Von Roland H. Wiegenstein
Arthur Köster? Man findet den Namen winzig klein als Copyright-Zeile unter nicht wenigen Fotos, die Bauten der 20er und frühen 30er Jahre zeigen, aber selbst unter den Sammlern von Fotokunst ist er weithin unbekannt. Dass der Kunsthistoriker Michael Stöneberg diesem Fotografie-Meister, der von 1890 bis 1965 lebte und von 1926 bis 1958 in Berlin die „Fotowerkstatt für Architektur und Industrie“ betrieb, einen über vierhundert Seiten starken, mit weit mehr als dreihundert Abbildungen versehenen, drei Kilogramm schweren Kunstband widmete, der aus einer Dissertation hervorging, kann freilich nur auf den ersten Blick verwundern.
Stöneberg hat sich den richtigen Forschungsgegenstand herausgesucht, denn Köster war der „Hausfotograf“ einiger der wichtigsten Architekten der Bewegung, welche seit Beginn des Jahrhunderts und besonders nach dem Ersten Weltkrieg überall in Europa das Bauen radikal veränderten – weg von Historismus und Repräsentation, hin zu einem puristischen Stil, der sowohl einer neuen Moral, als auch neuen technischen und ökonomischen Voraussetzungen gehorchte. Die Namen seiner Auftraggeber sind eine Art Gotha dessen, was man in Deutschland „Neues Bauen“ nannte: Erich Mendelsohn, Bruno Taut, die Gebrüder Luckhardt, Mies von der Rohe, Walter Gropius, Hans Scharoun, Otto Bartning, Hugo Häring und viele andere.
Sie beauftragten ihn damit, ihre Bauten und Modelle abzulichten, wussten sie doch, dass der „Handwerker“ Köster diese ins rechte Licht setzen würde: für die Bauherrn und für alle Arten von Werbung in Fachzeitschriften, Publikums-Illustrierten, Büchern. Dem gelernten Fotografen lag es ganz fern, „Kunst“ machen zu wollen (wie es so viele andere Zunftgenossen der damaligen Zeit intendierten), er suchte entweder selbst mit seiner schweren Plattenkamera (18x24 cm, Glasnegative) den jeweils richtigen Standort, um ein Gebäude aufzunehmen, oder ging auf den Wunsch des Architekten ein, wichtig war das Objekt – nicht Kösters subjektive Ansicht. Deshalb arbeitete er grundsätzlich nur als Auftragnehmer, nicht frei. Damit erwarb er sich einen soliden Ruf, die im „Ring“ zusammengeschlossenen Avantgarde-Baumeister nahmen ihn besonders gern, wenn sie Bilder ihrer Bauten haben wollten.
Stöneberg untersucht das Verhältnis zwischen Fotograf und Auftraggeber genau, aber auch Kösters „Darstellungsstrategien“, die so simpel nicht waren, wie es die Fotos vermuten lassen. Dieser Meister wusste genau, wie man ein Gebäude (oder das Detail eines Gebäudes) gleichsam „objektiv“ in Szene setzt, nämlich so, dass dieser auswählende Vorgang selbst, sein „Kunstcharakter“, dahinter verschwindet. Er war bescheiden und allenfalls stolz auf die Deutlichkeit und Schärfe seiner Aufnahmen. Sie zeigten, was da war. Er wusste genau, was für ein Wetter und welchen Lichteinfall er brauchte, welche Größe das Objekt haben musste, um eine optimale Wirkung zu entfalten und welches die richtige Zeitwahl war. Menschen gibt es in diesem Fotografien nur dann, wenn sie vor Häusern oder in Räumen platziert, diese besser erklären, denn dann stellte er sie selbst ins Bild. Dieser nüchternen Vorgehensweise verdanken wir ein Konvolut von Baufotografien, wie es in dieser Vollständigkeit wohl einmalig ist. Über 2.000 Arbeiten Kösters hat Stöneberg in seiner Datenbank eingescannt, zusammengenommen ergeben sie auch einen Überblick über das Werk der Architekten, deren Geist und Vorstellungen in den Auftragswerken Kösters sichtbar werden.
Und dies ist der zweite große Vorzug von Stönebergs Buch: Er holt nicht nur einen Fotografen zurück ins Bewusstsein der Geschichte des Metiers, sondern die Bauten selbst, von denen viele den Krieg nicht überlebt haben oder später verunstaltet worden sind. Diese Bilder zeigen, dass das serielle Bauen der späten Zwanziger Jahre rein gar nichts mit den späteren industriell gefertigten Stahlgerüst-Plattenbauten zu tun hat. Das wird besonders deutlich an den zahlreichen Siedlungen, die Taut, Mendelsohn und Luckhardts damals entworfen haben (es gab eben nicht nur die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart!)
Es ging nicht um die Solitäre wohlhabender Leute (die haben die Architekten auch gebaut, Köster hat sie fotografiert und die sind in den Baugeschichtsbüchern abgebildet), sondern um bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten, die vor allem in Berlin aus den Hinterhaushöhlen der im 19. Jahrhundert zu schnell gewachsenen Großstadt herausgeholt werden sollten – in eine Umgebung, die dem Bedürfnis nach Licht und Luft entsprach. Köster hat viele dieser Siedlungen fotografiert und zeigt, dass die Architekten (und die Bauherrn, meist große Wohnungsbaugesellschaften, an denen auch die Kommunen beteiligt waren) alles taten, um den seriellen Charakter der Häuserzeilen aufzulockern. Dies taten sie mit Hilfe von Treppenhaus- und Eingangs-Risaliten, mit Fensterlaibungen aus anderem Material (meist Ziegeln, die den hell verputzten Wänden einen Rhythmus gaben), mit überraschenden Lösungen für Balkons und Loggien, abgerundeten Hausecken, lauter Setzungen, die über das, was „zum Leben nötig“ war, hinausgingen und ästhetischen Vorstellungen gehorchten.
Eine andere Stärke des Neuen Bauens waren Schulen und Krankenhäuser, die dem gleichen Geist moderner Lebensführung gerecht wurden, also nicht mehr die ominösen Kasernen des Kaiserreichs, die Postämter oder Gerichtsgebäude, die pompös einschüchterten. Beim Neuen Bauen ging es nüchterner und menschenfreundlicher zu. Es war eben diese Trias von ästhetischer Modernität, aufgeklärter Hinneigung zum „kleinen Mann“ und technischer Innovation, die dieses Bauen auszeichnete, und das noch heute jeden berührt, der etwa Max Tauts Siedlungen in Berlin (oder was von ihnen übrig blieb) besucht. Köster bringt sie uns in ihrem Urzustand nahe. Und er macht das postmoderne Verdikt über das Neue Bauen obsolet. Langweilig und sogar grausig wurde es erst, als die Funde (und die Moral) derer, die in Stönebergs Band so überzeugend auftreten, von Technik und Ökonomie verramscht wurden.
Nach 1933 blieb für Köster nicht mehr arg viel Interessantes zu tun – die, mit denen er so lange zusammen gearbeitet hatte, wurden verfemt, verließen Deutschland oder überwinterten in Nischen. Den Fotos von Sagebiels Bauten im heroischen NS-Stil meint man anzusehen, dass Köster da etwas pflichtgemäß aufgenommen hat.
Das Buch, das einem wichtigen Fotografen wieder in die Sichtbarkeit verhilft und das auf schöne, in der Gestaltung befriedigende Weise tut, ist zugleich auch eines, das Kösters Objekten Ehre antut.
Literaturangabe:
STÖNEBERG, MICHAEL: Arthur Köster. Architekturfotografie 1926-1933. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2009. 414 S., 118 €.
Weblink: