Werbung

Werbung

Werbung

Die Zehn Gebote

Wegweiser in die Freiheit

© Die Berliner Literaturkritik, 13.08.09

MÜNCHEN (BLK) – Im Juli 2009 ist bei dtv „Die Zehn Gebote. Wegweiser in die Freiheit“ von Anselm Grün erschienen.

Jeder kennt die Zehn Gebote, doch genau benennen können sie nur wenige. Dabei handelt es sich um Grundpfeiler der christlichen Ethik. Auch wenn diese Gebote dreitausend Jahre alt sind, haben sie ihre Aktualität nicht eingebüßt und gelten in Zeiten der Globalsierung mehr denn je. Anselm Grün zeigt in diesem Buch, wie die Zehn Gebote als praxisnahe Lebenshilfe in den Alltag integriert werden können: „Die Zehn Gebote bewahren unsere Liebe vor Missbrauch und Misstrauen. Sie schaffen einen Rahmen, in dem das menschliche Leben gedeihen und ein humanes Miteinander gelingen kann.“

Anselm Grün, geboren 1945, ist Benediktinermönch und Autor zahlreicher Bestseller. Der Cellerar der Abtei Münsterschwarzach wird von vielen als geistlicher Berater geschätzt und gehört zu den meistgelesenen christlichen Gegenwartsautoren. (ber/mül)

Leseprobe:

©dtv©

Unsere Welt wird immer vielfältiger und undurchschaubarer. Daher sehnen sich viele Menschen nach einer klaren Orientierung. Sie suchen nach guten Anweisungen, wie ihr Leben gelingen kann. Die Zehn Gebote möchten solche Wegweiser sein, die unserem Leben Richtung geben, es richtig werden lassen. Indem sie uns die Richtung zeigen, in die wir gehen sollen, schenken sie uns auch die Kraft, uns auf den Weg zu machen. Denn wer die Richtung weiß, spürt in sich mehr Kraft und Motivation als jemand, der orientierungslos herumläuft. Der Richtungslose verbraucht zu viel Energie, um verschiedene Richtungen auszuprobieren, immer wieder umzukehren und immer nur ein Stück weit einer Richtung zu folgen. Wer die Richtung kennt, kennt auch die Quellen der Kraft, aus denen er schöpfen kann, um das Ziel zu erreichen.

Von vielen Firmen werde ich zurzeit eingeladen, über das Thema „Führen mit Werten“ zu sprechen. Offensichtlich sehnen sich heute viele in der Wirtschaft tätige Menschen danach, dass im Umgang miteinander wieder Werte beachtet werden. Sie spüren, dass ein Leben ohne Werte wertlos wird. Werte schützen die Würde des Menschen. Werte machen unser Leben wertvoll. Werte, oder wie die Engländer sagen: „values“, sind Quellen, aus denen wir schöpfen können, die uns Stärke und Gesundheit verleihen. „Value“ kommt vom lateinischen „valere“, was „stark und gesund sein“ heißt. Und es bedeutet: etwas gelten. Ohne Werte gilt nichts in dieser Welt. Da weiß man nicht mehr, an was man sich halten kann. Da wird alles wertlos, einschließlich des Menschen.

In der Sehnsucht nach Werten, die unserem Leben „Validität“, Halt und Kraft, Stärke und Würde geben, spielt die Rückbesinnung auf die Zehn Gebote eine wichtige Rolle. Einerseits greift man auf die griechische Philosophie zurück, die die sogenannten „Kardinaltugenden“ Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß und Klugheit als Grundpfeiler eines gelingenden Lebens aufgestellt hat. Andererseits geht man in der Geschichte noch weiter zurück und kommt zur Bibel, die uns schon vor dreitausend Jahren die Zehn Gebote überliefert hat. Die Zehn Gebote sind Wegmarken auf der Reise durch die Werte-Wüste, in der wir uns heute befinden. Sie können uns einen Weg zeigen, wie die menschliche Gemeinschaft gelingt, wie ein Wirtschaften im Zeitalter der Globalisierung aussehen kann, das die Würde des Menschen wahrt und uns auf Dauer guttut. Wenn in der Wirtschaft nur das Recht des Stärkeren gilt, bleibt die Würde des Menschen auf der Strecke. Die Zehn Gebote ergreifen Partei für die Schwächeren. Sie beschränken die Rechte der Starken, die Rechte der Täter, um die Würde der Opfer zu stärken. (Vgl. Hofmeister/Bauerochse, S. 8)

In einer Runde unterhielten wir uns über die Zehn Gebote. Es wurden unterschiedliche Erfahrungen wiedergegeben. Die einen fühlten sich an unangenehme Erlebnisse im Beichtstuhl erinnert. Sie hatten als Kinder die Zehn Gebote in- und auswendig gelernt. Und vor jeder Beichte hatten sie anhand der Zehn Gebote und eines Beichtspiegels, der diese Zehn Gebote auf eine banale Ebene herunterzog, ihr Gewissen überprüft. Wenn sie heute an die Zehn Gebote denken, dann fällt ihnen in erster Linie ihr schlechtes Gewissen ein. Wenn sie in der Adventszeit die Dose mit den Weihnachtsplätzchen der Mutter entdeckt und davon genascht hatten, kam sofort die Frage auf: „Habe ich jetzt gestohlen? Habe ich gegen das siebte Gebot verstoßen? „ Die Zehn Gebote wurden also für die Kinder eher zu einem Schreckgespenst. Sie hatten einen düsteren Beigeschmack. Bei allem, was man tat, fragte man sich, ob man gegen die Gebote Gottes verstoßen habe und ob Gott einen dafür bestrafen würde.

Die Zehn Gebote waren kein Wegweiser zum Leben, sondern eher Drohungen, dass man sich peinlich genau an die Vorschriften der Eltern halten sollte. Doch ich möchte die alte Erziehung nicht nur negativ sehen. Die Menschen, die schon als Kinder die Zehn Gebote eingeschärft bekamen, haben oft ihr Leben lang darum gerungen, sie einzuhalten. Sie haben sie als Herausforderung gesehen, der sie sich stellen mussten. Und dadurch ist auch viel Segen für sie und andere entstanden. Die Gebote waren für sie ein Stachel, nicht nur an sich zu denken und um sich selbst zu kreisen, sondern sich der Verantwortung für andere und für diese Welt bewusst zu sein. Die Gebote haben sie in die richtige Richtung geführt. Auch wenn sie manchmal eher bedrohlich wirkten, hatten sie doch die Kraft, sie auf den Weg zu schicken. Und so sind sie auf ihrem Weg oft weiter gekommen als Menschen, die ohne die Orientierung der Gebote aufgewachsen sind. Daher möchte ich bei der Beschreibung der Gebote immer auch die Bemühungen vieler Menschen würdigen, sich an diese Gebote zu halten und dadurch diese Welt menschlicher zu gestalten.

Was geschieht, wenn man sich nicht an die Gebote hält, das hören und sehen wir heute täglich in den Medien. Wenn die Menschen nicht mehr wissen, was gut und richtig ist, wenn sie sich nicht mehr an vorgegebene Regeln und Maßstäbe halten, dann wird die Welt nicht menschlicher. Im Gegenteil, eine Welt ohne Gebote macht Angst. Auf nichts mehr ist Verlass. In Verhandlungen mit Firmen kann man sich nicht mehr auf die Ehrlichkeit verlassen. Die Hemmschwelle, zu töten, wird immer niedriger. Man spürt, dass die Gesellschaft zu einer Bedrohung wird. Man ist sich seines Lebens nicht mehr sicher. Selbst in seinem Haus fühlt man sich nicht mehr geschützt. Wenn Mord und Diebstahl zum Kavaliersdelikt werden, wird das Leben  ur

noch von Angst geprägt. Wenn die Ehe nicht mehr heilig ist, können keine Familien entstehen, die den Kindern Geborgenheit schenken. Und die Keimzelle der Gesellschaft beginnt sich aufzulösen. Damit aber verliert die Gesellschaft ihre tragende Grundlage.

So sehnt man sich danach, dass die Zehn Gebote von allen Menschen eingehalten werden. Dann könnte man ruhiger und gelassener miteinander leben.

Allein die Klage über das Nichteinhalten der Zehn Gebote macht die Welt nicht besser. Und durch bloßes Moralisieren werde ich nicht dazu beitragen, dass die Zehn Gebote sich bei den Menschen durchsetzen. Die Bibel spricht von „all diese(n) Worte(n)“, die Gott zum Volk sprach. (Exodus 20,1) Gott spricht das Volk in den Geboten an. Und es sind Worte, die die Freiheit schützen wollen, in die Jahwe sein Volk geführt hat. Gottes Worte sind immer Worte des Lebens, Worte der Liebe und Worte der Zuwendung. Es sind Weg-Worte, die wir mit auf unseren Weg nehmen können. „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“, betet der Psalmist. (Psalm 119,105) In den zehn Worten, die Gott zum Volk am Sinai gesprochen hat, weist er ihnen einen Weg, wie ihr Leben gelingen kann. Und Israel hat Gott immer wieder für die Weisheit gepriesen, die er ihnen in den Geboten geschenkt hat.

Die Gebote empfand das Volk Israel als Auszeichnung, nicht als Last. Im Psalm 119 meditiert ein Frommer die Weisheit und Wohltat der Gebote. Er betet: „Wären doch meine Schritte fest darauf gerichtet, deinen Gesetzen zu folgen! Dann werde ich niemals scheitern, wenn ich auf all deine Gebote schaue.“ (Psalm 119,5f.)

Das Volk befindet sich in der Wüste. Es hat erfahren, dass Gott es aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt hat. Es soll nicht von Neuem Sklave werden von anderen inneren und äußeren Tyrannen. Die Worte Gottes wollen das Volk für ein Leben in Freiheit befähigen. So sind es zehn Freiheitsworte, die Gott uns in den Zehn Geboten sagen möchte. Und es sind Worte des Bundes, in denen Gott sich verpflichtet, dass er uns die Freiheit schenkt, wenn wir bereit sind, uns an ihn zu binden, an ihn, den Gott, der herausführt aus dem Sklavenhaus in das Land der Freiheit. So heißt es im Buch Exodus: „Mose blieb dort beim Herrn vierzig Tage und vierzig Nächte. Er aß kein Brot und trank kein Wasser. Er schrieb die Worte des Bundes, die zehn Worte, auf Tafeln.“ (Exodus 34,28)

Der Bund, den Gott mit dem Volk geschlossen hat, war für Israel Teil des erlösenden und heilenden Handelns Gottes. Gott bindet sich an das Volk. Gott ist treu. Er hält sich an seine Verheißungen. Aber auch das Volk muss sich an den Bund halten. Dann wird es ihm gut ergehen. Doch die Klage der Propheten ist immer wieder, dass das Volk den Bund gebrochen und die Gebote verletzt hat. Das Brechen des Bundes ist Ursache allen Unheils.

Die zehn Worte sind nicht nur Worte, die einfach der vernünftigen Überlegung entspringen, sondern sie sind Reaktion auf eine tiefe Gotteserfahrung. Das Buch Exodus beschreibt diese Erfahrung, die Mose in den vierzig Tagen und Nächten mit Gott und seinen zehn Worten gemacht hat, so: „Während Mose vom Berg herunterstieg, wusste er nicht, dass die Haut seines Gesichtes Licht ausstrahlte, weil er mit dem Herrn geredet hatte.“ (Exodus 34,29) Paulus bezieht sich im Zweiten Korintherbrief auf diese Stelle. Er meint, wenn schon Mose, der Diener des Alten Bundes, solche Herrlichkeit ausstrahlte, wie viel herrlicher werden dann die Diener des Neuen Bundes sein. Und er sieht die Hülle, mit der Mose sein Gesicht bedeckte, als Bild für den Schleier, der auf den zehn Worten liegt. Viele verstehen sie falsch. Sie sehen nur den Buchstaben, aber nicht Gottes Herrlichkeit, die darin aufleuchten möchte.

In Jesus Christus können wir erst erkennen, was Gott uns in diesen zehn Worten geschenkt hat: „Bis heute liegt die Hülle auf ihrem Herzen, wenn Mose vorgelesen wird. Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. „ (2 Korinther 3,15 –17)

Paulus hat verstanden, dass die Worte uns in die Freiheit führen wollen. Die Begegnung mit Jesus Christus hat den Apostel zu dieser Einsicht befähigt. Doch wer die Erfahrung Gottes und Jesu Christi nicht macht, wem Gottes heilende und befreiende Absicht in allem, was er uns sagt, nicht aufgeht, der tut sich schwer mit den Geboten. Der empfindet sie als Last, nicht als Weg in die Freiheit. Es braucht die Erfahrung Gottes, die immer auch eine Erfahrung wahrer Freiheit ist. Dann verstehen wir die Gebote als Schutz der Freiheit und als Anweisung in die wahre Freiheit.

Doch wir dürfen Paulus nicht missverstehen, so als ob alle Israeliten heute diese Worte falsch verstünden. Vielmehr wehrt sich Paulus nur gegen eine verengende Sichtweise, wie er sie damals bei manchen Juden sah und wie wir sie heute auch bei vielen Christen antreffen. Die Israeliten verbinden schon von der Sprache her Torah nicht mit der Vorstellung enger Gesetze und Gebote. Torah bedeutet Weisung, Wegweisung eines gütigen Gottes, der nicht will, dass die Menschen sich im Gestrüpp des Lebens verlaufen. Torah bedeutet die Unterweisung, die der Lehrer dem Schüler gibt, der Meister dem Lehrling und die Mutter dem Kind. Sinn der Unterweisung ist es, dass uns unser Leben gelingt. Martin Buber hat daher in seiner Bibelübersetzung die ersten fünf Bücher der Bibel „Fünf Bücher der Weisung“ genannt. Torah meint den Wegweiser, der uns zeigt, auf welchem Weg wir ans Ziel gelangen und welcher Wegfür uns der beste ist, damit unser Leben gelingt. Aber diese Weisung muss von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Die Eltern hatten die Aufgabe, das Kind in den Geboten zu unterweisen. So fordert Gott im Buch Deuteronomium das Volk auf: „Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.“ (Deuteronomium 6,6 – 9)

Die Söhne und Töchter fragen die Eltern nach der Bedeutung der Gebote. Wenn sie fragen, dann sollen sie antworten: „Wir waren Sklaven des Pharao in Ägypten, und der Herr hat uns mit starker Hand aus Ägypten geführt. Der Herr hat vor unseren Augen gewaltige, unheilvolle Zeichen und Wunder an Ägypten, am Pharao und an seinem ganzen Haus getan, uns aber hat er dort herausgeführt, um uns in das Land, das er unseren Vätern mit einem Schwur versprochen hatte, hineinzuführen und es uns zu geben. Der Herr hat uns verpflichtet, alle diese Gesetze zu halten und den Herrn, unseren Gott, zu fürchten, damit es uns das ganze Leben lang gut geht und er uns Leben schenkt, wie wir es heute haben.“ (Deuteronomium 6,21– 24)

Das Einhalten der Gebote ist Antwort auf die Befreiungstat Gottes. Es hält das Volk zusammen. Es ist die Bedingung, dass es dem Volk gut geht. Wenn die Eltern zu den Kindern von den Geboten Gottes sprachen, dann war das nicht irgendein Teil der Unterweisung, sondern der zentrale Kern. Denn davon hing es ab, dass das Volk wirklich Gottes Volk blieb und dass es auch künftig unter seinem Segen stand.

Gegenüber dieser positiven Bedeutung der Gebote in der jüdischen Tradition gab es zur Zeit Jesu eine Aufblähung der Gebote. Statt der Zehn Gebote gab es nun über 248 Gebote und 365 Verbote. Sie alle hatten für die Schriftgelehrten die gleiche Geltung. Die Ge- und Verbote regelten das Leben in allen Einzelheiten. Für die Pharisäer war das durchaus ein Versuch, die Gebote ins konkrete Leben zu übersetzen. Doch für viele wurden die Gebote damit zur Last. Und es ging oft nicht mehr um den Sinn, sondern bloß um den Buchstaben.

Jesus hat die Zehn Gebote nicht in viele Einzelgebote aufgefächert, sondern sie auf das Liebesgebot reduziert und damit verdichtet. Er hat verstanden, worum es in den Geboten letztlich geht: Es geht um die Frage, ob wir Gott und den Menschen und uns selbst lieben, ob die Liebe die eigentliche Grundlage unseres Lebens ist oder aber Hass und Zwietracht, Neid und Gewalt. Ohne Liebe bleiben die Gebote leer. Und ohne Liebe vermag ich letztlich kein Gebot zu erfüllen. Erst die Liebe füllt die Gebote mit Leben. Das ist die neue Deutung Jesu. Bei den Zehn Geboten möchte ich daher immer auch die Neuinterpretation durch Jesus aufgreifen, die den Geboten eine ganz bestimmte Sinnrichtung gibt.

In der Auslegung der einzelnen Zehn Gebote möchte ich jeweils zu Beginn auf die ursprüngliche Bedeutung zurückgreifen, bevor ich versuche, die Gebote so zu verstehen, dass sie mein konkretes Leben hier und heute betreffen. Die Weisungen beziehen sich nicht allein auf mein Verhalten Gott oder dem Nächsten gegenüber, sondern beschreiben zugleich, wie ich mich mir selbst gegenüber verhalten soll.

Ich kann sie auch als Spiegel verstehen, in denen ich mich und meinen inneren Zustand reflektiert sehe. Ich kann darin sehen, ob ich auf einem Weg bin, der für mich gut ist, oder ob ich in die Irre gehe. Und ich kann erkennen, wie es gerade um mich steht, ob ich selbst lebe oder gelebt werde, ob ich frei bin oder mich wieder von Neuem versklaven lasse. Daher geht es nicht nur darum, dass ich die Gebote einhalte, sondern dass ich sie meditiere. Indem ich die zehn Worte Gottes meditiere, entdecke ich, wer Gott ist und wer ich selbst bin. In der Meditation erkenne ich die Weisheit Gottes in den Geboten und den Weg zum wahren Leben für uns Menschen.

Holländische Vertragspartner haben den Wunsch geäußert, dass ich das Thema der Zehn Gebote aufgreife. Sie hatten den Eindruck, dass dieses uralte Thema gerade heute wieder hochaktuell ist. Die holländischen Partner haben auf eine Fernsehreihe hingewiesen, die in Holland lief. Dort hatte man versucht, die Gebote nicht als Verbote zu formulieren, sondern als positive Aussage über mein Verhalten. Die Weisungen sind keine Verbote, sondern Anweisungen zum Leben. Ihre Formulierungen beziehen sich immer auf Verhaltensweisen, die in mir bereitliegen, die ich aber oft genug übersehe. Es sind Zusagen für ein gelingendes Leben.

Die Absicht der KRO (Katholieke Radio Omroep – Catholic Broadcasting Company) bei der Neuformulierung der Gebote war, dass sie sie auf eine persönliche Ebene transformierten. Sie verstanden sie als Regeln, die die Menschen von sich her leben möchten, und nicht als von außen auferlegte Gebote. Es sind Überzeugungen, die dem Herzen der Menschen entspringen und die ihrer tiefsten Würde entsprechen.

Ich habe die holländischen Zusagen den traditionellen Formulierungen der Zehn Gebote gegenübergestellt. So entsteht eine Spannung zwischen Weisung und Zusage, zwischen Gebot und Angebot. Die deutsche Sprache kennt noch diese Spannung. Das Wort „Gebot“ kommt ja von bieten, etwas anbieten, darreichen, bekannt machen, zeigen. Und es bezieht sich auf die Wurzel „bheudh“, was so viel wie „erwachen, geistig rege sein“ bedeutet. Aus derselben Wortwurzel stammt auch der Name „Buddha „, der „Erwachte“. Gebote sind also Darreichungen Gottes, Angebote Gottes, die uns zeigen, wie das Leben gelingt. Aber nur jener kann sie verstehen, der erwacht ist, der dem Göttlichen begegnet ist. Und umgekehrt gilt: Wer sich auf die Gebote einlässt, der erwacht, dem öffnen sie die Augen für das Geheimnis gelingenden Lebens. Das andere deutsche Wort „Gesetz“ kommt von „setzen“, „festsetzen“. Das Bild, das hinter diesem Wort steckt, bezieht sich auf einen guten Sitz. Ich kann gut sitzen, wenn alles um mich herum gut gesetzt ist, wenn die Mauern, die Stufen und die Stühle richtig gesetzt sind. Wir bezeichnen einen in sich ruhenden Menschen als gesetzt. Gesetze wollen uns also helfen, den richtigen Sitz zu finden, in uns zu ruhen und alles um uns herum richtig zu setzen, damit das Leben stimmt.

Gerade in Deutschland haben wir ein gestörtes Verhältnis zu Geboten und Gesetzen. Der Staat hat allzu viele kleinliche Gesetze erlassen. Und in der preußischen Tradition galt: „Gesetz ist Gesetz.“ Das Gesetz verlangt absoluten Gehorsam. Und mit dem Missbrauch des Gehorsams im Dritten Reich haben wir auch den Geschmack an den Gesetzen verloren.

Im Alten Testament priesen die Juden hingegen Gott dafür, dass er ihnen so weise Gesetze gegeben hat. Psalm 19 singt das Lob auf das Gesetz des Herrn: „Die Weisung des Herrn ist vollkommen, sie erquickt den Menschen. Das Gesetz des Herrn ist verlässlich, den Unwissenden macht es weise. Die Befehle des Herrn sind richtig, sie erfreuen das Herz; das Gebot des Herrn ist lauter, es erleuchtet die Augen.“ (Psalm 19,8 f.)

Die Gebote Gottes wollen keine Last sein, sondern den Menschen erfreuen und erquicken. Sie sollen seine Augen erleuchten, damit er die Welt so sieht, wie sie ist. Nur in diesem Sinn können wir die Gebote Gottes richtig verstehen. Sie sind eine Hilfe, dass das Leben gelingt. Sie schützen die Freiheit, die Gott dem Menschen geschenkt hat. Und sie sind Quelle von innerer Ruhe und Freude, von Weisheit und Einsicht

©dtv©

Literaturangabe:

Anselm Grün: Die Zehn Gebote. Wegweiser in die Freiheit. dtv, München 2009. 160 S., 7,90 €.

Weblink:

dtv


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: