STUTTGART (BLK) – Im Dezember 2009 hat der Klett-Cotta Verlag Alan Pauls’ „Die Vergangenheit“ herausgegeben.
Klappentext: Nach zwölf Jahren absoluter Liebe, die die Welt nach ihrem Ebenbild zu formen schien, trennen sich Rimini und Sofia. Es sind die Achtziger in Buenos Aires, und für den dreißigjährigen Rimini ist alles wieder so funkelnd wie zu Beginn. Er entdeckt das Begehren neu und wirft sich mit einer jüngeren Frau in eine rauschhafte Suche nach der verlorenen Zeit. Aber seine Liebe zu Sofia ist nicht gänzlich erloschen, sie hat nur ihre Form verändert. Und als Sofia überraschend in sein Leben zurückkehrt, trägt die frühere Liebe das Antlitz des Entsetzens. Ein ums andere Mal erscheint sie ihm als Rachegespenst, um ihn zurückzuerobern, zu quälen, vielleicht zu retten. Und so gerät Rimini in ein Inferno aus emotionaler Erpressung, Verrat und Drogen. Am Ende droht ihm, dass er alles verliert. Oder gibt es eine Liebe nach der Liebe?
Alan Pauls, geboren 1959 in Buenos Aires, hat Literatur gelehrt, daneben Drehbücher, Filmkritiken, Essays und sechs Romane geschrieben. Er arbeitet als Kulturkolumnist für eine große Tageszeitung und moderiert eine Fernsehsendung. Sein Werk ist bisher in 14 Sprachen übersetzt worden. (jos)
Leseprobe:
©Klett-Cotta©
Rímini stand unter der Dusche, als es klingelte. Mit einem kleinen Handtuch um die Hüften – ein anderes konnte er in dem Basar der Parfüms, Cremes, Plastikhauben, Badesalze, Öle, Arzneien und Massageutensilien, in den Vera das Badezimmer verwandelt hatte, auf die Schnelle nicht finden – lief er zur Küche, gefolgt von einem Tross gehorsamer Tropfen. „Post“ tönte es zwischen zwei vorbeirauschenden Lastwagen aus der Gegensprechanlage. Rímini bat, man solle ihm den Brief unter der Wohnungstür durchschieben, und plötzlich, als stünde in einem vermeintlich leeren Zimmer mit einem Mal der Schatten eines Eindringlings vor ihm, sah er sich nackt und zitternd im verglasten Flügel einer Tür, die ein Luftzug aufgestoßen hatte. Der klassische Fall von Unannehmlichkeit: trivial, wirkungsvoll und allzu unverblümt. Die Dampfschwaden, die aus dem Bad drangen – er hatte die Dusche laufen lassen, weil er hoffte, so die Unterbrechung abzukürzen – verursachten ihm leichte Übelkeit. „Sie müssen unterschreiben“, tönte es aus der Gegensprechanlage. Rímini schnaubte, betätigte den Türöffner und sah ungerührt zu, wie die Landschaft seines Glücks in tausend Stücke ging.
Der Morgen zu Hause, Seligkeit des Sonnenstrahls, der unter der Dusche sein Gesicht liebkoste, das Gefühl unverplanter Möglichkeit wie an einem ersten Urlaubstag, das ihn durchströmte, wenn er erwachte und sich allein vorfand und seine ersten Bewegungen, linkisch und jugendlich, die Stille einer ganzen Nacht zerknarzten, die kämpferische, ein wenig naive Lebensfreude, die die langen Liebesnächte mit Vera bei ihm hinterließen – all das brach in sich zusammen. Obwohl vielleicht… Rímini hielt die Muschel des Hörers zu und stand für einige Sekunden unbeweglich und leicht vornübergebeugt gegen die Arbeitsplatte gelehnt, als wollte er vermeiden, gesehen zu werden. Aber es klingelte erneut, und fast lautlos, wie in einem Stummfilm, barsten die letzten Glasscheiben seiner morgendlichen Euphorie. Rímini, der nichts mehr hasste als die Art, wie die Welt manchmal seine privaten Peinlichkeiten nachäffte, vermutete diesmal kein Plagiat. Er spürte Gefahr. Er war diesmal nicht das Opfer von Gespött, sondern Opfer eines Komplotts. Aber er gab nach, meldete sich, und während er auf seine Füße schaute – Riesenfüße, um die winzige Menschenozeane fluteten –, hörte er, was er von Anfang an zu hören befürchtet hatte: Die Tür zur Straße war abgeschlossen.
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Literaturangabe:
PAULS, ALAN: Die Vergangenheit. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009. 558 S., 24, 90 €.
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