Von Frauke Kaberka
Ihre Romanfiguren sind ein bisschen wie sie selbst: ungewöhnlich, sensibel und stolz. Wie die französische Autorin Marie NDiaye in ihrem neuen Roman „Drei starke Frauen“ ihre Charaktere zeichnet, ihnen tief in die Seele blickt, ist beklemmend gut. Die Preisträgerin der hohen literarischen Auszeichnung Prix Goncourt hat hier Porträts geschaffen, die ihresgleichen suchen. Keine ihrer Anti- Heldinnen, die doch eher Heldinnen sind, gleicht der anderen. Aber sie haben eine Gemeinsamkeit: ihre Würde. Und noch etwas verbindet die Geschichten der drei Frauen miteinander, die den dreiteiligen Roman füllen: Sie haben alle mit dem Senegal zu tun, dem Land, aus dem auch NDiayes Vater stammt.
Norah, eine Pariser Anwältin, reist auf Wunsch ihres Vaters nach Afrika, damit sie ihren Bruder aus dem Gefängnis holt. Voller Widerwillen betritt sie das Haus, in dem sie einst mit Geschwistern und Eltern eine Zeit lang lebte. Sie sucht in dem Mann, der sich Vater nennt, sie und ihre Schwester aber nie wirklich als Kinder akzeptierte, jene übermächtige und lieblose Gestalt, die sie in ihrem Gedächtnis gespeichert hat. Stattdessen findet sie einen gebrochenen, dicken, alten Mann, der sie fast noch mehr abstößt als seine frühere Persönlichkeit. Ihr Widerstand wächst, aber sie bleibt, um dem Bruder zu helfen - und leidet.
Die zweite Frau ist Fanta. Sie hat im Senegal einen französischen Lehrer geheiratet und ist ihm später nach Frankreich gefolgt. Sie wird von außen beleuchtet und das sehr, sehr subjektiv - durch ihren Mann. Und doch wird sie so klar und hell herauskristallisiert wie er sich gleichermaßen in seinen düsteren Gedanken und Erinnerungen verliert. Schuld, Scham, Selbstverleugnung und sein Unvermögen, Frau und Sohn die Liebe zu geben, die er geben möchte, lassen die einst beflügelte Fanta mit Zentnerlasten durchs Leben schlurfen - aber ungebrochen.
Und dann ist da noch die glücklose Khady mit einer Vergangenheit ohne Glück, einer Gegenwart ohne Glück und ohne Zukunft. Nach dem Tod ihres Mannes lebt sie bei seiner Familie - ungeliebt, schikaniert und schließlich abgeschoben. Doch Khady empfindet die als Demütigung gedachten Grausamkeiten nicht als solche, denn sie hat sich in ihre eigene innere Welt zurückgezogen. Stets mit dem Bewusstsein: Ich bin ich. Ich bin Khady. Auch die ihr zugefügten Qualen durch Schlepper und andere Menschen können ihr daher nichts anhaben, bis sie stirbt - und frei ist.
Unheimlich sind sie, die Geschichten der starken Frauen. Und unheimlich mitreißend in ihrer Mischung von Authentizität, konzentrierter Seelenanalyse und märchenhaften Elementen. Ein komplizierter Satzbau erhöht die Spannung, ohne dass man die Orientierung verliert. Denn es wird zum Bedürfnis, alles zu begreifen, auch wenn hinter dem Verständnis das Erschrecken steht.
Unter die düsteren Schicksale setzt NDiaye abschließend einen Kontrapunkt. Das ist ein höchst wirkungsvoller Kunstgriff. Denn dieser Kontrapunkt von nur wenigen Zeilen und jeweils aus der Perspektive einer außenstehenden Person ist genau das, was der Leser braucht, um sich aus der Beklemmung zu lösen, die die intensive Beschreibung seelischer und körperlicher Qualen hervorruft. Auch wenn eigentlich nichts aufgelöst wird und Zorn und Bitterkeit nachwirken.
Literaturangabe:
NDIAYE, MARIE: Drei starke Frauen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 342 S., 23,60 €.
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