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Die sinnliche Pracht Balzacs

Eine Biographie von Anka Muhlstein

© Die Berliner Literaturkritik, 09.02.11

ZÜRICH (BLK) – Die Biographie „Die Austern des Monsieur Balzac“ von Anka Muhlstein ist im Januar 2011 im Arche Verlag erschienen. Grete Osterwald hat sie aus dem Französischen übersetzt.

Klappentext: Wie sollte man sich Balzac anders vorstellen denn als unersättlichen Schlemmer, lebenshungrig, gierig nach Geld, nach Frauen, nach Ruhm? Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner sinnlichen Pracht wiederauferstehen. Honoré de Balzac war Asket und Gourmet, Hungerleider und Vielfraß in einer Person. Vor allem aber war der Autor der Menschlichen Komödie genial maßlos im Darben wie im Luxus: Phasen mönchischer Arbeitsdisziplin mit frugalstem Speiseplan wechselten bei Balzac mit regelrechten Freßzügen durch die Feinkostläden, Märkte und Bäckereien von Paris. Balzacs Leben fällt in eins mit dem Siegeszug der für die Zeitgenossen erstaunlichsten Hervorbringung der französischen Revolution: des Restaurants. Für den Romancier wie für den Menschen Balzac war das Restaurant eine Bühne, der ideale Ort zur Inszenierung seiner Sittengemälde und seiner Lust am Exzess. Balzacs Speiseplan ist ein Gesellschaftsroman eigener Art, sein obsessiver Konsum von Birnen, Kaffee oder Weintrauben verrät viel über seine Form der Weltaneignung.

Anka Muhlstein wurde 1935 in Paris geboren und lebt seit 1974 in New York. Die Historikern schrieb mehrere Monographien, u.a. über James de Rothschild und Cavelier de la Salle, für die sie von der Académie française ausgezeichnet wurde. Für ihre Astolphe de Custine-Biographie erhielt sie 1996 den Prix Goncourt. Seit mehr als dreißig Jahren ist sie mit dem Autor Louis Begley verheiratet. (kum)

Leseprobe:

 © Arche Verlag©

 II

 Herr Ober, die Karte!

Es gibt viele Gründe, nach Frankreich zu reisen: gotische Kathedralen, romanische Kirchen, Königsschlösser – lauter berühmte, reizvolle Sehenswürdigkeiten, aber der wahre Grund so mancher Tour de France ist doch die Jagd nach Sternen, den Michelin-Sternen, versteht sich. Historisch betrachtet ist das etwas Neues. Im achtzehnten Jahrhundert wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Aufenthalt in Frankreich gastronomisch zu begründen. Man aß dort sehr schlecht. Gewiss, bei den hohen Adligen und den kultivierten Bürgern gab es vorzügliche Tafeln, so reich gedeckt, dass die Tischgesellschaft kaum ein Drittel der dargebotenen Pracht verzehrte – was übrig blieb, ging zuerst an die Dienerschaft, dann an die sogenannten  „Auskratzer“, die auf Resteverwertung spezialisierten Höker. Aber die Fremden, die keine Freunde, kein Empfehlungsschreiben hatten, waren unangenehmen Gastwirten ausgeliefert und beklagten sich sowohl über die derbe Kost als auch über die Unbequemlichkeit der Unterkunft. Sie mussten sich mit dem begnügen, was ungefragt und meistens schlecht gekocht auf den Teller kam. In der Herberge zahlte man nicht für ein Gericht, sondern für das Recht, sich an den Gemeinschaftstisch zu setzen. Eine andere, kaum bessere Möglichkeit bestand darin, sich am Mittagstisch in einer Art Pension einzufinden, wo sich die angestammten Kostgänger zur festgelegten Zeit versammelten. Wenn ein Stuhl frei blieb, durfte der Fremde Platz nehmen, wenn nicht, musste er sein Glück anderswo versuchen. Angenehm war die Erfahrung nie. Nach den Schilderungen von Louis Sébastien Mercier, der uns in Mein Bild von Paris Einblick in die Verhältnisse des Jahres 1788 gibt, belagerten die Stammesser stets die Mitte des Tisches, wo die Hauptspeisen standen. Unermüdlich kauend machten sie sich darüber her und ließen nur Krümel für den armen Reisenden, der nie auf seine Kosten kam und sich obendrein ihr lärmendes und dämliches Geschwätz anhören musste. Der berühmte englische Agronom Arthur Young hat sich besonders über die aufgezwungene Nachbarschaft mit ungehobelten Tischgenossen beschwert.

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Oft gab der Besucher auf und kaufte sich am Ende lieber eine Wurst oder eine Scheibe Schinken beim Metzger, oder er suchte sich einen Grillkoch, wo es Gebratenes gab, ein Kotelett, vielleicht einen Hähnchenflügel, und aß aus der Hand, in seinem Zimmer. Wenn er ein Ragout wollte, musste er sich an einen Speisewirt wenden. Die Zünfte machten den unterschiedlichen Gewerben strenge Vorschriften und legten genau fest, wer was verkaufen oder zubereiten durfte. Somit verbot sich ein Restaurantbetrieb, wie wir ihn kennen, im Sinne eines Lokals, wo man an Einzeltischen eine selbst gewählte Mahlzeit essen kann und nur bezahlt, was man bestellt hat. Tatsächlich bezeichnete das französische Wort „restaurant“ im achtzehnten Jahrhundert keinen Ort, sondern allgemein etwas Stärkendes, „Restaurierendes “, in fester wie in flüssiger Form: ein Glas Wein, einen Likör oder auch eine besonders konzentrierte Bouillon, fast ein Fleischextrakt.

 © Arche Verlag©

Literaturangabe:

MUHLSTEIN, ANKA: Die Austern des Monsieur Balzac. Aus dem Französischen übersetzt von Grete Osterwald. Arche Verlag, Zürich 2011. 192 S., 19.90 €.

Weblink:

Arche Verlag


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