Von Gregor Tholl
Macht ein „Bio“-Einkauf die Welt besser? Lässt sich die Industrie mit strategischem Konsum umerziehen, so dass sie nur noch umweltverträglich und unter sozialen Bedingungen produziert? Geht das alles „schmerzfrei“, ohne Verzicht, wie es „moderne Ökos“ propagieren? Nein, alles Unsinn und Selbstbetrug, sagt Kathrin Hartmann. Die Autorin hat ein zorniges Buch geschrieben - Titel: „Ende der Märchenstunde“. Darin rechnet sie mit selbstgefälligen Lifestyle-Ökos ab - sie macht die „Bionade-Bourgeoisie“ fertig.
Kathrin Hartmann, Journalistin unter anderem für „Frankfurter Rundschau“, „taz“, „Titanic“ oder „Neon“, hat was gegen „LOHAS“-Leute - also Menschen (zumeist aus der Mittelschicht), die einen „Lifestyle Of Health And Sustainability“ (Lebensstil auf Basis von Gesundheit und Nachhaltigkeit) pflegen.
In Deutschland leben diese gebildeten, gut verdienenden und ästhetisch anspruchsvollen Menschen gerne in innenstadtnahen Altbau- Vierteln - also etwa im Schanzenviertel in Hamburg, im Belgischen Viertel in Köln, im Glockenbachviertel in München, im Nordend in Frankfurt oder im vielbeschriebenen Prenzlauer Berg in Berlin.
Die „neuen Ökos“, die nichts mehr mit der „Müsli-Fraktion“ zu tun haben wollen, glauben, Hedonismus und Ethik im „nachhaltigen“ Einkaufen verbinden zu können. Die Wirtschaft habe die Kaufkraft dieser Lifestyle-Ökos längst erkannt, die Werbung auf sie abgestellt und ihre Produkte „grün“ gestrichen, wettert Hartmann.
Marketing-Konzept „Greenwashing“: Autohersteller pflanzen Bäume, Brauereien spenden für den Regenwald. Statt „142 Kisten Bier“ zu kaufen, könne man auch zehn Euro direkt für den Naturschutz spenden, wendet Hartmann ein. Sie kritisiert außerdem, dass derselbe Bierhersteller den Tropenwald retten will und im Fernsehen die Formel 1 präsentiert.
Doch die agitatorische Argumentation von Hartmann zielt vor allem darauf, die „LOHAS“-Logik als „neoliberale Wirtschaftsideologie“ zu beschreiben. Motto: „Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht.“
Hartmann zitiert Studien und die Klassiker der Globalisierungskritik wie Klaus Werner-Lobos „Schwarzbuch Markenfirmen“ oder Naomi Kleins „No Logo“. Sie gefällt sich darin, Nachhaltigkeits-Idole vom Sockel zu stürzen oder gehässig gegen Web- Communities wie „utopia.de“ zu sein. Auch Nichtregierungsorganisationen seien leider nur eine „gesellschaftliche Ohnmacht“, zerfasert in ihre Einzelinteressen, schreibt die Autorin.
Aber was ist wirklich gegen „Bio“-Konsum zu sagen, oder gegen den Versuch, „bessere“ Kleidung im Sinne von fairem Handel oder ökologischer Produktion zu kaufen? Hartmann sagt, das große Ganze, also der Weltmarkt, ändere sich durch dieses Handeln im Kleinen nicht. Man tue nur etwas für sein Gewissen, aber nichts für eine gerechtere Gesellschaft. Statt glasklare Gesetze zu erkämpfen, die weltweit für alle gelten und allen zugute kämen, gebe man sich damit zufrieden, das Politische ins Private abzuschieben. Also alles mehr Ego statt Öko?
Wer nur korrekten Konsum wolle und nicht ernsthaftes Engagement zeige, stärke höchstens einen nach wie vor kleinen und zusätzlichen Markt. Dieser Markt aber bleibe ein paralleler, nicht zuletzt, weil es die Konzerne weltweit verstünden, die Politik einzulullen, zum Beispiel damit, dass sie doch so viel „CSR“ (Corporate Social Responsibility - Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung) zeigten. In Wahrheit aber seien profitfixierte Firmen daran interessiert, verbindliche Öko- oder Sozial-Gesetze zu verhindern, weil sie sehr teuer wären.
So wie es jetzt laufe, führe der Konsum „besserer“ Produkte nur zu einer Abgrenzung eines schicken „grünen“ Milieus, das sich auch moralisch „besser“ fühlen wolle, sagt Hartmann. Der LOHAS-Trend zementiere die Verhältnisse. „Seinen Hedonismus kann sich der LOHAS nur deshalb ohne Reue leisten, weil es die Dritte Welt gibt.“ Die Armut im eigenen Land interessiere ihn außerdem oft nicht, denn gegen sie „gibt es ja auch kein richtiges und schickes Produkt, das man kaufen und genießen kann“.
Aus dem Aphorismus des Philosophen Theodor W. Adorno „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ wird bei Kathrin Hartmann „Es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem“. Sind die Verhältnisse auf dieser Welt so verkehrt, dass man kaum etwas richtig machen kann?
Für alle masochistischen „LOHAS“-Leser, die das Buch trotz allem kaufen möchten: Laut Verlag stammt sein Papier „aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern“.
Literaturangabe:
HARTMANN, KATHRIN: Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt. Karl Blessing Verlag, München 2009, 384 S., 16,95 €.
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