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Die Neurosen des Mittelstands

Peter Hennings Familienroman „Die Ängstlichen“

© Die Berliner Literaturkritik, 04.11.09

BERLIN (BLK) - Der Roman „Die Ängstlichen“ von Peter Henning ist im August 2009 im Aufbau Verlag erschienen.

Klappentext: Über Taunus und Rhön gehen sintflutartige Regenfälle nieder. Sie sind Vorboten eines Orkans, der die Familie Jansen mit aller Zerstörungskraft trifft: Weil Johanna Jansen, die 80-jährige Patriarchin, in ein Wohnstift ziehen will, möchte sie ihre Kinder noch einmal um sich versammeln. Doch der Lebensabend wird für sie zur Sonnenfinsternis: Plötzlich verschwindet ihr Lebensgefährte, der Spieler und Hasardeur Janek, und Helmut, ihr ältester Sohn, sieht sich von einer tödlichen Krankheit bedroht, während sein jüngerer Bruder Christian aus der Psychiatrie flieht, um sich mit allen Mitteln nach Hause durchzuschlagen. Auch Ulrike, Johannas Tochter, begibt sich auf eine Reise, die für sie und ihren untreuen Mann zur Tortur gerät, derweil Ben Jansen um die Liebe seines Lebens kämpft. Als die Jansens ein letztes Mal zusammenfinden, ziehen erneut dunkle Wolken auf. Es sind die Schatten des Kleinmuts und der Angst, der Geltungssucht und Lieblosigkeit - die Schatten einer deutschen Familie.

Peter Henning wurde 1959 in Hanau geboren. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist für verschiedene deutsche und Schweizer Zeitungen, Magazine und Rundfunkanstalten. Er hat mehrere Romane und Erzählungen publiziert, die verschiedentlich ausgezeichnet worden sind. Seit Oktober 2008 leitet Henning den Bereich Literatur bei der Kunststiftung NRW. (kum)

Leseprobe:

©Aufbau Verlag©

Auf dem fünftgrößten Planeten im Sonnensystem herrschten in diesen Tagen Missstand und Furcht. Die Sonne, dieser bislang verlässliche, in 150 Millionen Kilometern Entfernung strahlende Begleiter, war im Begriff auszukühlen. In der Troposphäre ballte sich gefährlicher Ozonsmog, um die Nordhalbkugel früher oder später in eine Gaskammer zu verwandeln. Und nichts deutete auf eine Wiederherstellung der klimatischen Weltordnung hin, im Gegenteil: Laut Beaufort-Skala fegten in diesen Minuten Orkanböen der Windstärke 12 mit Ziel Südhessen über Mecklenburg-Vorpommern hinweg. Die eben noch im Glast blinkenden Türme Frankfurts schwanden stufenweise in einem öligen, steingrauen Wolkenschleier, und über Kesselstadt begann sich, mit Spitzengeschwindigkeiten von 175 Stundenkilometern, über Mainkur und Dörnigheim heranziehend, etwas Gewaltiges zusammenzubrauen. Doch noch hatte niemand in der Ankergasse, dem Epizentrum folgenschwerer Erschütterungen, den unheilverkündenden Aufruhr der Elemente bemerkt: den Übergang vom bleichen, eben noch unaufdringlichen Grau des Himmels in das metallische Grün eines wütenden Meeres, das, sich zunehmend verfinsternd, in Kürze mit aller Macht nach ihnen greifen würde. Johanna nicht, deren Wahrnehmung sich infolge ihrer zunehmenden Kurzsichtigkeit und des Grauen Stars, der ihre Linsen trübte, und deren Gehör manches nicht mehr erfasste, längst auf den begrenzten Radius ihres häuslichen Betätigungsfeldes beschränkt hatte. Und auch sonst niemand in dem drei Parteien beherbergenden, dreistöckigen und an seiner Stirnseite mit verwitterten, hellbraunen Schindeln verkleideten Vorkriegshaus spürte die sich anbahnenden Veränderungen. Ebenso wenig ihr Enkel Benjamin, der, eine knappe Autoviertelstunde von dort entfernt, am Schreibtisch seines 42-Quadratmeter-Apartments saß und an den letzten Sätzen seines Porträts der Fußballlegende George Best feilte. Nicht ihr Lebensgefährte Janek, der die Ankergasse zwei Tage zuvor überstürzt verlassen hatte und in diesem Moment in der Cafeteria des Kaufhauses Karstadt saß und begriff, dass er unter Umständen für längere Zeit nicht dorthin zurückkehren würde. Und auch all die anderen nicht, die, Johannas Definition folgend, zum innersten Kreis der Jansens gehörten: ihre Söhne Helmut und Konrad sowie ihre Tochter Ulrike und deren Ehemann Rainer, die inzwischen und in sicherer Distanz um die Ankergasse kreisten wie Satelliten um einen verseuchten Planeten.

©Aufbau Verlag©

Literaturangabe:

HENNING, PETER: Die Ängstlichen. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 492 S., 22,95 €.

Weblink:

Aufbau Verlag


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