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Die Wahrheit über das „schönste Mädchen Wiens“

„Witwe im Wahn“ von Oliver Hilmes

© Die Berliner Literaturkritik, 31.12.10

HILMES, OLIVER. Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel, btb, München 2005. 480 S., 10 €.

Von Stephanie Schick

Über Alma Mahler-Werfel kursieren etliche Biografien. Einige hat sie selbst initiiert, die meisten aktiv oder passiv durch ihre persönlichen Erinnerungen beeinflusst. Höchstwahrscheinlich ranken sich deshalb abertausende Gerüchte um diese femme fatale des frühen 20. Jahrhunderts.

Oliver Hilmes hat sich nun selbst vor die schwierige Aufgabe gestellt, dieses Chaos aus Selbstdarstellung und Stilisierung, aus Wahrheit und Dichtung zu ordnen. Der spektakuläre Fund eines bislang ungesichteten Nachlasses von Alma Mahler-Werfel könnte hierzu die fehlenden Informationen liefern. Unzählige Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Notizen hat Hilmes aufgespürt und akribisch studiert, um ein möglichst objektives Bild dieser sagenhaften Frau zu erstellen.

Doch wie der Titel „Witwe im Wahn“ bereits andeutet, lässt sich ein unvoreingenommenes Buch über diese Person kaum schreiben. Wie keine Zweite hat sie die berühmtesten Männer ihrer Zeit um sich versammelt und verzaubert. Schon als junges Mädel verdrehte sie Gustav Klimt den Kopf. Doch noch war Alma zu jung für ein Verhältnis mit einem siebzehn Jahre älteren Mann. Später galten derartige Einwände kaum mehr. Ihr erster Ehemann war kein geringerer als der Komponist Gustav Mahler. Aus dieser Ehe mit dem „Juden Mahler“ gingen zwar Kinder hervor, doch blieb sie ansonsten glücklos. Deshalb erwartete Alma fast sehnsüchtig den Tod ihres Mannes. Dieser liebte seine Frau so sehr, dass er sowohl ihr Fremdgehen als auch ihren unverstellten Antisemitismus tolerierte. Verrückt vor Schmerz tragen seine letzten Kompositionen hoffnungslose Liebesschwüre an Alma. Doch diese eher belustigt ob dieser Verzweiflung nutzte die Skizzen eher für den Nachruhm des berühmten Komponisten und so für sich selbst.

Längst stand ein anderer hoch im Kurs: der spätere Bauhausarchitekt Walter Gropius. Noch war dieser unbekannt, doch stellte Alma bereits zu Anfang klar, dass er schon etwas Bedeutendes hervorbringen müsse, um sich an ihre Seite begeben zu dürfen. Kaum verwitwet heiratete sie also Gropius, wieder ging ein Kind aus dieser Verbindung hervor. Ihre Tochter Manon stilisierte sie später zum Engel. Sie war bezaubernd schön und starb früh in der Blüte ihres Lebens, gänzlich unberührt, an Kinderlähmung. Ideal für eine Frau wie Alma, eine neue Ikone zu schaffen.

Doch als die gemeinsame Tochter Manon starb, war die Ehe zwischen Gropius und Alma längst geschieden. Eine amour fou mit dem Maler Oskar Kokoschka, die mehrmals auf- und abklang, ging Gropius voraus und löste ihn auch wieder ab. Wer Alma Mahler-Werfel in bildlicher statt in literarischer Form verewigt sehen möchte, der kann sich beispielsweise Kokoschkas „Windsbraut“ oder „Maler mit Puppe“ ansehen. Die dargestellte Puppe verstümmelte Kokoschka später öffentlich, um sich von Alma zu befreien.

Man möchte meinen, dass Alma, nun in der zweiten Lebenshälfte angekommen, langsam zur Ruhe findet. Doch weit gefehlt. Ihre Wege werden immer bizarrer, ihre Verbindungen immer verwerflicher. Österreich steht kurz vor dem „Anschluss ans Deutsche Reich“ und obwohl Alma mit dem jüdischen Schriftsteller Franz Werfel liiert ist, pflegt sie rege Kontakte zur politischen Rechten. Dennoch folgt sie ihrem Mann ins Exil, wo sie ihrem Antisemitismus jedoch nicht abschwört. Im Gegenteil: Zeitlebens beschimpft sie unliebsame Personen als „jüdisch“. Sogar ihre eigene Tochter, die sie gemeinsam mit Gustav Mahler hatte, blieb ihr als „Halbjüdin“ stets wesensfremd.

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Manchmal möchte man ihr bloße Naivität unterstellen, dann wieder kühle Berechnung oder  gar Intriganz. Sie berauscht sich am Leiden anderer wie an ihrem Lieblingslikör und vergisst darüber jegliche Gefühle – auch die eigenen.

Aus moralischen Gründen könnte man diese Biografie ablehnen, so abstoßend wirkt das Leben dieser Circe. Als Vorbild dient sie in keiner Weise. Doch über die Kulturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts in all ihrer Verworrenheit lässt sich kaum ein spannungsreicheres Bild entwerfen.


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