Werbung

Werbung

Werbung

Die Woodstock-Chronik

Havers’ und Evans’ Rückblick auf „3 Days of Peace and Music“

© Die Berliner Literaturkritik, 20.04.11

Havers, Richard; Evans, Richard J.: Woodstock Chronicles. 3 Days of Peace and Music. Englische Originalausg. Oetwil am See, Zürich: Edition Olms 2009. 256 S., mit über 200 farb. Fotos, 29,95 €.

Von Stephanie Schick

Joni Mitchells Song „Woodstock“ beschreibt den Geist des Festivals wohl so treffend wie kein zweiter: Im August 1969 begaben sich über 500.000 Blumenkinder auf den Weg nach Woodstock. Sie alle verspürten den Wunsch, dem „Laufrad“ der Gesellschaft für einige Tage zu entkommen, unter freiem Himmel zu kampieren und sich spontan „einer Rock´n´Roll-Band anzuschließen“. In jedem Falle aber galt es, die „Seele zu befreien“. So besang es Joni Mitchell und so bezeugen es die Bilder und Zitate der „Woodstock Chronicles“. Nie wieder protestierten so viele Menschen friedlich gegen den Krieg und die vorherrschende Ungerechtigkeit. Ein gigantisches Line-up der besten Musiker und freier Eintritt dürften die Heerscharen zusätzlich angezogen haben. Doch die Woodstock-Besucher verband noch viel mehr. Im Musik- und Drogenrausch sang und feierte man drei Tage gegen die Realität an und wünschte sich, dass sich „die Bomber in Schmetterlinge verwandeln würden“.  

Über vierzig Jahre nach diesem Megaevent meint man alles über Woodstock zu wissen. Doch die Atmosphäre jener Tage ist uns fremder denn je. Ein Festival dieser Größenordnung und mit derartigem Staraufgebot zum Nulltarif wäre heute undenkbar! Wie also war so etwas 1969 möglich geworden? Die „Woodstock Chronicles“ spüren dieser Frage nach. Die zahlreichen Bilddokumente sind dabei nur ein Zugang. Jedem Künstler, der damals auftrat, ist ein kurzes Porträt gewidmet. Was tat Jimi Hendrix vor Woodstock? Wie ging es danach mit seiner Karriere weiter?

Die Festivalgeschichte wird in groben Zügen dem Band vorangestellt und die Woodstock-Geschichte von der Idee bis zu ihrer Umsetzung skizziert. Die beiden Autoren der „Woodstock Chronicles“, Richard Havers und Richard J. Evans, kennen den Rock´n´Roll von der Pike auf. Sie haben mit vielen Stars zusammengearbeitet und die wilden Sechziger hautnah miterlebt. Das merkt man den Nahaufnahmen und stimmigen Kurzporträts auch an. Plötzlich erübrigt sich, ob man viele Details einfach nur vergessen oder noch nie gewusst hat. So führt beispielsweise eine kleine Festivaluhr chronologisch durchs Geschehen und zeigt an, an welchem Tag welcher Gig stattfand. Zitate der Stars runden die Kurzporträts ab und liefern oft den Gegenbeweis zur unendlichen Coolness der Rock´n´Roller. Manche waren angesichts der 500.000 Besucher ziemlich baff und begaben sich nur zugedröhnt auf die Bühne. Andere wiederum kamen zu spät und stolperten auch ohne Soundcheck geradewegs aufs Parkett.

Unterstützen Sie dieses Literaturmagazin: Kaufen Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen - es geht ganz einfach und ist ab 10 Euro versandkostenfrei! Vielen Dank!

Klar, dass diese „3 Days of Peace and Music“ durchaus chaotisch und nervenaufreibend verliefen. Die Gesamtschau erlaubt diesbezüglich ein authentisches Bild. Denn trotz aller Nostalgie darf man Woodstock nicht nur durch die rosarote Brille, wie sie George Harrison seinerzeit trug, sehen. Es gab auch kritische Stimmen. Beispielsweise schimpfte Pete Townshend, Gitarrist von „The Who“, schon damals über den mangelnden Realitätssinn der berauschten Hippies und die Müllberge. Diese kritischen Stimmen gehören zum Gesamteindruck wie alle Farbfotografien und Lobhudeleien.

Max Yasgur, der Farmer, auf dessen Land sich Woodstock ereignete, änderte schließlich auch seine Meinung. Aus einer reinen Geschäftsidee wurde eine tiefe Erfahrung, die Yasgur hoffentlich darüber hinwegtröstete, dass er einen Großteil der Einnahmen an spätere Kläger abgeben musste. Denn für die Sachbeschädigungen auf den Nachbarländereien wurde Yasgur später belangt. Die „Woodstock Chronicles“ halten viele pikante Einzelheiten für die Nachwelt bereit. In einer illustren Zusammenstellung und einer sinnvollen Aneinanderreihung von Informationen und schmückendem Beiwerk ist ein gelungener Rückblick auf das Festival des Jahrhunderts geglückt. Es verwundert daher wenig, dass dem 1994 stattgefundenen Woodstock-Revival nur zwei Seiten gewidmet sind. Ein Mythos lässt sich eben nicht wiederbeleben.

Was bleibt, sind die Bilder, die Zitate und natürlich die Musik. Sie erinnern für kurze Zeit an die damals gelebte Vision von „peace and music“. Man könnte also einige Platten von damals hervorkramen, um alte Erinnerungen wachzurütteln und sich etwas in Trance zu versetzen, denn Joni Mitchells oft gecoverter Song „Woodstock“ läuft nur noch sehr selten im Radio. Allerdings lohnt sich das Stöbern in der Plattensammlung auch aus einem anderen Grund: Die Autoren Havers und Evans vermissen einen Livemitschnitt von „Country Joe and the fish“. Vielleicht hortet ja jemand diese Rarität in seinen Beständen? Generell seien die „Woodstock Chronicles“ all jenen ans Herz gelegt, die sich etwas (Gegen-)Kultur ins Haus holen möchten.

Weblink: Edition Olms


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: