„Briefwechsel mit Kollegen“ ist der fünfte Band der von der Arno Schmidt Stiftung herausgegebenen Brief-Edition des Schriftstellers. Er versammelt Korrespondenzen Arno Schmidts (1914-1979) mit ihm bekannten Schriftstellern, darunter berühmte Namen wie Heinrich Böll, Alfred Döblin, Hans Henny Jahnn, Peter Rühmkorf und Martin Walser. Dem von Gregor Strick besorgten Band gelingt es mithilfe sorgfältiger Kommentierung sowie des Abdrucks diverser Dokumente im Anhang, Inhalt und Bezüge jedes einzelnen Briefes bis ins Detail transparent zu machen. Biogramme der Briefpartner und ein mehrteiliges Register vervollständigen die wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Ausgabe.
Doch die Briefe, die zum überwiegenden Teil aus den fünfziger Jahren stammen, dürften auch jenseits der Schmidt-Philologie von Bedeutung sein. Jeder, der Schmidts Lebensumstände, seine Poetik und seinen Habitus kennen lernen möchte, erhält hierzu eine sehr gute Gelegenheit. Darüber hinaus zeugen die Briefe auf äußerst anschauliche Weise vom sozialen Klima der Ära Adenauer, jenem Kanzler, dem Schmidts ganze Verachtung galt.
Die für Schmidts Arbeit als Schriftsteller wesentlichen Fragen bestimmen die längeren Teile der Briefwechsel. Es sind pragmatische: Wer verlegt mich? Woher bekomme ich die notwendigen finanziellen Mittel, um überhaupt schreiben zu können? Wie weiche ich dem offiziellen literarischen Betrieb aus? Lässt sich in Deutschland (West) überhaupt noch leben? Wenn ja, wo? Wie deutlich muss ich denn noch werden?
Daneben erhellen die Briefe den Grad der Annäherung des scheuen Schmidt an die Person (und das Werk) seines jeweiligen Briefpartners. Während etwa die circa dreijährige Korrespondenz mit dem jungen Rundfunkredakteur Martin Walser nahezu ausschließlich um Schmidts eigene Produktion kreist (Schmidt am 27.11.1953 entnervt an Walser: „Bin ich denn tatsächlich so unverständlich gewesen?“), enthalten Briefe an Werner Steinberg Formulierungen, die das Interesse am persönlichen Schicksal des kommunistischen Autors, der 1956 von Düsseldorf nach Leipzig übersiedelte, deutlich bekennen: „Wenn wir nicht menschlich aneinander Teil nehmen sollen: wer soll es dann?!“
Dass er seinen Unterhalt mit Brotarbeiten – Zeitungsartikeln, Übersetzungen englischer Romane, Funkessays für den Süddeutschen Rundfunk – zu verdienen genötigt war, gibt Schmidt immer wieder die Gelegenheit, über fehlende Unterstützung und mangelnde Zeit für die Arbeit an eigenen Stoffen zu klagen. So am 17.7.53 an Walser: „Ich lebe, wie Sie ja wissen, auch nur von Übersetzungen (…) Allerdings nur üble Schundromane.“ So am 16.2.1960 an Rühmkorf: „Entschuldigen Sie, daß ich so spät erst wieder antworte; aber mir hingen bisher die Mühlsteine zweier Übersetzungen am Halse, und wenn ich da alltäglich von dawn till dusk gerobotet hatte“.
Bei solchen und ähnlichen Äußerungen fällt es als Leser nicht leicht, die Grenze zu bestimmen zwischen dem authentischen Ausdruck der zweifellos vorhandenen materiellen Not Schmidts und der Pose des allein gelassenen Einzelkämpfers, die er rhetorisch eindrucksvoll einzunehmen verstand. Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung seiner Texte und Bücher kannte Schmidt nur zu gut: Bis mit dem Karlsruher Stahlberg Verlag und dem Verleger Ernst Krawehl ein verlässlicher Partner gefunden war, verzögerten sich Publikationen teilweise über Jahre. Seine Prosa wurde juristisch bekämpft („Seelandschaft mit Pocahontas“ 1955) oder erschien politisch und erotisch entschärft („Das steinerne Herz“ 1956). Nicht zuletzt: Seine Leserschaft war – durchweg – gering an Zahl.
Doch verkannt war er nie. Davon zeugen u.a. der frühe Mainzer Akademiepreis von 1951 und besonders die Anerkennung, die seiner Literatur von den Kollegen entgegengebracht wurde. Von den Älteren besaßen Jahnn und Döblin besonderes Gewicht. Der 75-jährige Alfred Döblin, dem Schmidt „Die Umsiedler“ und „Aus dem Leben eines Fauns“ geschickt hat, antwortet am 15.10.1953: „Ich habe sie [die Bücher] sorgfältig, zweimal Zeile um Zeile gelesen. Sie sind auf dem richtigen Wege, ich weiß keinen von den Jungen und Jüngeren, der da mit Ihnen mitkommt, und von den Älteren kapieren die meisten überhaupt nichts, die können nur Adenauer wählen.“ Ein Lob, das Schmidt gerne zitierte.
Auch die etwa Gleichaltrigen – Heinrich Böll (*1917), Ernst Kreuder (*1903) und Werner Steinberg (*1913) – ließen, trotz teilweise abweichender politischer und ästhetischer Auffassungen, keinen Zweifel an ihrer hohen Wertschätzung seiner Prosa. Für die Jüngeren – Peter Rühmkorf (*1929), Martin Walser (*1927), Karlheinz Deschner (*1924) – war er literarisch eine Autorität, der man sich nicht ungestraft mit unvorsichtigen Worten näherte.
Auch verhalten geäußerte Kritik an seinen Texten konnte Schmidt äußert unwirsch aufnehmen. Nachdem Rühmkorf Schmidts „Gelehrtenrepublik“, die er kurze Zeit später in der Zeitschrift konkret beinahe hymnisch besprechen wird, brieflich als dessen „schwächstes Werk“ bezeichnet hat, folgt der denkwürdige Satz: „Dies sei freimütig gesagt, weil Sie Schmidt sind, ein Mann, der nicht der Schonung bedarf.“ Eine krasse Fehleinschätzung.
Auskunft über seine Empfindlichkeit geben weniger Schmidts meist diplomatische Antworten, sondern vor allem die in die Erläuterungen häufig eingeschalteten Tagebuchnotizen seiner Frau Alice. Als Ernst Kreuder einmal eindringlich die „klischierten Fabeln“ in „Pocahontas“ und „Kosmas“ beklagt, schreibt ein ob solchen Unverständnisses fassungsloser Schmidt stante pede eine Streitschrift mit dem polemischen Titel „Die Handlungsreisenden“. „Soll lieber was lernen und nicht so dumm sein“, soll laut Alice Schmidt ihr Mann nach der Lektüre von Kreuders Zeilen gezetert haben.
Zwei Briefwechsel stechen aus unterschiedlichen Gründen hervor. Die wenigen Briefe, die Schmidt und Heinrich Böll sich um den Jahreswechsel 1956/57 geschrieben haben, gehen den Möglichkeiten einer Auswanderung nach Irland nach. Das Vorhaben war einerseits Schmidts desperater Situation – große Geldsorgen, „Pocahontas“-Verfahren – geschuldet. Mit Irland verband er die Hoffnung, ein finanziell unaufwendiges und seinen Vorlieben besser entsprechendes Leben führen zu können. Tatsächlich stellte sich die Frage des Exils in der Mitte der fünfziger Jahre auch vor dem Hintergrund eines drohenden Atomkrieges, dem Schmidt nur in entweder Irland oder Indien zu entkommen meinte.
Zwar gediehen die Pläne recht weit – sogar die Überführung der Schmidtschen Katze wurde mit dem Sekretär der irischen Gesandtschaft in Bonn erörtert –, realisierten sich am Ende aber doch nicht. Gegenüber Böll erwähnt Schmidt einen für eine längere Einreise erforderlichen Nachweis über zukünftige Einkünfte, den er nicht erbringen könne. Der Herausgeber verweist darüber hinaus auf die Zweifel des Schriftstellers darüber, ob die Bedingungen seiner Literatur in Irland noch gegeben seien sowie auf seinen Atheismus, der mit dem katholischen Land schlecht vereinbar schien.
Die Korrespondenz zwischen Schmidt und Peter Rühmkorf zeugt hingegen von einer Kampfgemeinschaft. Rühmkorf, Mitbegründer des Studentenkuriers, erkannte klar die herausragende Position Schmidts in der deutschen Nachkriegsliteratur und warb erfolgreich um das Vertrauen des Misstrauischen. Die schönste Passage des gesamten Bandes findet sich in einem Brief von Schmidt an Rühmkorf vom 1.9.1960. Letzterer war über die schlechten Feuilleton-Kritiken seines ersten Gedichtbandes „Irdisches Vergnügen in g“ verbittert.
Schmidt antwortet: „Nehmen Sie sich ja nicht die Scheiß=Kritiken so zu Herzen!: Ihr Buch ist ausgezeichnet! Ich hatte bei der Lektüre das erste Mal seit Bestehen der Bundesrepublik das ganz=prachtvolle Gefühl des einzelnen Mannes, der, den Rücken nur vom Baum der deutschen Literatur gedeckt, pausenlos ganze Scharen von bekutteten und uniformierten Lemuren die Nase einzuschlagen hat – und auf einmal kommt einer von hinten geschritten, stellt sich daneben, den ‚Morgenstern’ in der Hand, drischt aufs herrlichst=entlastende mit zu, und pfeift noch dabei! Wunderbar!“ Dem kürzlich verstorbenen Peter Rühmkorf lässt sich kein besseres Angedenken wünschen.
Von Sven Schulte
Literaturangaben:
SCHMIDT, ARNO: Briefwechsel mit Kollegen. Band 5 der Bargfelder Ausgabe. Herausgegeben von Gregor Strick. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 468 S., 44,80 €.
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