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Ein kleines Buch mit großen Wundern!

Ein neuer Gedichtband von Erwin Einzinger

© Die Berliner Literaturkritik, 29.01.12

EINZINGER, ERWIN: Die virtuelle Forelle. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2011. 144 S., 22 €.

Von Björn Hayer

Er fügt zusammen, setzt Wörter in den Fluss, um sie danach wieder raubeinig zu trennen. Erwin Einzingers aktueller Band „Die virtuelle Forelle“ entpuppt sich als wahrlich ernergiegeladene Bilderschau: Haltlos, aberwitzig und schonungslos temperamentvoll.  

Hinter munteren Komposita wie dem „Kugelmann & Schmachprofessor“ oder der „Teilzeitpendlerin“ versteckt die kleine Prosa meisterlich Geschichten en miniature.

Da versammeln sich in einem Gedicht schon einmal die gebeutelte Pflanze am Rand der Eisenbahnschiene, die über ihr verhindertes Rebellentum räsoniert neben dem Jungen, der „unter einem Wurzelstock eine / Höhle gegraben hat, um einem qualvoll verhungerten Kapuzineräffchen / Eine letzte Ruhestätte zu schaffen.“ Wenn dann nicht noch der Hinweis „(Näheres dazu nächste Woche)“ folgen würde, könnte die Endlosschleife absurder Zufallsgeschehnisse durchaus im Sinne Einzingers noch weiterzuführen sein. Denn kein Gedanke soll zum Erruhen gelangen, vielmehr stürzt einer in den anderen über, wodurch eine Kette abstruser Verbindungen in einem durch und durch hochkünstlerischen Spiel entworfen wird.

Was diese Bilderreihung, welche keine noch so verwinkelte Gleichung scheut, zu erzeugen vermag, ist das Gefühl, in einem aufgeladenen Filmkosmos zu sein. Assoziationen, Metaphern und ganze Satzkonstruktionen folgen darin den Prinzipien der filmischen Montage- und Schnitttechniken. Zudem wählt der Autor nicht selten den Zoom von der scheinbaren Realität – denn oftmals entlarvt sie geradezu das Gegenteil – auf einen im Gedicht befindlichen Fernsehschirm, in dem sich neue Kulissen ergeben. Dass die Grenzen dadurch fluide werden, ist Teil eines genialen lyrischen Programms. „Was sonst noch eine Rolle spielt, egal ob im Film / Oder auf des Lebens breiter Flur“ pendelt daher nicht nur zwischen Personen, Handlungen und verschiedenen Raumkonstellationen, sondern vor allem zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Ganz dem Fluss der Buchstaben ausgeliefert, weckt er im Leser mal einfühlsame, dann wieder abgründige Querverweise. Wenn beispielsweise „eines der Mit= / Glieder[n] der Jagdgesellschaft mit recht / Handgreiflichen Absichten an die junge Müllers= / Tochter heran[tritt]“, verstärkt die im Enjambement verwirklichte Auftrennung des Mitglieds die sexuelle Absicht, wird doch vor allem das „Glied“ durch dieses dekonstruktive Verfahren besonders hervorgehoben.

Wer die Gedichte nur als formverliebtes Experiment liest, hat nicht unrecht und sicherlich viel zu lachen. Wer sie aber mit all ihren Abwegen, Sprüngen und Brüchen zu entschlüsseln versucht, wird auf reichhaltigere Schätze stoßen: Subtil wabern in den kleinen Geschichten nicht selten durchdachte, gesellschaftskritische Anspielungen, wobei sich kein Vers je eines moralisierenden Tones bedienen würde. Viel zu frei und unscharf sind die Gedichte arrangiert als dass sie auf eine Kernbotschaft zu reduzieren wären. Aber genau darin tritt die Genialität von Einzingers Dichtung eben zutage. So ist es gerade die unauslotbare Absurdität, die kommentarlos die vielen Verse durchzieht und damit erst die Sinnoffenheit stiftet. Was politisch ist und was nur Farce, muss zweifelsohne jeder Leser selbst aus den viel- oder vielleicht nichtssagenden Textstücken herausdestillieren. In jeder Hinsicht verspricht die Spurensuche ein ungemeines Vergnügen. Wir empfehlen: Ein kleines Buch mit großen Wundern!


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