Werbung

Werbung

Werbung

„Die versunkene Stadt Z“

David Granns Buch ist eine eindrucksvolle Mischung aus Reportage und Biografie, die eine gänzlich fremde Kultur verstehen lehrt

© Die Berliner Literaturkritik, 12.05.10

Von Annett Klimpel

Im Jahr 1925 verschwand der britische Forschungsreisende Percy Harrison Fawcett im Amazonas und ward nie wieder gesehen. Damals fieberten Millionen Menschen bei der Suche nach Fawcetts Gruppe - oder zumindest ihren Überresten - mit. Aber warum sollte ein Buch darüber heute noch fesseln? Weil „Die versunkene Stadt Z“ von David Grann unglaublich mitreißend geschrieben ist! Der US-Journalist begab sich selbst auf die Spuren des Briten und hat eine gelungene Mischung aus Biografie und Reportage verfasst.

Dutzenden Menschen hat die Suche nach Fawcett den Tod gebracht - Grann verschaffte sie einen Dauerplatz auf der New-York-Times-Bestsellerliste und das Interesse von Hollywood-Größe Brad Pitt und der Produktionsfirma Paramount Pictures, die sich die Filmrechte sicherten.

Neugierig geworden war Grann beim Lesen alter Tagebücher. Zuvor gänzlich ohne Hang zu mutigen Freizeitabenteuern, machte er sich daran, eines der größten Entdeckergeheimnisse des 20. Jahrhunderts zu lüften. Akribisch durchforstete er Archive, wälzte alte Zeitungsberichte und besuchte gar die Nachkommen Fawcetts. Schließlich, mit einer selbst entschlüsselten Geheimkarte ausstaffiert, versuchte er in der „grünen Hölle“ das wahre Schicksal Fawcetts zu ergründen.

Grann schildert die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Zeit der Gründung der Londoner Königlichen Geografischen Gesellschaft - die etliche Expeditionen in die Welt entsandte - Anfang des 19. Jahrhunderts. „Neben unmenschlichen Bedingungen für die unteren Klassen hatte die industrielle Revolution den Angehörigen der mittleren und oberen Klassen Großbritanniens einen nie dagewesenen Wohlstand beschert. Plötzlich konnten es sich diese leisten, Reisen als Vollzeithobby zu betreiben.“

Als der junge Fawcett sich am 4. Februar 1900 zur Gesellschaft aufmachte, um sich zum Forscher ausbilden zu lassen, durften die Autos in London bereits mit 22,4 Stundenkilometern umherbrausen. „Per Gesetz war ursprünglich eine Höchstgeschwindigkeit von 3,2 Stundenkilometern vorgeschrieben gewesen. Dem Fahrzeug hatte zudem ein Begleiter voranzugehen, der eine rote Fahne schwenkte.“ Fawcett bestand nach einjähriger Schulung in Astronomie, Geometrie und Landvermessung die Prüfung mit Bravour. „Alles, was ihm jetzt noch fehlte, war eine Mission.“

Sein erster Auftrag führte den Abenteurer allerdings nicht nach Südamerika, sondern als Spion nach Marokko. Erst 1906 ging die Reise gen Westen: nach Bolivien zur Vermessung von Landgrenzen. Erstmals musste sich Fawcett durch dichten Dschungel schlagen und allerlei Getier wie Moskitoschwärmen und Maden unter der Haut Herr werden - und verlor für immer sein Herz an die „grüne Hölle“. Grann beschreibt, wie der Brite immer wieder Amazonien durchstreifte, um die zu jener Zeit weitgehend unbekannte Region zu erkunden. Häufig mit Ureinwohnern verhandelnd, glaubte er zunehmend an die reale Existenz einer Hochkultur dort, an das sagenhafte „El Dorado“.

Nach all seinen glücklich verlaufenden Reisen habe Fawcett irgendwann angenommen, er habe übermenschliche Kräfte und könne sich steten göttlichen Beistands sicher sein. Auf die Suche nach dem Zentrum einer uralten Hochkultur - von Fawcett nicht „El Dorado“, sondern der Geheimhaltung wegen „Stadt Z“ genannt - durften ihn deshalb sein 21 Jahre alter Sohn Jack und dessen bester Freund begleiten. 1925 brach die Gruppe auf - und verschwand für immer.

Grann schließt seine Erzählung mit furiosen aktuellen Erkenntnissen zu Siedlungen im Amazonas-Gebiet. Wie sein südamerikanischer Reisebegleiter einmal sagte: „Armer Fawcett - er war fast am Ziel.“ Dank seines eigenen Ausflugs ins Dschungeldickicht schreibt Grann wunderbar plastisch und anschaulich von den „lieblichen“ Tieren und Pflanzen Amazoniens. Zudem enthält das Buch Fotos von Fawcett und seinen Expeditionen - mit teils schlimm ausgemergelten, von Hunger und Krankheit gezeichneten Gestalten darauf.

„Die versunkene Stadt Z“ ist eine eindrucksvolle Mischung aus Reportage und Biografie, die eine gänzlich fremde Welt und Kultur verstehen lehrt. Sie bringt dem Leser den ebenso fordernden und dominanten wie verlässlichen und friedfertigen Fawcett so nahe wie wohl keine Dokumentation zuvor.

Literaturangaben:

GRANN, DAVID: Die versunkene Stadt Z. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 416 S., 19,95 €.

Weblink:

Kiepenheuer & Witsch


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: