Von Wilfried Mommert
Berlin ist voller Legenden und eine davon heißt „David Bowie und Berlin“. Der schillernde Rockstar („Ziggy Stardust“) wollte in den 70er Jahren seiner gefährlichen Drogen-„Sympathie für den Teufel“ in Los Angeles entkommen und entdeckte Berlin als Stadt der Legenden über die „wilden 20er Jahre“, aber auch der bizarren Gegenwart vom Leben mit der Mauer und dem hemmungslosen Treiben in den Clubs im damaligen West-Berlin, wo sich Bowie auch mit Travestiestars wie Romy Haag anfreundete. Auch die Expressionisten im Brücke-Museum ziehen Bowie, der eigentlich Maler werden wollte und in Berlin auch weiter daran arbeiten wird, immer wieder an, solange er dort lebt. So verkehrt Bowie auch in Martin Kippenbergers Kreuzberger Club „SO 36“.
Der Journalist Tobias Rüther hat mit Zeitzeugen gesprochen und in Archiven nach Spuren und Dokumenten gesucht und darüber den Band „Helden. David Bowie und Berlin“ veröffentlicht – und dabei keineswegs ein reines Heldendbild von Bowie gezeichnet. So zitiert er eine Ex-Freundin von Bowies Weggefährten mit den Worten: „Mir war er (Bowie) als Mensch unappetitlich.“
Es ist sicher eines der interessantesten Bücher aus dem Jahr 2008 zur Rockgeschichte des späten vorigen Jahrhunderts, weil es über den Fokus Berlin hinaus die Entwicklung und Tendenzen der Rockmusik in jener Zeit analysiert und noch einmal Revue passieren lässt – abgesehen davon, dass der heute 61-jährige Bowie in den ebenfalls legendären Berliner Hansa-Studios am Potsdamer Platz – damals Todesstreifen Ost und Stadtbrache West – mit „Low“ und „Heroes“ die vielleicht radikalsten Platten seiner Karriere aufgenommen hat. Der Autor meint auch, dass es seitdem niemand mehr gewagt habe, „noch einen derart pathetischen Popsong über die Mauer zu schreiben“ mit Textzeilen wie „I remember/Standing, by the wall/And the guns shot above our heads...And the shame was on the other side...We can be Heroes“. Zwei Jahre vor dem Mauerfall wird Bowie 1987 zur 750-Jahrfeier Berlins ein Konzert vor dem Reichstagsgebäude geben.
Der Verlag spricht von der „Geschichte eines Außerirdischen in nostalgischen Kulissen“. Bowie selbst formulierte es realistischer, wenn er über Berlin sprach, hauptsächlich war West-Berlin gemeint, auch wenn Bowie über den Ausländerübergang Checkpoint Charlie auch immer wieder im Ostteil der Stadt war. „Berlin ist ein guter Ort für Menschen wie mich, weil ich hier unglaublich anonym leben kann“ – was übrigens viele Künstler auch heute über die wiedervereinte 3,5-Millionen-Metropole sagen.
Vor allem aber lockte den „Zeitreisenden“ Bowie auch die Möglichkeit, wie der Autor meint, in der geteilten und vom Krieg und seiner Vergangenheit schwer gezeichneten Stadt „mit dem Blick ins Gestern im Heute spazieren zu gehen“. Und plötzlich liegt für den in Hollywood lebenden Schulabbrecher aus Bromley seine Heimat nicht mehr in dem Londoner Vorort mit seiner Glamrock-Szene, sondern in Berlin. „Es gibt in Berlin eine künstlerische Spannung, die mir nirgendwo anders jemals begegnet ist“, sagt Bowie heute. „Paris? Vergiss es. Berlin has it.“
Hier wohnte Bowie von 1976 bis 1978 in einer großen Altbauwohnung in der Schöneberger Hauptstraße 155 (unweit von Marlene Dietrichs Geburtshaus, mit der er in dem damals in Berlin und Paris gedrehten Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ auftreten wird) – im Hinterhof wird sein Freund Iggy Pop einziehen. Gleich nebenan liegt die Schwulenkneipe „Anderes Ufer“, die heute „Neues Ufer“ heißt und wo für den androgynen Bowie oft der Tag mit dem Morgenkaffee beginnt, auch wenn es dann längst nicht mehr am Morgen ist. Bowie fuhr dann oft mit dem Fahrrad die Potsdamer Straße (die frühere Reichsstraße 1 und heutige B 1) bis zum Hansa-Studio herunter.
Dort arbeitet er außer mit Kollegen wie Iggy Pop auch mit dem deutschen Tonmeister Eduard Meyer zusammen, dessen lebhafte Erinnerungen an jene Tage Rüther immer wieder einfließen lässt, womit der Alltag im Tonstudio mit einer Rockgröße wie Bowie noch einmal anschaulich wird. „Berlin hat die seltsame Fähigkeit, einen dazu zu bringen, nur die wichtigen Dinge zu schreiben“, meinte Bowie einmal. Tobias Rüther hat ein wichtiges Buch über „David Bowie in Berlin“ geschrieben, das auch trotz der Materialfülle noch recht leicht zu lesen ist.
Literaturangaben:
RÜTHER, TOBIAS: Helden. David Bowie und Berlin. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2008. 220 S., 19,90 €.
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