Von Rudolf Grimm
HAMBURG (BLK) – Die Welt der Bücher verbindet, führt zusammen – sie tat dies auch nach zwei Weltkriegen und der Hitler-Diktatur. 1946 schrieb der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway zum ersten Mal wieder an seinen deutschen Verleger Ernst Rowohlt. Er nennt ihn in dieser Reaktion auf einen Kontaktversuchs Rowohlts seinen „old counter-comrade“. Mit der Anrede „My dear Ernst“ schreibt er: „Du hattest sicher die Hölle von einem Krieg, und ich freue mich, dass Du nicht einer der vielen Krauts warst, die wir in der Schnee-Eifel oder im Huertgenwald umgelegt haben.“ Er sei froh, heißt es am Absatzende, dass sie beide sich nicht gegenseitig umlegten. Dies ist eine der vielen, auch persönlich-menschlichen Episoden, über welche die im Zuge des Verlagsjubiläums veröffentlichte illustrierte Chronik „100 Jahre Rowohlt“ berichtet (384 S., 20 Euro, ISBN 978-3-498-02513-7).
Nach dem Ersten Weltkrieg waren unter den Autoren der am 9. Oktober 1925 erschienenen ersten Nummer von Rowohlts Wochenzeitung „Die Literarische Welt“ der Franzose Henri Barbusse, Verfasser des Kriegsbuchs „Le feu“ (1916, Das Feuer), und seine Landsleute Jean Cocteau und Paul Claudel – zum Thema „Was verdanken Sie dem deutschen Geist?“.
Rowohlt ging es damals um die „Schaffung geistiger Beziehungen zum Ausland“. Daraus resultierte auch seine in der Chronik anschaulich beschriebene enge Freundschaft mit den wichtigsten amerikanischen Autoren der Zeit. Der spätere Nobelpreisträger Sinclair Lewis hielt sich 1927/28 dreizehn Monate in Berlin auf. Schuld war eine aufregende Frau, die Reporterin Dorothy Thompson. Nachdem er ihr unzählige Heiratsanträge gemacht hatte, ging sie schließlich die Ehe mit ihm ein. Lewis wurde in jener Zeit auch Rowohlts Autor – vier Bücher bis zum Nobelpreisjahr 1930. Dafür nahm der Verleger ihm gern lästige Dinge ab wie die Beantwortung von Bettelbriefen – indem er sie einfach in den Papierkorb warf.
1931 kam auch Hemingway nach Berlin. Ein umgänglicherer Typ war der ebenfalls bedeutende Thomas Wolfe, der 1935 und 1936 kam. Rowohlt lud ihn für einen Abend zum Essen nach Hause ein. „Wir trinken einen einfachen Wein, keinen Schnaps“, sagte er, „Sie werden früh nach Hause kommen.“ Der Gast berichtete später in einer Zeitschrift: „…wir hatten ein geruhsames Gespräch, das dauerte von sieben Uhr abends bis fünf Uhr morgens, und so geschah es, wie er es versprochen, ich kam ‚früh’ nach Hause. Auch gab es einen einfachen Wein – ein Glas gelegentlich hin und wieder zum Wohl unserer Nieren. Es waren, um genau zu sein, vierzehn zierliche schlanke und wunderbare Flaschen Rüdesheimer, welche wir um vier Uhr morgens mit drei oder vier echten Münchner Hellen abrundeten.“
Nach dem Krieg, 1960, hielt sich Henry Miller viele Monate im Verlagsort Reinbek bei Hamburg auf. Er wohnte in einem Gasthof und schrieb und malte in einem Arbeitszimmer des Verlags. Alle mussten mit ihm Pingpong spielen. Er suchte in dieser Zeit auch nach Spuren deutscher Vorfahren. An einer Autogrammwand des Verlags trug er sich in Sütterlinschrift als „Heinrich Müller“ ein und schrieb dazu „Gott ist die Liebe“.
Die Chronik zeigt ein Foto des Revers, das jeder unter Vorlage des Personalausweises unterschreiben musste, der ein Exemplar der ersten Auflage des 1953 von Rowohlt auf Deutsch veröffentlichten skandalumwitterten Romans „Tropic of Cancer“ („Wendekreis des Krebses“) von Miller kaufen wollte. „Ich werde das Buch nicht an Jugendliche weitergeben und weder privat noch gewerblich ausleihen“, heißt es da.
Die spätere Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (2004) war 1969, damals 22 Jahre alt, Thema lebhafter Diskussionen im Verlag. Über ein Manuskript von ihr gab es drei Gutachten – zwei positiv, doch im dritten war die Rede von der Vorliebe der Autorin für „vegetative Monstrositäten, Kannibalen und Mitesser“. Für diesen Typ Frauen gab es für den Gutachter nur eine Erklärung: „Weil sie in der Küche nicht mehr und in der Politik noch nicht herumwühlen können, wühlen sie in den eigenen Eingeweiden und in denen anderer Leute herum.“ Cheflektor Fritz J. Raddatz einigte sich mit Elfriede Jelinek darauf, dass Manuskript erst einmal zurückzustellen. Es ist niemals bei Rowohlt erschienen. Im Jahr darauf brachte er jedenfalls den Roman „wir sind lockvögel baby!“ heraus.
Ernst Rowohlt engagierte sich auch privat für Autoren. Wie, hat er in einem Brief an einen Publizisten drastisch beschrieben. Er habe Autoren, heißt es da, „schon aus sämtlichen Sündenpfuhlen europäischer Großstädte gerettet. Was wissen Sie, welchen Anfechtungen ich selber dabei ausgesetzt war. Ich habe mit Gefängnisdirektoren und Straßenpolizisten Brüderschaft trinken müssen, alles für meine Autoren. Ich habe unzählige Ehefrauen trösten müssen, ich musste insgesamt zweiunddreißigmal Trauzeuge sein, obwohl ich alles kommen sah, ich habe Scharen von Kindern, von den Kegeln ganz zu schweigen, an meiner breiten Brust miternähren müssen – alles für die Autoren.“