Vielleicht hätte jemand beim Rowohlt-Verlag, der sich für dieses Buch federführend geben durfte, noch einmal nachgefragt, was es denn mit dem Untertitel „Eine kurze Geschichte der Technik“ auf sich habe. Dann wäre wohlmöglich klar geworden, dass in der Kürze nicht die Würze, sondern die Sülze liegt. Und zwar die von mehreren Jahrhunderten aufklärerischen, autoritären und historisch falschen Gedankenguts.
Wer wie Osteroth in den 1980ern Geschichte an einer deutschen Universität studiert hat, dem ist eigentlich zuzutrauen, dass er schon damals die nicht neuen, aber umso wichtigeren, sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Erkenntnisse in seine Schriften einfließen lässt. Warum er es dennoch nicht getan hat, warum er uns eine Geschichte der Technik präsentiert, die, abgesehen von den modernen Erfindungen, die erst später kamen, besonders gut im konservativen Geistesmilieu des 19. Jahrhunderts aufgehoben worden wäre, bleibt sein Geheimnis, an dem hoffentlich nicht allzu viele Gleichgesinnte teilhaben werden.
Das Wesentliche: Von Da Vincis lächelnden Bildern und Gutenbergs beweglichen Lettern, marschiert das Buch mit Watt, Volta und Edison, kontinuierlich und konsequent in die Moderne zu Flugzeugen, Automobilen und den ersten Computern von Zuse. Diese lineare Erfolgsgeschichte der europäischen Naturwissenschaft wurde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert in Frage gestellt und ist heute in keinem historischen Diskurs mehr tragbar. Es gehört sich für Historiker nicht mehr, zum einen moralisch, zum anderen aber auch wissenschaftlich, diese Geschichte als solche zu erzählen. Die Herrenmenschen in der alten Welt haben bei ihren Entdeckungen und Eroberungen einfach zu viele Leichen im Keller vergraben. Und wer kann denn heute, so wie Osteroth es tut, noch mit Fug und Recht behaupten, alle technischen Entwicklungen der Moderne seien ein Segen für die menschliche Kultur?
Als Priester einer wissenschaftlichen Lesart verkündet uns der für die „Zeit“ tätige Autor, Blickwinkel, die so armselig und traurig sind, dass eigentlich jede Zeile der Rezension zu schade ist für dieses Buch. James Watt, der von Osteroth in den Olymp der Erfinder gehobene Brite, finanzierte, ebenso wie viele seiner Kollegen, seine Forschungen, die schließlich die Dampfmaschine hervor brachten, mit erbeutetem Geld aus dem neu entdeckten und gleich mal ausgebeuteten und ermordeten Kontinent Amerika. Die rechtskonservative Gesinnung des Maschinenmenschen Siemens wird konsequenterweise ebenso wenig erwähnt wie die soziale Verarmung der Fließbandgesellschaft, die in diesem Buch als hübsch verziertes Versatzstück der logischen Entwicklung herhalten darf.
Das Ganze erinnert dann sprachlich an die Hausväterliteratur der frühen Neuzeit, in der die patriarchalische Familienstruktur mit den autoritären, einseitigen und vernunft- und sittenwahrenden Schriften überhäuft wurde. Die Hausväter sind heute aber nicht mehr die Besitzer eines großen Gutes, sondern einfacher Familien, die ihren Kindern vielleicht zum Geburtstag ein, zumindest optisch und verbal, durchaus geeignetes Werk schenken möchten. Sagen wir es mal so: Wer seine Nachhut im treudeutschen und wissenschaftshörigen Dialekt erziehen will, wer seine Kinder noch glauben machen will, dass die tollen Erfinder, ganz einfach, weil sie so geniale Sachen entdeckt haben, auch gleichzeitig tolle Menschen waren, der kann hier bedenkenlos zugreifen, oder aber auch Hegel reüssieren und Geschichte so erzählen wie man es vor 200 Jahren tat. Herrenmenschlich und den historischen Fakten schlicht und ergreifend zuwider laufend.
Kein Wort findet man bei Galvanis Froschexperimenten über eine zumindest theoretisch brutale Forschermethode. Dass dem ganzen historischen Kanon nicht eine einzige Quelle beigesteuert wird ist nach dem bisher Gesagten nicht weniger begreiflich, aber immerhin nachvollziehbar. Auch wenn die technischen Seiten dieser Erfindungen häufig korrekt wiedergegeben werden, genügt dieses Grundlagenwissen noch lange nicht, um Geschichte allumfassend erzählen zu können.
Den negativen Höhepunkt offenbart Osteroth im medizinischen Bereich. Der Aderlass, wie er schreibt, in der Not angewandt, war die primäre und gängigste Methode der universitären Medizin bis zu Rudolf Virchow. Dass für Osteroth zu Aderlasszeiten die „Quacksalberei“ noch in vollem Gange war, versteht sich von selbst. Dass Autoren mit Dilettantismus und Polemik historisch wichtige und notwendige Entwicklungen wie die der Volksmedizin als Quacksalberei bezeichnen liegt, wie gesagt, eigentlich mindestens hundert Jahre zurück. Osteroth überrascht hier als reaktionärer und hilfloser Geist, dem man wünschte, nie eine Zeile geschrieben zu haben.
Das Schlimme ist, das der pädagogische Auftrag, der jedem Schriftstück innewohnt, hier so gnadenlos und schamlos ausgenutzt wird im Sinne eines längst vergessenen reaktionären und autoritären Wissens. Schade um das Papier, schade um die Wissenschaft.
Von Marco Gerhards
Literaturangabe:
OSTEROTH, REINHARD: Erfinderwelten. Eine kurze Geschichte der Technik. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 224 S., 16,90 €.
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