Von Wilfried Mommert
BERLIN (BLK) – Ähnlich wie bei Günter Grass scheint es auch bei dem 1994 gestorbenen Schriftsteller Erwin Strittmatter („Der Laden“) Verdrängungen gegeben zu haben, wenn es um die Kriegszeit und mögliche Verbindungen mit der „doppelten Rune am Uniformkragen“ (Grass) in der eigenen Biografie geht. Der lange Schatten der NS-Zeit und die Literaten – ein offenbar noch immer nicht versiegendes Thema. „Er kämpfte im Zweiten Weltkrieg und desertierte schließlich“ hieß es bei dem 1912 geborenen Strittmatter bisher in einschlägigen Lexika, was dessen Kollegen und Literaturwissenschaftler Werner Liersch in Berlin zu Nachforschungen bis hin zum Bundesarchiv und den dortigen „Kaderakten der SED“ veranlasste.
Jetzt fand der Fallada-Biograf Liersch heraus, was bisher so nicht öffentlich bekannt war – dass der in der DDR renommierte und mit Millionenauflagen gedruckte, im Westen bis zur Verfilmung des „Ladens“ 1998 aber weitgehend unbekannte Autor und mehrfache Nationalpreisträger Strittmatter Angehöriger des 1943 der SS unterstellten „SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18“ war. Er sei dort bei der Film- und Bildstelle der „Ordnungspolizei“ gewesen, wie Liersch in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ offenbarte und der Deutschen Presse-Agentur dpa am Montag (9. Juni 2008) berichtete. Diese „Ordnungspolizei“ komme den Vernichtungskommandos der SS gleich, betonte Liersch, Historiker würden sie auch die „ethnischen Säuberer in Grün“ nennen, die auch an Partisanen-Bekämpfungen und Exekutionen beteiligt gewesen seien.
Auch wenn Strittmatter offenbar an keinen Verbrechen der SS beteiligt war „und doch mehr hätte wissen müssen“, kritisiert Liersch auch in diesem Fall „wieder diese deutsche Haltung, nicht alles zu offenbaren, was im Krieg wirklich geschah, ob im Osten oder Westen“. Ähnlich wie Grass ist auch Strittmatter in der DDR als so etwas wie eine „moralische Instanz“ angesehen worden.
Es sei doch aber vor allem „Sache des Schriftstellers im Besonderen, seine Erfahrungen zu bekennen, als Person und als Autor“. Das habe auch schon den Emigranten Brecht in der DDR umgetrieben mit der Frage „Auf welche Menschen stößt man hier eigentlich?“. Bei aller Kritik Strittmatters an der SED habe er seinen Lesern „nicht mehr gesagt als er doch zu sagen hatte“ und habe sogar nach dem Mauerfall 1989 geschwiegen als vermeintlich „apolitischer Mensch“, wie er sich selbst bezeichnet habe, meint Liersch zur dpa.
Die Witwe Eva Strittmatter sagte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montag, 8. Juni 2008), ihr sei „das alles unbekannt“, der ihr gut bekannte Germanist Liersch „überfalle“ sie mit seinen Enthüllungen. Und der Schriftstellerkollege Hermann Kant („Die Aula“, „Der Aufenthalt“) sagt in der Zeitung: „Obwohl wir Hunderte Stunden miteinander geredet haben, kamen unsere Militärkarrieren nicht vor. Das ist bei Autoren keineswegs ungewöhnlich, zumal bei den friedwilligen nicht.“ Und auf die Nachforschungen Lierschs angesprochen fügt Kant, der am 14. Juni 82 wird, hinzu: „Schlimm genug, aber ich denke, damit werden Erwin und ich schon fertig.“
Wieder einmal ist also offenbar eine „Wahrheit der Karteikarte“ aus den Tiefen des Berliner Bundesarchivs aufgetaucht, von der ja schon Autoren wie Martin Walser, Siegfried Lenz und Walter Jens im Zusammenhang mit ihrer früheren NSDAP-Mitgliedschaft konfrontiert wurden. Der ebenfalls betroffene Germanist Peter Wapnewski bemühte dafür sogar den Philosophen Friedrich Nietzsche: „Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz. Endlich gibt das Gedächtnis nach.“