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Ein halbnackter Mann in Strumpfhosen

Rudolf Nurejew war einer der schillerndsten Balletttänzer des 20. Jahrhunderts – wo der 1993 verstorbene Tartare auftauchte, stand er im Rampenlicht

© Die Berliner Literaturkritik, 31.12.08

 

„Tanzen heißt, aus sich herauszutreten – größer zu werden, schöner, stärker“, sagte die Choreografin Agnes de Mille. Der 1993 verstorbene Rudolf Nurejew lebte dieses Ideal. Er war und ist als einer der ganz wenigen Ballett-Stars auch jenen ein Begriff, die sich rein gar nicht für Tanz interessieren. Er machte auf der Bühne des klassischen Balletts den männlichen Tänzer der Primaballerina ebenbürtig. Und er brachte den Tanz in die Schlagzeilen der Boulevardpresse – indem er nicht nur seine Kunst, sondern auch sein ungewöhnliches Leben ins Rampenlicht stellte.

Vladimir Malakhov, heute künstlerischer Leiter und Ballett-Intendant am Staatsballett Berlin, wurde oft mit ihm verglichen. In seinem Vorwort zum neuen Bildband „Nurejew – Bilder eines Lebens“ sagt er: „Welch eine Urgewalt war Rudolf Nurejew, welch ein Ereignis! Er war ein Star und ist es im Grunde bis heute. Er war ein Besessener, besessen vom Tanz, vom Theater, hungrig auf das Leben, und er war glamourös.“ Kein Zweifel, wo der 1938 geborene Tartare auftauchte, stand er im Mittelpunkt.

Als Junge galt er als Rabauke, später machte ihm sein Eigensinn immer wieder Probleme. Er hielt sich an keine Regel, änderte Kostüme eigenmächtig ab, was ihm beispielsweise am hoch diszipliniert arbeitenden Kirow-Ballett, wo er mit 20 Jahren tanzte, wenige Sympathien einbrachte. So hatte Rudolf Nurejew die legendäre Gastspielreise des Kirow nach Paris, wo er 1961 um politisches Asyl bat, beinahe nicht antreten dürfen. Der Grund: sein „auffälliges“ Verhalten, insbesondere die unerwünschten Kontakte zu West-Künstlern. Die spektakuläre Flucht in den Westen, seine Liebe zur Bühne und zur Glitzerwelt des Films (er spielte in Ken Russels Film „Valentino“ und neben der jungen Nastassja Kinski in „Gefährliches Dreieck“) sowie sein Charisma machten ihn schnell zum Star.

Seine faszinierende, spannende Lebensgeschichte, die er teilweise selbst etwas „beschönigte“, um sie interessanter zu machen, wird im ersten Teil von „Nurejew – Bilder eines Lebens“ erzählt. Der Band ist 2008, pünktlich zu Nurejews 70. Geburtstag, erschienen. Den weitaus größeren Raum nehmen selbstverständlich die Bilder ein. Wir sehen Rudolf Nurejew zusammen mit Königin Elisabeth II. von England, mit Yves Saint Laurent, Marlene Dietrich, Alain Delon und Sharon Stone, bei Empfängen, Filmfestivals und Premieren. Stets steht er mitten im Blitzlichtgewitter der Kameras. Ganz klar, dieser Mann liebte das Rampenlicht. Was dazu führte, dass er nicht nur mit seiner Ausnahme-Tanzkunst, sondern auch mit seiner Präsenz in den Medien das Ballett über den Rang einer Nischenveranstaltung für Kenner hinaushob.

Er wurde auch jenen Menschen ein Begriff, die sonst bestenfalls den „Nussknacker“ oder „Schwanensee“ aus dem Weihnachtsballett kennen. Darum schade, dass Bühnen-Fotos von Nurejew rar bleiben. Stattdessen sind Bilder von Proben dabei, viele davon mit seiner Förderin und Freundin Margot Fonteyn, aber auch Aufnahmen, die eindrucksvoll sein Selbstbewusstsein und den Optimismus widerspiegeln, der ihn schon als ganz jungen Mann auszeichnete. Doch auch der nach den Proben erschöpfte Nurejew ist zu sehen, genauso wie der von Aids gezeichnete, gealterte Mann, der bis zu seinen Tod mit 54 Jahren versuchte, geschminkt und in ausgefallener Kleidung, weiter den großen Bühnenstar zu geben.

Ein Trost für alle, denen die Fotos von Nurejew in seinen berühmten Rollen fehlen, sind vielleicht die eingestreuten Zitate, manche über das Ballett an sich, manche über Rudolf Nurejew, manche von ihm selbst. „Seine Arbeit ernst zu nehmen ist etwas anderes, als sich selbst ernst zu nehmen; das habe ich mit den Jahren gelernt. Ersteres ist ein Muss, Letzteres eine Katastrophe“, fand beispielsweise Margot Fonteyn. „Ein halb nackter Mann in Strumpfhosen, einsam und von seltener Schönheit, auf Zehenspitzen, der sich in einem angelaufenen Spiegel betrachtet, halb misstrauisch, halb verrückt, das Abbild seiner Kunst“, sagte Francoise Sagan über Rudolf Nurejew. Und seine Arbeit kommentierte er selbst, einfach aber einprägsam: „In jeden Schritt muss man sein ganzes Herzblut hineinlegen.“

Von Antje Wilken

Literaturangaben:
VERLHAC, PIERRE-HENRI (Hg.): Nurejew – Bilder eines Lebens. Henschel Verlag, Berlin 2008. 184 S., 34 €.

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