrer: Neben Sebastiano fördert er auch Giorgione (um 1478–1510) und Tizian (um 1480/1490–1576). Er selbst lernte sein Handwerk von seinem Vater Jacopo, der ihm und seinem Bruder Gentile eine außergewöhnliche Studiensammlung mit eigenen Zeichnungen hinterließ – ein Fundus, von dem wohl auch noch die Lehrlinge der Werkstatt profitieren.

Nach ihrer exzellenten Ausbildung bleiben Giorgione und Sebastiano einander eng verbunden. Ein Zeitzeuge berichtet, Sebastiano habe sogar an Giorgiones Die drei Philosophen Hand angelegt (Abb. 1). Das ist schwer nachzuweisen, weil die Ideen der Freunde sich im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts ähneln. Beide haben bei Bellini gelernt, wie man Pigmente zerkleinert und mit Leinöl mischt, um die Farben zum Glänzen zu bringen. Und beide wollen mehr: einen Neuanfang.

Sie bringen ihre Bilder in Bewegung, lassen ihre Figuren gestikulieren und dem Betrachter nahe treten. Auf die üblichen Attribute, die Palmwedel und Accessoires der Heiligen, verzichten Giorgione und Sebastiano gern. Nichts erklärt sich nun mehr auf den ersten Blick. Ihre Gemälde handeln von nie zuvor gesehenen Dingen: Inspiriert von der enormen Buchproduktion in der Stadt, erfinden sie ihre Sujets frei nach der antiken Mythologie und der modernen Poesie. Ihre Bildbesteller sind nicht mehr nur die etablierten Patrizier und Kirchenleute, sondern auch gleichaltrige Junggesellen der besseren Gesellschaft.

Venedig führt seit 1508 Krieg gegen die Liga von Cambrai, in der sich zeitweilig die Großmächte vom Vatikan über den deutschen Kaiser bis zum französischen König gegen Venedig vereinigen. Während sich die Vätergeneration um Krieg, Politik und Diplomatie kümmert, feiern die jungen Patrizier in der Stadt auf ihre Art den venezianischen Sonderweg. Sie organisieren sich in privaten Vereinen, die sie nach der aktuellen Jünglingsmode benennen: „compagnie delle calze“, Strumpfhosengesellschaften. Auf ihren Veranstaltungen und Festen musizieren sie und diskutieren über Poesie, Kunst und die Liebe. Sie schätzen sinnreiche literarische Anspielungen; ihr Traum von einer schöneren Welt nährt sich aus den Geschichten der Antike und der zeitgenössischen Dichtung.

Die jungen, noch unverheirateten Männer wollen neue, andere Bilder. Ihren Malerfreunden, die wie der Lautenspieler Sebastiano in den Palazzi ein- und ausgehen, lassen sie großen Spielraum. Es zählt die „invenzione“, die freie Erfindung. Ein Werk muss nicht leicht verständlich sein, es soll das Auge verführen, alle Sinne reizen und Stoff zum Interpretieren und Diskutieren bieten. So entstehen Gemälde, die zu den geheimnisvollsten der Kunstgeschichte zählen – Die drei Philosophen etwa sind bis heute nicht eindeutig entschlüsselt, selbst über den Bildtitel wird immer noch gestritten.

Wie sich Sebastiano langsam, aber entschieden von Giovanni Bellinis Vorgaben löst, zeigt seine Sacra Conversazione in der Kirche San Giovanni Crisostomo (Abb. 2). Das großflächige Werk ist, soweit überliefert, sein erstes eigenständiges Altarbild – ein Großauftrag, der zeigt, wie anerkannt der Quereinsteiger bereits als Mittzwanziger ist. Später noch halten sich Sebastiano und seine Schwester in diesem Viertel auf, deshalb ist anzunehmen, dass der Maler aus jener Gegend nahe der Rialtobrücke stammt. Eine Anwohnerin, Caterina Contarini, setzt in ihrem Testament vom 13. April 1509 einen Beitrag von 20 Dukaten für Sebastianos Gemälde in San Giovanni Crisostomo fest. Dies ist selbst für einen jungen Maler ein zu geringes Honorar; zu vermuten ist, dass mehrere Gemeindemitglieder das Gemälde gemeinsam bestellt und finanziert haben.

Möglicherweise ist der Pfarrer der Kirche, Alvise Talenti, Ideengeber der innovativen Komposition. Im Mittelpunkt des Bildes sitzt Johannes Chrysostomo (um 349–407), der Kirchenlehrer und einstige Erzbischof von Konstantinopel. Seinen griechischen Namen erhielt er erst nach seinem Tod, er bedeutet „Goldmund“, weil Chrysostomo für seine Rhetorik und seine Bibelauslegungen berühmt war. Sebastiano platziert den alten Mann vor eine antikische Säulenkonstruktion. Entgegen der venezianischen Bildtradition Bellinis ist der Heilige nicht frontal, sondern im Profil zu sehen. So kann nicht nur Sebastianos klassisch schöner Johannes der Täufer einen Blick in das offene Buch auf dem Schoß des Heiligen werfen, sondern auch der Kirchenbesucher und Betrachter. Vermutlich schreibt Chrysostomo gerade an einem Kommentar auf die Bibel, zu entziffern sind nur Bruchstücke: Von „heiligen Dingen“ und von Gott ist die Rede, angedeutet in wenigen griechischen Buchstaben.

Mit seinem ungewöhnlichen Einfall, den Kirchenlehrer bei der Arbeit und von der Seite zu zeigen, erweist Sebastiano dem geschriebenen Wort seine Referenz. Auch später wird er offene Bücher malen und Schrift in seine Gemälde integrieren: Bei soviel Sympathie für die Gelehrsamkeit liegt nahe, dass Sebastiano selbst so belesen ist wie seine venezianischen Patrizierfreunde.

© Verlag Hatje Cantz ©

Literaturangaben:
VAHLAND, KIA: Sebastiano del Piombo. Ein Venezianer in Rom. 34 farbige Abbildungen. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008. 96 S., 19,80 €.

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: