Von Frauke Kaberka
Wenn das menschliche Gehirn gemeinhin als höchste Entwicklung der Evolution gepriesen wird, so gibt es für das Gehirn eines genialen Schachspielers nur noch überirdische Wertschätzung: Es ist ein Wunderwerk Gottes. Doch ist es auch ein Segen? Lange hat der Kubaner José Raúl Capablanca keinen Zweifel daran. Er ist ein vom Schicksal begünstigter Mensch, er sieht blendend aus, wird als internationaler Schachchampion weltweit gefeiert, Frauen liegen ihm zu Füßen. Er lebt das Spiel und die Liebe, bis zu jenem denkwürdigen Tag, als sein einstiger Freund, der Russe Alexander Aljechin, ihm den Weltmeistertitel abnimmt. Fortan gibt es nur noch ein Ziel für Capablanca: Er will nur noch einmal gegen Aljechin spielen und siegen.
Capablanca (1888-1942) ist eine historische Person. Der Autor Fabio Stassi spannt rund um das Leben des begnadeten Schachspielers seinen Roman „Die letzte Partie“. Und der hat es in sich. Da ist zum einen die Entwicklung des außergewöhnlichen Jungen José, der bereits mit vier Jahren durch bloßes Zuschauen Schachspielen lernt, zum umjubelten Großmeister. Zum anderen ist da der zur Obsession gewordene Wunsch, seinen längst zum Feind avancierten Widersacher Aljechin (1892-1946) in einem Revanchespiel zu besiegen. Nicht zuletzt aber wird der Leser gefordert, sich selbst mit den verwinkeltsten Gedankengängen jener Hochbegabten auseinanderzusetzen, für die Schach eher Naturwissenschaft denn Sport und das Setzen der Züge nichts anderes als angewandte Logik ist.
Leicht macht es Stassi dem Leser nicht. Die Geschichte ist weder räumlich noch chronologisch geordnet. Einer Schachpartie gleich setzt der gebürtige Sizilianer seine Züge: mal bedächtig den Bauern, mal geradezu den Turm, mal sprunghaft das Pferd oder flink diagonal den Läufer, Dame und König immer präsent und manchmal in Gefahr. Die Anzahl der Kapitel entspricht den weißen und schwarzen Feldern: 64. Genauso oft springt der Autor zwischen Raum und Zeit hin und her. Doch wie in einem hochklassigen Spiel wird auch hier eine klare Linie verfolgt. Und man weiß beizeiten: Es wird kein Remis geben. Die Eröffnung des Spiels ist gleichzeitig das Ende.
Fabio Stassi ist mit seinem dritten Roman nicht nur ein großartiges Porträt Capablancas gelungen, sondern er gewährt gleichzeitig einen spannenden Blick in eine Zeit, die weltweit von Umbruch und Krieg gekennzeichnet war. Und so ist „Die letzte Partie“ auch ein metaphorischer Kampf um Leben und Tod.
Literaturangaben:
STASSI, FABIO: Die letzte Partie. Kein & Aber, Zürich 2009. 235 S., 19,90 €.
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