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Ein heilloser Opportunist

Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss

© Die Berliner Literaturkritik, 03.01.11

Von Roland H. Wiegenstein

„Germania“ sollte Berlin nach dem „Endsieg“ heißen, die pharaonischen Pläne und Modelle, die Albert Speer dem „Führer“ selbst dann noch präsentierte, als die Niederlage Deutschlands absehbar war und die der verhinderte (Postkarten)-„Künstler“ mit kindischer Begeisterung betrachtete, waren nicht das einzige größenwahnsinnige Projekt, das sich der Vorliebe Hitlers für einen schalen Klassizismus verdankte. Er wollte auch ein eigenes Kunstmuseum. Es sollte in seiner Geburtstadt Linz erbaut werden – auch da gab es schon Pläne. So groß wie die Berliner oder Dresdner Sammlungen sollte es mindestens werden, also installierte er eine eigene Beschaffungskommission, die die Kunstwerke zusammentragen sollte, die er für die „Neue Galerie Linz“ brauchte.  Zum „Sonderbeauftragten des Führers“ wurde der Direktor der Dresdner Sammlungen Hans Posse ernannt, der sich eifrig ans Werk machte, Kunst kaufte, die Werke fotografieren und sie Hitler in eigens hergestellten Prachtbänden überreichen ließ, als dieser in Folge des Kriegsverlaufs die Schätze nicht mehr persönlich in Augenschein nehmen konnte.

Als Posse 1943 an Krebs starb, musste ein Nachfolger gefunden werden, der diese „Arbeit“ fortsetzte. Auf Empfehlung Posses fiel die Wahl auf den Direktor der Sammlungen in Wiesbaden, Hermann Voss. Der war Kunsthistoriker wie Posse, hatte zunächst nach Studium und Habilitation an den Berliner Museen Karriere gemacht, war aber nach Wilhelm von Bodes Abgang 1935 nicht zu dessen Nachfolger ernannt worden, obwohl er doch als Kustos der Berliner Gemäldegalerie (von 1922-1935) darauf Anspruch zu haben glaubte. Er ließ sich nach Wiesbaden berufen und krempelte die dortige Galerie, die vor allem von seinen Vorgängern zu einem Ort der Moderne gemacht worden war, gründlich um. Was immer an „Entarteter Kunst“ in der ansonsten eher provinziellen Sammlung vorhanden war, wurde ausgesondert und gegen linientreue, vor allem deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts im Kunsthandel getauscht oder verkauft. Zudem war Voss auch als Gutachter tätig, wenn es darum ging, aus jüdischem Besitz beschlagnahmte Werke zu schätzen.

Dabei war Voss nie Parteimitglied und genoss unter Fachkollegen als Spezialist für die italienische Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts und der deutschen des 19. hohes Ansehen. Er veröffentlichte viel, und er arrangierte die Wiesbadener Sammlung so um, dass sie in die verquasten Kunstauffassungen der neuen Herren passte. Seine Erwerbungspolitik erregte Aufsehen und den Unwillen des Nassauischen Kunstvereins, der jahrelang die Moderne bevorzugt hatte. Der Verein unterstand dem Museum, dessen Direktor war sein Vorstand.

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Gleichwohl nahm Voss den „Sonderauftrag“ an, zumal damit auch die Leitung der Dresdner Museen verbunden war. Auf Ankäufe war er spezialisiert (wie sein Vorgänger Posse). Geld dafür bekam er genug, auch wenn die Parteikanzlei unter Bormann immer wieder gegenüber der Kanzlei des Reichs (also der Regierung) die Ansprüche des „Führers“ durchsetzen musste. Voss hat pfiffig und rücksichtslos auf der Klaviatur des Kompetenzgerangels zwischen den höchsten Stellen gespielt: Er bekam, was er wollte. Und er kaufte bei den Kunsthändlern ganz Europas auf, was „passte“. Wenn es sein musste, auch von den Oberfinanzdirektionen, die beschlagnahmtes jüdisches Eigentum verwalteten und es sich bezahlen ließen. Woher die Gemälde und Plastiken kamen, war Voss ziemlich egal. Ob „arisierte“, einfach beschlagnahmte oder im Handel erhältliche Ware, ob im Reich oder in den besetzten Gebieten: Er nahm, was er kriegen konnte. Schätzungen (genau weiß man es immer noch nicht) gehen von ca. 5000 Werken (oder mehr) aus, die Posse und Voss durch ihre Mitarbeiter an sicheren Orten einlagern ließen. Diese mussten auch für die Auslagerung der Museen sorgen, die ja längst geschlossen waren.

Als der Krieg zu Ende war, gelang es ihm, seine eigene Beteiligung an den Raubzügen zu verschleiern (in der sowjetischen Besatzungszone) oder zu minimieren (in der amerikanischen Zone, in die er sich im Juli 1945 absetzte). Ein paar Wochen Verhör bei den amerikanischen „Kunstoffizieren“, ein sehr in die Länge gezogenes Spruchkammerverfahren ohne Spruch: Das war es schon. Er konnte als Kunstschriftsteller neu anfangen, und starb 1969 als international angesehener Kunsthistoriker im Alter von über achtzig Jahren.

Posses Anteil am Aufbau des „Führer-Museums“ ist gut erforscht. Aber erst die Kunsthistorikerin Kathrin Iselt hat in jahrelanger Arbeit Voss Werdegang akribisch untersucht und dabei das Porträt eines „leidenschaftlichen Museumsmanns“ (und quasi nebenbei auch das seiner „Kollegen“) geschrieben, das beispielhaft alle Verstrickungen und Winkelzüge eines arroganten „Fachmanns“ von seinen Anfängen an beleuchtet. Dass dieser bis heute als eine Koryphäe der Kunstwissenschaft  gilt, kann sie freilich nicht mehr als behaupten, die wenigen Beispiele aus seinen zahllosen Schriften sind nicht sehr erhellend. Was sein „Forschungsbeitrag“ wirklich war, bleibt offen, wird allenfalls im Lob der Kollegen deutlich.

Auch sein Beitrag zum „Sonderauftrag“ erscheint, mindestens nach Iselts Aufzählungen, was die Qualität der Stücke angeht, eher bescheiden, nicht aber dessen Quantität. Das Linzer Museum, hätte es dies denn je gegeben, wäre zwar eine riesenhafte, aber keine bedeutende Galerie geworden.

Was aber aus Iselts Buch vollends klar wird, sind alle Winkelzüge eines begnadeten Opportunisten, der immer zur rechten Zeit am richtigen Platz war, um seinem persönlichen Ehrgeiz zu frönen. Auf den über fünfhundert Seiten (mit weit über tausend Anmerkungen) wird ein Stück deutscher Kunst- und Museumsgeschichte erschöpfend abgehandelt, deren Trostlosigkeit  weithin vergessen wurde. Voss gehört zu jenen noch im Kaiserreich sozialisierten „Bürgern“, deren autoritäre Anlage am Dritten Reich allenfalls die Auswüchse sehen wollte und ansonsten die bourgeoise Karriere fortsetzte, auch noch nach 1945. In einer Verteidigungsschrift, die Voss 1947 schrieb und die er absurderweise „Deutsche Selbstkritik“ nannte, und die doch im Wesentlichen nur eine Zitatsammlung und persönliche Rechtfertigung war, sah er „die Aufgabe der gegenwärtigen Schrift so umrissen, dass statt der kurzen Hitlerischen Geschichtsepisode vielmehr das historische Gesamtbild des deutschen Charakters im Mittelpunkt steht.“ Er stellt die unwahre Behauptung auf, seit 1933 kaum etwas geschrieben zu haben (seine Veröffentlichungsliste, die Iselt im Anhang mitteilt, weist allenfalls ein Nachlassen seiner Produktivität aus, um seit 1947 wieder heftig zuzunehmen.) Voss ist ein Musterfall für das Geschichtsbuch der Verirrungen, Iselt hat ihn kenntlich gemacht.

 

Literaturangabe:

ISELT, KATHRIN: Sonderbeauftragter des Führers – Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss, Böhlau Verlag, Köln 2010. 516 S.,59,90 €.


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