MÜNCHEN (BLK) – Im Münchner Liebeskind Verlag ist 2008 James Sallis’ Kriminalroman „Driver“ erschienen.
Klappentext: Kein Wort zuviel, keins zu wenig. Ein Held, der keiner sein will, und eine Blondine, mit der die ganzen Probleme anfangen. Als Kulisse die heruntergekommenen Motels und zwielichtigen Bars, von L.A. James Sallis macht aus einer simplen Pulpstory ein kleines Meisterwerk.
Driver ist kein Verbrecher: Jedenfalls nicht im engeren Sinne. Er ist nur der beste Stuntfahrer, den man in Hollywood kriegen kann. Und manchmal fährt er bei Raubüberfällen den Fluchtwagen, obwohl ihn das gar nicht so richtig interessiert. Genauso wenig wie die Hollywoodfilme. Eigentlich will er nur fahren. Aber dann läuft einer dieser Überfälle schief und Driver findet sich in einem schäbigen Motel in Arizona wieder, mit mehreren Leichen im Zimmer und einer Tasche voller Geldscheine. Eigentlich sollte auch er tot sein, denn der Raubüberfall war eine abgekartete Sache …
„Driver“ von James Sallis ist ein literarischer Glücksfall: ein fesselnder, atmosphärisch dichter und zugleich virtuos erzählter Kriminalroman, eine Hommage an den klassischen „Roman Noir“, die fast beiläufig zu größer Literatur wird.
James Sallis wurde 1944 in Arkansas geboren und verbrachte dort seine Kindheit. Er studierte Literaturwissenschaften in New Orleans und arbeitete anschließend als Lektor und Drehbuchautor. Er übersetzte Raymond Queneau und Puschkin ins Englische und veröffentlichte eine Biografie von Chester Himes. Bekannt wurde er mit seiner Romanreihe um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin. Seine Kriminalromane wurden mehrfach für Literaturpreise nominiert, unter anderem für den Edgar, den Shamus und den Gold Dagger Award. James Sallis lebt in Phoenix, Arizona. (lea/wip)
Leseprobe:
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Als er viel später in einem Motel am nördlichen Stadtrand von Phoenix mit dem Rücken an die Zimmerwand gelehnt dasaß und beobachtete, wie die Blutlache sich ihm langsam näherte, fragte sich Driver, ob er einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Bald darauf gab es daran keinen Zweifel mehr. Aber noch befand sich Driver, wie man so sagt, ganz im Jetzt. Und zu diesem Jetzt gehörte das sich langsam in seine Richtung ausbreitende Blut, das Licht der bereits fortgeschrittenen Morgendämmerung, das durch Fenster und Tür drang, der Verkehrslärm von der nahe gelegenen Interstate, das leise Weinen von jemandem im Zimmer nebenan.
Das Blut sickerte aus der Frau, die sich Blanche nannte und behauptet hatte, aus New Orleans zu stammen, obwohl doch bis auf den aufgesetzten Akzent alles an ihr auf die Ostküste hindeutete – Bensonhurst vielleicht oder irgendeine andere entlegene Gegend Brooklyns. Blanches Schultern lagen quer über der Schwelle der Badezimmertür. Von ihrem Kopf war nicht mehr viel übrig, das wusste er.
Sie waren in Zimmer 212 im ersten Stock, der Boden war eben, sodass die Blutlache sich nur langsam ausbreitete und die Kontur ihres Körpers nachzeichnete, genau wie er es getan hatte. Das Blut bewegte sich auf ihn zu wie ein anklagender Finger. Er hatte starke Schmerzen im Arm. Die zweite Sache, die er wusste: schon bald würde es noch sehr viel mehr wehtun. Dann wurde Driver sich bewusst, dass er den Atem anhielt. Er lauschte auf Sirenen, auf die Geräusche von Menschen, die sich unten auf dem Parkplatz versammelten, auf hektische Schritte vor der Tür.
Wieder wanderte Drivers Blick durch das Zimmer. Neben der halb offen stehenden Zimmertür lag eine Leiche, ein dünner, ziemlich großer Mann, vielleicht ein Albino. Komischerweise war dort nur wenig Blut. Vielleicht wartete das Blut nur noch etwas. Wenn sie ihn hochhoben, ihn umdrehten, vielleicht sprudelte dann alles auf einmal heraus. Aber im Moment sah man nur den matten Widerschein von Neonlicht auf der fahlen Haut. Die zweite Leiche befand sich im Bad, fest eingeklemmt im Fensterrahmen. Dort hatte Driver ihn überrascht. Der Kerl hatte eine Schrotflinte gehabt. Blut aus seiner Halswunde hatte sich im Waschbecken darunter gesammelt, ein zähflüssiger, dicker Pudding. Driver benutzte zum Rasieren ein einfaches Rasiermesser. Es hatte mal seinem Vater gehört. Wann immer er ein neues Zimmer bezog, breitete er als Erstes seine Utensilien aus. Das Rasiermesser hatte mit Zahnbürste und Kamm dort neben dem Waschbecken gelegen.
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Literaturangaben:
SALLIS, JAMES: Driver. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Liebeskind Verlag, München 2008. 160 S., 16,90 €.
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