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Die Sprache funktioniert nicht

Klaus Hoffers Essays „Die Nähe des Fremden“

© Die Berliner Literaturkritik, 13.08.08

 

GRAZ (BLK) – 2008 ist die Essaysammlung „Die Nähe des Fremden“ des Autors Klaus Hoffer beim Literaturverlag Droschl erschienen.

Klappentext: Klaus Hoffer, das hat sich herumgesprochen, ist einer der gründlichsten Kafka-Leser der deutschsprachigen Literatur. Aber er ist, an diesem hohen Maßstab geschult, demzufolge Bücher eine Axt für das gefrorene Meer in uns sein sollten, überhaupt ein genauer und gründlicher Leser, von Büchern und Kunstwerken, von sich selbst und von anderen Autoren. „Die Nähe des Fremden“ versammelt Essays und Vorträge zu autobiographischen Themen, zur Bildenden Kunst (John Baldessari, Fritz Panzer, Peter Pongratz, Peter Weibel) und zur Literatur, genauer: zu Elias Canetti, Heinrich Heine, Franz Kafka, Kurt Vonnegut und Urs Widmer. Und Kafka, Freud und zentrale Gedanken der Systemtheorie liefern auch die wichtigsten Instrumente zum Verständnis und zur Analyse der Werke.

Im Gegensatz zum Œuvre mancher Weggefährten aus der Zeit der Grazer Gruppe nimmt sich das Werk des Grazer Schriftstellers Klaus Hoffer nahezu verschwindend aus. Weil sich ihm, wie er immer wieder behauptet, das Schreiben „hartnäckig verweigert“, existieren bislang nicht viel mehr Zeugnisse als der Roman „Bei den Bieresch“, die Erzählung „Am Magnetberg“, einige literaturtheoretische Arbeiten und in den „manuskripten“ veröffentlichte Romanfragmente. Allerdings hat Klaus Hoffer mit dem „Bieresch“-Roman, dessen erster Teil „Halbwegs“ 1979 herauskam und dem vier Jahre später der zweite Teil „Der große Potlatsch“ nachfolgte, den Lesern einen Klassiker zu Lebzeiten beschert. (vol/dan)

 

Leseprobe:

© Literaturverlag Droschl ©

Ich glaube, dass einer der Gründe, die einen dazu bringen, dass man versucht, Schriftsteller zu werden, in der mehrmals nach- und eindrücklich gemachten Erfahrung der Sprachlosigkeit liegt, weil man begreift, dass die Sprache als Vermittlungssystem nicht funktioniert, dass, um es anders, mit Urs Widmer, auszudrücken, der Schriftsteller entdeckt, dass er mit der Sprache nicht zurechtkommt, dass er sie nicht beherrscht.

Ich war immer ein Parteigänger der Ansicht, dass in einer vom Täter unbe­wusst unterstellten Affinität mit dem Opfer der Grund für dessen Verfolgung und Ausrottung zu suchen ist und dass, im Sinne der klassischen Rangdynamik in Gruppen, sozialen Minderheiten Charakterzüge unterstellt werden, die – nach Erik Erikson – zum Bestand der negativen Identität der Mehrheit gehören, zu den in ihre positive Identität unintegrierbaren Charaktereigenschaften, welche die Mehrheit auf die Min­derheit projiziert und ihr anlastet. Jahrhunderte lang raffte man die Besitztümer der Juden mit der Rechtfertigung, diese seien so raffgierig, an sich. Ruth Klüger hat das Phänomen in ihrer autobiographischen Schrift weiter leben auf den Punkt gebracht. Sie stellt fest, dass es gerade jenen, die unermüdlich das Klischee vom goldgierigen jüdischen Shylock propagierten, also gerade den Nazis, vorbehalten blieb, ihren jüdischen Opfern in den Vernichtungslagern in beispielloser Gier noch die Goldzähne auszubrechen.

Umgekehrt, denke ich, führen soziale Minderheiten den „Auftrag“ der Mehrheit aus, das, was diese – in Eriksons Diktion – unterdrücken und verdrängen muss, weil sie es ablehnt oder für unzumutbar hält, zu leben. So arbeiten Minderheiten auch im kulturellen Sinn für die Mehrheit und ergänzen, was diese auslassen muss oder sich erspart. – Man erinnere sich der notorischen – wahrscheinlich ungeheuchelten – Tränen in den Augen von SS-Offizieren beim Klang der aufspielenden Juden- und Zigeuner-Orchester in den KZs, deren Mitglieder Minuten später ins Gas geschickt werden mochten

© Literaturverlag Droschl ©

Literaturangaben:
HOFFER, KLAUS: Die Nähe des Fremden. Essays. Literaturverlag Droschl, Graz 2008. 240 S., ca. 40 Abb., 24 €.

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