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Ein dunkles Familiengeheimnis

Der Roman „Mittwochsbriefe“ von Jason F. Wright

© Die Berliner Literaturkritik, 05.01.09

 

MÜNCHEN (BLK) – Im Januar 2009 wird im Heyne Verlag der Roman „Die Mittwochsbriefe“ von Jason F. Wright erscheinen.

Klappentext: Innerhalb einer einzigen schicksalsschweren Nacht sterben Jack und Laurel, die seit fast vierzig Jahren glücklich verheiratet waren. Schweren Herzens finden sich ihre drei Kinder zusammen, um die Begräbnisfeierlichkeiten zu organisieren. Jeder hat sein eigenes Problem im Gepäck: Matthews Ehe ist ungewollt kinderlos und entsprechend angespannt. Samantha wiederum ist bereits geschieden und muss sich als alleinerziehende Mutter durchkämpfen. Und Malcolm ist um seiner Jugendliebe willen mit dem Gesetz in Konflikt geraten und bereits vor Jahren in Brasilien untergetaucht. Im Keller ihres Elternhauses stoßen die drei unvermutet auf einen Schatz: kistenweise Briefe des Vaters an die Mutter, die er ihr jahrzehntelang jeden Mittwoch geschrieben hat. Sie bieten wunderbar romantische Liebeserklärungen an seine Frau und zugleich eine rührende Geschichte der Familie. Die Lektüre ist zunächst enorm tröstlich. Doch dann taucht ein Brief auf, der die Familie in ihren Grundfesten erschüttert und eines der Kinder in den Abgrund zu stoßen droht.

Jason F. Wright arbeitet als freier Journalist, Redner und politischer Berater. Bereits sein erster Roman, „Christmas Jars“, war ein Bestseller in Amerika. Auch „Die Mittwochsbriefe“ gelangten auf die Bestsellerlisten von „New York Times“ und „Publishers Weekly“. Jason F.Wright lebt mit seiner Frau und den gemeinsamen vier Kindern in Virginia. (jud/dan)

Leseprobe:

© Heyne ©

13. April 1988

 

Mittwochabend

 

Kurz nach elf glitt Laurel unter den kastanienbraunen Quilt zu ihrem Mann ins Bett. Sie umschlang Jack mit ihren kräftigen Armen und registrierte besorgt, wie deutlich sie seine Rippen fühlen konnte. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeit, da er erheblich mehr als sie gewogen hatte.

Weil sie annahm, Jack schlafe schon, begann sie mit ihrem Einschlafritual. Sie atmete tief ein und ließ dann die Luft mit zusammengepressten Lippen aus ihrer Nase entweichen. Das beruhigte sie.

Sie schloss die Augen und betete: für ihre Kinder Matthew, Malcolm und Samantha, für ihr Enkelkind Angela und ihre Schwester Allyson. Dann bat sie Gott inbrünstig, dass er ihnen noch etwas mehr Zeit schenkte, und schalt sich gleichzeitig wegen ihrer Schwäche. Am Ende des stummen Gebets vergoss sie ihre ersten und einzigen Tränen des Tages.

„Hi.“

Sie schrak auf, als sie Jacks Stimme hörte. „Hey, ich dachte, du schläfst schon.“ Laurel wischte die Tränen an dem blauen Kopfkissen ab.

„Ich habe nur gedöst. Geht es dir jetzt besser?“

„Ja, aber ich habe den Abwasch stehen lassen. Rain soll sich morgen früh darum kümmern. Ich habe immer noch Sodbrennen. Könnte es vielleicht sein, dass ich langsam zu alt für meine eigenen Quesadillas werde?“ Laurel fuhr mit der Hand durch Jacks schütteres, silbergraues Haar und rieb sich mit der linken Hand die Brust. „Aber was ist mit dir? Ist dir schwindelig?“

„Nein, mein Liebling.“

„Du bist ein erbärmlicher Lügner, Jack Cooper.“ Laurel ließ ihre Hand auf seine Stirn gleiten.

„Da hast du recht. Muss wohl an dem Knoten in meinem Kopf liegen.“ Achtzehn Monate kämpfte Laurels einundsiebzigjähriger Mann nun schon gegen einen aggressiven, inoperablen Hirntumor, der bei seiner Entdeckung nur murmelgroß gewesen war, inzwischen aber das Ausmaß eines Pingpongballs angenommen hatte. Die Kopfschmerzen kamen und gingen: Manchmal hatte Jack zwei oder gar drei Tage überhaupt keine Schmerzen. Doch wenn sie wiederkehrten, wurde ihm gleichzeitig so übel und schwindelig, dass er praktisch ans Bett gefesselt war. Außerdem hatte er immer einen Eimer in Reichweite.

Obwohl die Ärzte ihm versicherten, dass ständig neue Medikamente und Therapien entwickelt und getestet wurden, war sich Jack doch sicher, dass nur Gott ihn noch retten konnte. Und der hatte gewiss Besseres zu tun, als einen Bed-and-Breakfast-Besitzer in irgendeiner Kleinstadt zu heilen. „Zum Beispiel, Frieden im Nahen Osten zu schaffen oder die Chicago Cubs wieder in die World Series zu bringen“, pflegte Jack nach jedem Arzttermin zu seiner Frau zu sagen. Diesen Scherz hatte Laurel seit Jacks Erstdiagnose schon in mindestens fünfzig Variationen gehört.

Ihre Frühstückspension, die die Vorbesitzer Domus Jefferson - Jeffersons Heim - getauft hatten, lag im Herzen des Shenandoah Valley, genau zwischen den Allegheny Mountains und den Blue Ridge Mountains. Jack hatte schon oft gesagt, wenn er das Jüngste Gericht überstünde und sein Schöpfer ihm die Wahl zwischen dem Himmel und diesem Fleckchen Erde ließe, würde er nicht lange überlegen müssen.

In dieser Frühlingsnacht war ihr geliebtes B & B nahezu leer. Ihr einziger Gast war Anna Belle Prestwich, eine reiche Erbin, deren Mann ein Vermögen mit Tierfutter gemacht hatte. Sicher war sie noch wach und las einen Liebesroman - in ihrem Zimmer, das eigentlich 190 Dollar pro Nacht kostete, für das sie aber unbeirrbar 300 Dollar bezahlte. Das Zimmer war mit teuren Replikaten aus Thomas Jeffersons Haus in Monticello möbliert und gab den Blick auf die ausgedehnte Wiesenfläche frei, die von der Rückseite des Gebäudes sanft bis zu einem kleinen Bach am Waldrand abfiel. Wenn Anna Belle drei, vier Kapitel gelesen hatte, würde sie sich mit der Taschenlampe ihres Mannes aufmachen, um ihre Katze Castro auszuführen. Ihr war klar, dass die meisten Menschen ihre Katzen nicht ausführten, aber Anna Belle war eben nicht wie die meisten Menschen. Und die meisten Katzen hatten auch nicht solche Gewichtsprobleme wie Castro.

Anna Belle war seit ein paar Jahren ein regelmäßiger Gast in der Frühstückspension mit den sieben Zimmern. Normalerweise kam sie ein-, zweimal pro Monat und blieb manchmal bis zu zehn Tage. Ihr eigenes Haus, eine prachtvolle, verwinkelte Südstaatenvilla mit vier Gästehäusern - die Gerüchten zufolge von einer halben bis zu einhundertzehn Millionen Dollar wert sein konnte - lag nur eine knappe Meile entfernt. An einem klaren Wintermorgen, wenn die Bäume schon längst ihre Blätter abgeworfen hatten, konnte man im Osten durch die nackten Äste hindurch das hohe Silo einer ihrer unbenutzten Scheunen und das Dach des weißen Haupthauses erkennen.

Anna Belle war eine kleine, rundliche Frau. Sie stammte ursprünglich aus Florida und war schon nicht mehr die Jüngste gewesen, als sie eines frühen Herbstmorgens am Strand von Miami Beach Alan Prestwich kennengelernt hatte. Er suchte damals gerade Muscheln für die Tochter seiner Sekretärin, und Anna Belle brachte Castro bei, sich nicht vor dem Meer zu fürchten.

Ihre Begegnung an jenem Morgen führte rasch zu einer höchst ungewöhnlichen Eheschließung - und für beide war es das erste Mal. Alan Prestwich erklärte, er liebe seine frisch Angetraute wegen ihrer unverfälschten Art, wegen ihrer breiten, kühn geschwungenen Hüften, die eine eigene Persönlichkeit zu besitzen schienen, und wegen ihrer cremeweißen, butterweichen Haut. Vor allem aber liebe er sie wegen ihres dunkelroten, fast kastanienbraunen Haars, das sie in Würde ergrauen lasse. „Die Frauen, mit denen ich liiert war“, sagte er, als sie an jenem ersten Morgen gemeinsam über den Pier schlenderten, „hätten niemals mit grauen Strähnen das Haus verlassen. Aber du, Anna Belle - du bist etwas ganz Besonderes.“

„Wenn ich etwas so Besonderes bin“, antwortete sie, „warum hat sich dann bisher kein Mann für mich interessiert?“

„So war es nicht. Es war bis jetzt nur keiner gut genug für dich.“

Sechs Wochen später waren sie verheiratet.

Im dritten Jahr ihrer glücklichen Ehe stürzte Alan, der abenteuerlustige und unverwüstliche Selfmade-Millionär, bei seinem ersten Soloflug mit seiner brandneuen 1984er Gulfstream III in die Everglades. Man fand von ihm nur noch die große Maglite, die zweihundert Meter von der Absturzstelle entfernt ihren Lichtkegel durch das trübe Wasser in den Himmel warf. Seitdem trug Anna Belle diese Taschenlampe ständig bei sich, denn sie war überzeugt, sie würde sie eines Tages benötigen, um Castro nach einem Donut-Gelage im Wald aufzuspüren, einen Schwarzbären abzuschrecken oder sie bei einem anderen edlen Unterfangen einzusetzen.

Schon seit jeher war bei Anna Belle vieles anders als bei anderen gewesen. Als sie in ihrer Heimatstadt einen Job im A & P-Supermarkt annahm, hatte eine Schar lästernder Klassenkameradinnen sie prompt A & P getauft. Nur um ihnen zu trotzen, hatte Anna Belle diesen Spitznamen bereitwillig übernommen. Spitznamen zeigen, dass man beachtet wird, hatte sie zu sich gesagt. Inzwischen fragte sich A & P hin und wieder, wie diese Lästermäuler sie wohl nennen würden, wenn sie wüssten, dass sie von ihrem Mann ein Vermögen geerbt hatte und Multimillionärin war.

Nicht lange nach Alans tödlichem Absturz hatte Anna Belle Woodstock in Virginia zu ihrer neuen Wahlheimat erklärt. Aufgefallen war ihr dieser Ort, weil er auf einer Broschüre, die sie in einem der Aktenschränke ihres Mannes gefunden hatte, mit Kugelschreiber umkringelt gewesen war. Knapp einen Monat später wohnte sie schon dort, und es dauerte nicht lange, da waren sie und die Coopers Freunde. Insgeheim hegten Jack und Laurel allerdings den

Verdacht, dass das Lebensziel ihrer neuen schrulligen Nachbarin darin bestand, jeden einzelnen Penny ihres Vermögens in ihr B & B zu stecken.

„Rate mal, wie viel Trinkgeld mir A & P für ihre Abendmilch gegeben hat“, flüsterte Laurel.

„Hundert.“

„Mehr.“

„Zweihundertfünfzig?“

„Mehr“, wiederholte Laurel.

„Fünfhundert Dollar?“, fragte Jack, nun lauter.

„Fünfhundertneunzehn Dollar und zweiundfünfzig Cent. Alles, was sie in ihrem Portemonnaie hatte.“

© Heyne ©

Literaturangaben:
WRIGHT, JASON F.: Die Mittwochsbriefe. Roman. Aus dem Amerikanischen von Marie Rahn. Heyne Verlag, München 2009. 288 S., 17,95 €.

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