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Ein Kampf um die neue Welt

Eliot Pattisons Kriminalroman „Das Ritual“

© Die Berliner Literaturkritik, 23.04.08

 

BERLIN (BLK) – Im Februar ist Eliot Pattisons Kriminalroman „Das Ritual“ bei Rütten & Loening erschienen.

Klappentext: Spannung mit Indian Spirit. Zwei Brüder. Zwei Völker. Ein Kampf um die neue Welt. Im Amerika des 18. Jahrhunderts fordern zwei schottische Brüder die übermächtigen englischen Siedler heraus. Eliot Pattisons packender Kriminalroman offenbart die magischen Geheimnisse der indianischen Kultur. Eliot Pattisons Markenzeichen ist die Spiritualität, die er in seine Romane auf faszinierende Weise einzuweben weiß. Duncan ist von den Engländern wegen Hochverrats zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nun soll er in den neuen Kolonien seine Strafe verbüßen. Schon die Überfahrt ist voller Rätsel und Gefahren. Zwei Morde geschehen, rituelle Zeichen tauchen auf, und immer wieder ist von Stony Run die Rede, einem Ort, wo es angeblich einen geheimnisvollen Kampf gegen die Indianer gegeben hat. In New York hofft Duncan seinen Bruder wiederzusehen, der bei der englischen Armee dient. Doch Jamie ist zu den Indianern übergelaufen. Duncan ahnt, dass man ihn nur als Lockvogel in die Kolonien geholt hat. In Stony Run soll er seinen Bruder wiederfinden – und die Wahrheit über sich selbst und den Kampf der Weißen erfahren.

Eliot Pattison ist Journalist und Rechtsanwalt. Er ist oft nach Tibet und China gereist und lebt mit seiner Familie in Oley, Pennsylvania. Bisher sind vier Romane um den Ermittler Shan erschienen: „Der fremde Tibeter“, „Das Auge von Tibet“, „Das tibetische Orakel“ (alle im Aufbau Taschenbuch Verlag) sowie im Verlag Rütten & Loening „Der verlorene Sohn von Tibet“. (car/wip)

 

Leseprobe:

© Rütten & Loening ©

Duncan wusste, dass er nie Arzt werden und nie seinen geheimen Traum erfüllen würde, genug Wohlstand anzusammeln, um den ehemaligen Hochlandbesitz seiner Familie zurückkaufen zu können. Zudem hatte Adam etwas in Duncans Zukunft gesehen, das diesem bislang verborgen blieb. Nach den sieben Jahren Zwangsarbeit winkte ihm nicht die Freiheit. Man würde ihn benutzen und dann töten. Auch Adam war irgendwie benutzt und getötet worden. Duncan wurde abermals von Verzweiflung gepackt. „In meiner Hängematte liegt ein Brief, Mr. Lister. Vielleicht könnten sie ihn ja an meinen Bruder in New York weiterleiten.“ Duncan hatte den Großteil der letzten Nacht darauf verwandt, diesen Brief zu verfassen, während die anderen Häftlinge schliefen. Auch sein Bruder war gezwungen gewesen, die Clanvergangenheit hinter sich zurückzulassen. Der englische König, hatte Duncan zum Abschluss geschrieben, hat nun endgültig Vergeltung an unserer Familie geübt.

„Gott weiß, wie leid es mir tut, Junge. Aber es dürfte auf diesem Schiff viele gute Männer geben, die einst die Distel getragen haben“, verkündete Lister in Anspielung auf das alte Wahrzeichen Schottlands. „Ohne deine Hilfe werden auch sie sterben. Und die Männer in den Rattenlöchern.“

Duncan verzog das Gesicht. Die stets verschlossenen Zellen im hinteren Teil des Gefangenendecks waren für die gewalttätigsten der Häftlinge bestimmt, allesamt Mörder. Sie wurden auf Befehl des Königs auf die Westindischen Inseln transportiert, um dort auf den todbringenden Zuckerrohrfeldern zu arbeiten.

„Ein jeder hier hat vor Gericht gestanden und wurde von englischen Richtern verurteilt“, fuhr Lister fort. „Ich kenne dieses Schiff. Der Fockmast ist geschwächt und wird wie ein Zweig umknicken, sobald der Sturm richtig losbricht. Er könnte beim Sturz eine der Frachtluken einschlagen, und dann läuft der Rumpf langsam voll. Die in den Zellen werden als Erste ertrinken.“ Er hielt inne. „Redeat“, murmelte er dann. Das hieß Möge er zurückkehren und war ursprünglich ein Wahlspruch der Jakobiten gewesen, bezogen auf die Wiederkehr des schottischen Stuartprinzen. Im Laufe der Zeit hatte es sich jedoch in eine Art Stoßgebet aller Hochländer verwandelt, sozusagen eine Anrufung der Götter Schottlands. „Die Ramsey Company wird untergehen, ohne Gelegenheit, sich zu beweisen“, fügte Lister hinzu. Mit Ausnahme der Zelleninsassen waren alle Häftlinge einem Großgrundbesitzer namens Ramsey unterstellt worden. Reverend Arnold, der anglikanische Pastor, der die Company begleitete, nannte sie eine Gemeinschaft geplagter Seelen, die im Paradies der Neuen Welt Erlösung erlangen würde.

Unten schimpfte jemand lauthals. Ein Offizier verfolgte zwei Matrosen, die mit einem eleganten Stuhl aus einer der Kabinen zum Vorschein gekommen waren. „Was ist denn mit denen los?“, fragte Duncan, als die beiden Männer den Stuhl über die Reling warfen. Ein weiterer Mann tauchte auf und schleuderte Branntweinflaschen ins Meer, wobei er jedes Mal ein banges Gebet aufsagte. Man brachte der See Opfergaben dar.

„Heute früh ist der Teufel erwacht. Du musst dem ein Ende bereiten.“

Duncan verkniff sich die Frage, die ihm unwillkürlich in den Sinn kam. Wie, um alles in der Welt, sollte er den Wahnsinn da unten aufhalten? „Was auch immer ich in mir hatte, das fähig war, anderen Menschen zu helfen, ist auf dem Boden meiner Kerkerzelle zurückgeblieben“, erklärte er verbittert. Er konnte nun Blitze sehen, lange gezackte Strahlen, die über den Horizont schossen.

„Warum gerade heute, Junge?“

„Wir laufen bald in den Hafen ein. Ich werde nicht noch einmal Gelegenheit zur Flucht erhalten. Einem Angehörigen der Company bleibt nur eine Art und Weise, seine Freiheit zum Ausdruck zu bringen. Mein Clan wird nicht in Sklaverei enden.“

„Es sind doch nur sieben Jahre, McCallum. Sei nicht so hochmütig. Du bist noch jung.“

Duncans Blick richtete sich wieder auf die windgepeitschten Wogen. „Wollen Sie etwa andeuten, Mr. Lister, für Leute wie Sie und mich sei ein langes Leben die Mühe wert?“

Nun war es an Lister, zu verstummen und den Blick aufs Meer zu richten. „Was ist aus deinem Großonkel geworden?“, fragte er nach einer ganzen Weile.

„Man hat mich aus meiner Zelle geholt, weil ich unbedingt Zeuge sein sollte. Bei der Urteilsverkündung am Galgen hat man ihn einen reulosen Verräter genannt. Er hat eine Jig getanzt und ausgespuckt, als der Henker ihm die Schlinge um den Hals legte.“

„Ist dein Bruder älter als du?“

„Ein Jahr jünger.“

Diese Auskunft schien etwas in Lister zu bewirken. Er betrachtete Duncan, als wäre es das erste Mal, wobei seine Augen auf merkwürdige Weise funkelten. Dann verzog er das Gesicht, als gefiele ihm nicht, was er sah. „Sieh dich nur an“, knurrte er. „Behandelst du so alle, die vor dir gegangen sind?“

Es war unglaublich, aber die tadelnde Stimme, die Duncan hörte, war die seines Großvaters, ebenso wie der missbilligende Blick, der in den Augen des alten Seemanns lag. Duncan spürte, wie sich in ihm etwas regte, und er wurde sehr still. Den Sturm nahm er gar nicht mehr wahr.

Lister hatte eine weitere lange verschlossene Kammer in Duncans Erinnerung aufgestoßen, eine Kammer voller Alpträume, in denen der verwesende Leichnam seines Vaters vom Galgen auf ihn zeigte und ihn beschuldigte, den Clan im Stich gelassen zu haben, um Engländer zu werden.

„Hast du vergessen, was es heißt, der Älteste zu sein?“

„Nein, ich … ich konnte nicht …“, stammelte Duncan nach einem Moment. Eine andere, diesmal jedoch oft besuchte Kammer enthielt Erinnerungen an lange Tage in Gesellschaft seines Großvaters. Ehrfürchtig hatte der Junge dem heißblütigen alten Schotten dabei zugesehen, wie dieser die Pflichten eines Clanältesten wahrnahm, die Unschuldigen schützte, die Speisekammern der Armen füllte, für harte Gerechtigkeit unter den Lehnsmännern der weit verstreuten Inseln sorgte, die traditionell den McCallums unterstellt waren, und sogar Ertrinkende rettete, denn sein Großvaters war der beste Schwimmer weit und breit gewesen. „Mein Clan wurde ausgelöscht.“

„Solange du und dein Bruder atmen, gibt es einen Clan.“

Duncan sah Lister verwundert an. Während all der Tage voller Qualen seit seiner Verhaftung war ihm nie dieser Gedanke gekommen. Die Henker seines Onkels hatten Duncan zum Clanoberhaupt gemacht.

„Mein Gott, McCallum!“, zischte Lister. „Hör auf zu jammern! Du bist durch dein Blut mit deinem Clan verbunden, mit den Lebenden und den Toten, mit allen, die die Distel tragen. Auf diesem Schiff geht der Tod um, und falls es Überlebende gibt, wird man den Schotten die Schuld zuschieben. Was wird ein Clanführer dagegen tun?“

Duncan blickte von Lister zu dem Sturm, der sie fast erreicht hatte. Er wusste keine Antwort.

„Was ist, wenn es stimmt, was Reverend Arnold vor kaum einer Viertelstunde gesagt hat? Was ist, wenn du der Einzige bist, der das Schiff retten könnte?“

„Arnold?“ Arnold war derjenige, der Duncan vom Gerichtsgebäude mitgenommen und auf das Sträflingsschiff gebracht hatte. „Ich bin ihm nichts schuldig.“

„Und wenn es stimmt, dass der Professor deine Hilfe braucht?“

Duncan wandte sich zu dem alten Seemann um. „Evering?“

„Als Adam an seinem letzten Abend an der Luke gesessen hat, sagte er, ich solle dir ausrichten, Evering habe den Schlüssel zu unser aller Rettung gefunden, wisse aber nicht, wie man ihn benutzen müsse. Er sagte, ich solle McCallum helfen, den Professor zu beschützen.“

Duncan schaute wieder auf die Wellen, um sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.

„Er sagte, du solltest darauf achten, wie Evering seinen Kometen erklärt“, fügte Lister verwirrt hinzu. „Rette uns“, wiederholte er. „Denn sonst müssen wir alle sterben.“

Duncan hielt sich an einem Seil fest und lehnte sich hinaus, als könne der Wind seinen Verstand klären. Der Sturm rief immer noch nach ihm, aber in einem Winkel seines Gehirns zählte eine leise Stimme bereits die Möglichkeiten auf, Evering in seinem Versteck im Laderaum ausfindig zu machen.

Nein, er konnte unmöglich nach dort unten, ohne von den anderen Aufsehern erwischt zu werden.

„Meine Großmutter war eine McCallum von einer deiner Inseln“, sagte Lister, als Duncan nichts erwiderte. „Mein Clan wurde ebenfalls zerschlagen, Junge, und seine Asche ist im Wind verweht. Früher einmal stammten wir alle von denselben Inseln.“ Der alte Maat bekam die Worte nur mühsam über die Lippen.

„Was wollen Sie damit sagen?“

Lister strich mit den Fingerspitzen nachdenklich über Adams Zeichnungen im Holz und sah Duncan dann ernst an. „Ich ersuche dich um Schutz, Clan McCallum“, sagte er langsam und bedächtig und wählte dabei eine der traditionellen Anreden eines Clanoberhaupts. „Ich versichere dich meiner Gefolgschaft.“

Duncan spürte, wie sein Mund sich zu einem schmerzlichen Lächeln verzog. „Sie verpflichten sich einem verurteilten Strafgefangenen? Was soll diese Farce, Mr. Lister? Ich bin ein Niemand. Sogar weniger als das.“ Duncan war allenfalls ein schwacher Schatten seines Großvaters. Doch sein Lächeln erstarrte, als er Listers ernste, gekränkte Miene bemerkte.

Es war ein alter Brauch, dass Hochländer einem durch Blutsbande verwandten Clan im Austausch für dessen Schutz ihre Loyalität anbieten konnten.

„Ich gebe dem Herrn des McCallum-Clans mein Wort.“

Duncan verfolgte wie betäubt, dass Lister sich in die Hand spuckte und sie ihm entgegenstreckte.

„Gott sei mein Zeuge“, verkündete der alte Seemann feierlich.

© Rütten & Loening ©

Literaturangaben:
PATTISON, ELIOT: Das Ritual. Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Haufschild. Rütten & Loening, Berlin 2008. 542 S., 19,95 €.

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