FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Im Februar 2010 ist im Carl Hanser Verlag Annika Reichs Roman „Durch den Wind“ erschienen.
Klappentext: Vier Frauen, Mitte Dreißig, in Berlin: Yoko, Friederike, Alison und Siri sind auf der Suche nach der Liebe und nach dem richtigen Leben. Und alle vier hadern mit sich, weil sie Angst vor dem Scheitern haben. Haben die Alten etwa mehr Mut als die jungen Leute? Annika Reich erzählt mit Witz und Melancholie, mit Intelligenz und Genauigkeit von einer Generation, die das Neue will und vor den alten Fragen steht. Am Ende merken die vier Frauen: Leben lernen muss jede für sich allein.
Annika Reich, geboren 1973 in München, lebt in Berlin. Sie studierte Ethnologie und Philosophie an der FU Berlin und arbeitet heute als Lehrbeauftragte an Universitäten in Berlin, Hamburg, Freiburg. Außerdem ist sie seit 2009 als publizistische Mitarbeiterin bei der Malerin Katharina Grosse tätig. 2003 erschien die Erzählung „Teflon“.
Leseprobe:
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Am Abend nach dem Fest lag Alison in ihrem Bett. Im Flur brannte die kleine Lampe, die sie immer brennen ließ, wenn sie alleine war. Sie war nicht gut im Alleinsein, sie war gut im Zuzweitsein. In dem Zwischenraum, der sich zwischen Victor und ihr immer weiter ausbreitete, herrschte eine Schwerelosigkeit, die sie Volten schlagen und zur Ruhe kommen ließ. In diesem Zwischenraum war sie zu Hause, das war ihr Kosmos, ihr Leben. Doch jetzt war sie alleine und schwebte verloren über der weißen Landschaft aus Laken, Kissen und Decken, die ihr viel zu groß vorkam für einen einzigen Menschen.
Victor war gleich nach dem Frühstück aufgebrochen. Verkatert, übermüdet war er mit dem Taxi zum Flughafen Tegel gefahren, um nach Japan zu fliegen. Schon wieder eine Geschäftsreise. Beim Frühstück hatte er darauf bestanden, ihr die Butter aufs Brot zu schmieren, sie mit Ei und Obstsalat zu füttern, ihr einen Saft und noch einen zu pressen – so als müsste sie damit bis zu seiner Rückkehr auskommen. Als die Tür ins Schloss fiel, weinte sie, obwohl sie es gewöhnt war, dass er weg war, denn er war andauernd weg. Nach ein paar Minuten hatte es noch einmal an der Tür geklingelt, und sie hatte mit geröteten Augen geöffnet. Victor war die Treppen hochgestürmt, hatte sie geküsst und gesagt, dass er das noch vergessen hätte. Auch er genoss den sternennahen Raum ihrer Gemeinsamkeit, auch er brauchte ihn, um in die Welt aufbrechen zu können.
Nach seinem letzten Kuss hatte sie sich an ihren Schreibtisch gesetzt und ein paar Sternzeichen-Illustrationen für ein Magazin gezeichnet, die Mitte nächster Woche fertig sein mussten. Sie war weit gekommen, hatte eine Linie nach der anderen über das weiße Papier gezogen und sich dabei über die melancholischen Gesichter von Wassermann und Schütze gewundert.
Ihre roten Haare bedeckten nun fast Victors ganzes Kopfkissen. Sie strich über seinen Pyjama, den er letzte Nacht nicht getragen hatte, weil sie immer nackt einschliefen, wenn sie sich geliebt hatten. Jetzt trug sie ihn. Das Oberteil war falsch geknöpft, und die Hose rutschte ihr von den Hüften. Sie roch an seinem Ärmel, aber sein Geruch würde bald verflogen sein. Sein Geruch, der ihr die Schwerkraft gab, die sie brauchte, um in den Schlaf zu sinken. Ohne seinen Geruch würde es schwieriger sein, lange dürfte er also nicht fortbleiben.
Sie dachte an Friederike, dachte daran, dass ihre Stimme nicht gut geklungen hatte vorhin am Telefon und dass man einfach nicht verstehen konnte, warum sie sich ihr Leben von einem Mann wie Tom oder irgendeinem anderen so schwer machen ließ. So etwas war ihr nie passiert. Dabei kam ihr Friederikes Leben immer so viel selbstbestimmter vor als ihr eigenes, so viel mutiger.
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Literaturangabe:
REICH, ANNIKA: Durch den Wind. Carl Hanser Verlag, München. 336 S., 19,90 €.
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