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Vor allem ein großes Nein!

Georg Grosz’ Autobiografie als Neuauflage

© Die Berliner Literaturkritik, 12.01.10

Von Roland H. Wiegenstein

Als 1955 das in den USA bereits 1946 erschienene Buch „Ein kleines Ja und ein großes Nein“ von George Grosz in Deutschland erschien, waren die Meinungen darüber, so habe ich es in Erinnerung, geteilt. Da gab es Grosz’ fervente Bewunderer, die sich noch an die wüsten Zeichnungen der Bände „Ecce Homo“ , seine haarigen Porträts der „Herrschenden Klasse“, seine entschiedenen politischen Karikaturen dessen erinnerten, was 1933 Wirklichkeit werden sollte – und die nun enttäuscht waren. Sie verübelten dem im Januar 1933 nach Amerika Ausgewanderten dies zweite Leben als das eines „Illustrators“, der gern ein anderer Rockwell, ein anderer Grant Wood geworden wäre und der dies ganz ungescheut auch so geschrieben hatte, für amerikanische Leser die eigene politische Biografie verbergend oder schön redend. Und es gab die anderen, die seine Absagen an die Moderne begrüßten: Es war ja noch „Adenauer-Zeit“.

Das ist lange her, die Neuauflage des Buchs, über ein halbes Jahrhundert später nicht mehr im großen Rowohlt Verlag, sondern 2009 im kleinen Schöffling Verlag – immerhin in einer besonders schönen Ausgabe – zeigt einen Maler und Zeichner, dessen Weltruhm etabliert ist, als der eines würdigen Nachfahren von Daumier. Seine Bilder hängen in den großen Museen der Welt, seine Zeichnungen und Drucke gehören zum Schatz der Grafikkabinette. Er selbst ist im Juli 1959 in einem Berliner Treppenhaus tot zusammengebrochen, wiedergekommen, um zu sterben. 1962 hat er postum in der Berliner Akademie der Künste eine große Retrospektive erhalten – sie hätte ihn gefreut, auch wenn der damals eben erst Vierzigjährige in New York ein neues, ein anderes Leben hatte beginnen wollen und das auch schaffte: nach Armut und Gelegenheitsarbeiten in den großen Publikumszeitschriften, nach einigen Stipendien, der Gründung einer eigenen Kunstschule, war er angekommen in der Neuen Welt, einschließlich eines Hauses auf Long Island.

Er hatte Amerika sein erstes Leben, das des rebellischen politischen Zeichners geopfert, sich „angepasst“ und, wie es seiner Natur entsprach, nicht ohne eine gründliche Abrechnung mit sich selbst und seinen linken Aktivitäten in Berlin (die ihm 1922 bis nach Leningrad, ins sowjetische Paradies, das so paradiesisch nicht war, führten.) Das ist Geschichte geworden und, heute gelesen, wirken die Philippiken gegen Dada und seine Kritik an engagierter Kunst, eher überholt. Er hat doch so oft recht gehabt, wenn schon nicht in der Beurteilung des eigenen Werks! Liest man genauer, so sieht man: er hat die Zwanziger Jahre, ihre Aufgeregtheiten nicht mehr an sich herangelassen, die eigene Arbeit aber – mindestens in ihrer künstlerischen Form – sehr viel mehr geschont, als sich selbst als Person.

Geboren 1893 und aufgewachsen in der hinterpommerschen Garnisonsstadt Stolp, in einer bescheidenen, wenn schon nicht armen Familie, vernarrt ins Zeichnen, Kunstschüler in Dresden und Berlin, wo man ihm das „Handwerk“ beibrachte, als Provinzler heftig angezogen vom wilden Treiben in der Hauptstadt vor 1914 und später den „roaring twenties“, die er genossen hat. Schließlich das neue Leben, die Hinwendung zu Natur und zu einem naturalistischen Stil, von dem er hoffte, er werde ihn auch in Amerika bekannt und berühmt werden lassen, – ein Künstlerleben mit Brüchen wie aus dem Bilderbuch.

Alles was daran biografisch ist, trägt bei zu unserer Kenntnis der Geschichte, aber nicht besonders viel: das haben wir auch schon woanders gelesen. Da bleibt einige Bewunderung für Grosz‘ „politischen Riecher“, für die Art, wie er sich durchbrachte, auch schwierige Zeiten meisterte mit selbst auferlegtem Optimismus auf nachtschwarzen Grund. Und harzigem Humor.

Was dies Buch heute bedeutend macht, ist etwas ganz anderes: er kann auch mit Worten zeichnen, beschreiben, er ist ein Literat von besonderem Rang. Die Art und Weise, wie er seine Kindheit zu schildern weiß, wie er Details mit scharfem Strich und wie hingetuschten Farben lebendig macht, das findet man sonst kaum irgendwo. Als der Knabe einen gastierenden Zirkus faszinierend findet, liegt in seinen Worten der ganze Grosz: „Einen geheimnisvoll süßen Reiz übten die der Zeit entsprechenden strammhüftigen und korsettierten Artistinnen aus. Hier konnte man die ganze fleischliche Pracht im Gegensatz zur damals alles verhüllenden Mode ausgiebig mit dem Opernglas bewundern. Die dickschenkligen Beine in den seidenen Tricots spielten in meiner Phantasie eine große Rolle.“ So wie die Nachbarin, der er durch einen Schlitz im Vorhang bei der Toilette zusieht und die er liebevoll auf vielen Seiten nachzeichnet. Das Erstaunliche dabei: seine sexuelle Diskretion. Doch er hat all die Figuren, die er später in seinen Karikaturen festhielt, damals schon gesehen. Er brauchte nichts verzerren: es gab sie alle. Er hatte einen enorm geschärften Blick für alles, was außerhalb der strengen wilhelminischen Normen und Moden lag, und er hielt es fest. „All diese Dinge, Menschen und Erscheinungen wurden von mir sorgfältig gezeichnet. Ich liebte nichts davon, weder im Restaurant noch auf der Straße. Ich hatte die Arroganz, mich als Naturwissenschaftler zu bezeichnen, nicht als Maler oder gar als Satiriker. Aber in Wirklichkeit war ich damals jeder, den ich zeichnete – der reiche, fressende, Champagner trinkende, vom Schicksal begünstigte Mensch ebenso wie der, er draußen im Regen die Hand aufhielt.“

Er hat höhnisch lachend eine Weile mitgespielt und geht nicht eben freundlich mit dem um, der er damals war. Aber so wie er es tut, mit der literarischen Kraft dessen, der Beobachtungen Sprache werden lässt, gehört dies Buch neben seine Bilder. Neben dem, der sich unbedingt durchbeißen will, blickt aus den Zeilen immer auch der sich selbst zusehende Melancholiker, der Zartbesaitete, der sich über seine Depressionen hinwegschnoddert. Diese Verwandlung eines beachtlichen malerischen und grandiosen zeichnerischen Werks in Sprache: das ist der eigentliche Witz dieses Buchs. Wenn er philosophiert, politisiert, ästhetisch palavert, mag das alles ein bisschen altmodisch und rechthaberisch sein, wenn er beschreibt, was er sieht, ist er unübertrefflich. „Die Stadt war geladen mit Eindrücken, und ich brannte vor Schaulust.“ Diese Schaulust hat er auch als Schriftsteller nicht verloren. Und so wie er als „Handwerker“ des Strichs höchste Sorgfalt walten ließ, so genau und überlegt setzt er im Buch seine kratzigen Umrisslinien, Schattierungen und Pointen, etwa bei der Beschreibung von Zeitgenossen, denen er begegnet ist. Von Brecht bis Thomas Mann, Chagall bis Dalì, von Toller und Lenin bis zu den Brüdern Herzfeld, dem Verleger Wieland und den Collagisten John, der sich Heartfield nannte.

Der Freund Ulrich Becher hat ihn in einer Rede den „Kronzeugen der Tollen Zwanziger“ genannt: das war er. Aber auch ein selbstkritischer, hellsichtiger, noch in seinen Verdammunen um Gerechtigkeit bemühter Künstler. Mit Feder und Pinsel und den aufgeschriebenen Worten. Wer sie gelesen hat, sieht ihn im Museum neu.

Literaturangabe:

GROSZ, GEORGE: Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben, von ihm selbst erzählt. Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt am Main 2009. 416 S., 34,90 €.


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