BERLIN (BLK) – Über die Zerbrechlichkeit unserer Existenz schreibt William Boyd in seinem Roman „Einfache Gewitter“, der am 7. November im Berlin Verlag erscheint.
Klappentext: Eine scheinbar unbedeutende Entscheidung, und nichts ist mehr, wie es einmal war - in einer Millisekunde entgleitet ein ganzes Leben. Virtuos erzählt William Boyd davon, was es heißt, alles zu verlieren - und neue Wege zu beschreiten. Ein Roman so packend und so mitreißend wie „Ruhelos“ mit dem Boyd vor drei Jahren das deutsche Lesepublikum eroberte. Ein Roman über die Zerbrechlichkeit unserer Identität, in dem Boyd einmal mehr sein großes Können entfaltet. Und wie bei Ruhelos fasziniert er auch hier durch glänzend recherchierte Hintergründe, Glaubwürdigkeit und ein hohes Maß an Authentizität.
William Boyd, Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur, ist 1952 in Ghana geboren. Sein Leben in Afrika hat ihn nachhaltig geprägt, wie an seinem ersten Roman „Unser Mann in Afrika“(1981) zu erkennen ist. Seitdem hat Boyd viele Drehbücher, Kurzgeschichten und Romane (u.a „Ruhelos“, 2007) geschrieben, die mit verschiedenen Auszeichnungen geehrt worden sind. 2005 wurde Boyd zum „Commander of the British Empire“ (CBE) ernannt. Er lebt mit seiner Frau abwechselnd in London und in Bergerac. (wer)
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Beginnen wir mit dem Fluss - der Fluss ist der Ursprung aller Dinge und auch unser Ende, wie zu vermuten ist, aber warten wir ab, sehen wir, was wird. Gleich wird ein junger Mann erscheinen und am Fluss Aufstellung nehmen, hier an der Chelsea Bridge in London.
Und da, seht nur, kommt er schon. Zögernd steigt er aus dem Taxi, zahlt, schaut sich flüchtig um, richtet den Blick auf die helle Wasserfläche (es ist Flut und der Pegel ungewöhnlich hoch). Ein blasser, hochgewachsener junger Mann, Anfang dreißig, mit ebenmäßigen Zügen und müdem Blick, sein kurzes, dunkles Haar ist gut geschnitten, als käme er gerade vom Friseur. Er ist neu in der Stadt, ein Fremder, und heißt Adam Kindred. Soeben hat er ein Bewerbungsgespräch hinter sich gebracht (von dem einiges abhängt und das in der üblichen angespannten Atmosphäre verlief), nun will er, einem vagen Verlangen nach frischer Luft gehorchend, an den Fluss. Das Bewerbungsgespräch ist der Grund, weshalb er unter dem teuren Trenchcoat einen anthrazitgrauen Anzug mit neuem weißem Hemd und rotbrauner Krawatte trägt und weshalb er einen glänzenden, stabil wirkenden Aktenkoffer mit massiven Schlössern und Messingbeschlägen bei sich hat. Ohne zu wissen, dass sein Leben in den nächsten Stunden eine grundlegende, unwiderrufliche Wendung nehmen wird - er hat nicht die geringste Ahnung -, überquert er die Straße.
Adam stützte sich auf die Steinbalustrade, die im Bogen zur Chelsea Bridge führte, und blickte auf die Themse hinab. Die Flut war noch im Steigen begriffen, er sah, wie sich Treibgut mit überraschendem Tempo stromaufwärts bewegte, als würde das Meer seinen Unrat in den Fluss ergießen statt andersherum. Adam schlenderte weiter, den breiten Fußweg zur Brücke hinauf, und ließ den Blick von den vier Schornsteinen der Battersea Power Station (einer war von der Schraffur eines Gerüsts umwölkt) nach Westen schweifen, vorbei an der goldenen Spitze der Friedenspagode bis zu den zwei Schornsteinen der Lots Road Power Station. Die Platanen des Battersea Park auf dem anderen Ufer waren noch nicht voll belaubt - nur die Rosskastanien trugen ein dichtes, voreiliges Grün. London in den ersten Tagen des Mai ... Er drehte sich zum Ufer von Chelsea um: noch mehr Bäume - er hatte vergessen, dass manche Gegenden Londons dicht begrünt, ja geradezu waldig waren. Die Dächer der grandiosen viktorianischen Backsteinbauten erhoben sich hoch über die mit Platanen bestandene Uferstraße. Um wie viel? Zwanzig oder fünfundzwanzig Meter? Ohne das unablässige Rauschen des Verkehrs, das gelegentliche Hupen und Sirenengeheul wäre er nicht auf die Idee gekommen, sich mitten in einer Großstadt zu befinden: Die Bäume, die stumme Kraft der flutenden Wassermassen unter seinen Füßen, das besondere Leuchten, das von einer Wasserfläche ausgeht, übten eine wohltuende Wirkung auf ihn aus - es war genau das Richtige gewesen, zum Fluss zu fahren. Seltsam, wie einen solche Instinkte zu leiten vermögen, dachte er.
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Literaturangabe:
BOYD, WILLIAM: Einfache Gewitter. Übersetzt aus dem Englischen von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2009. 592 S., 25 €.
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