Nach Goethe belegte Karl May (1842-1912) bei der ZDF Sendung „Unsere Besten“ den 2. Platz – eine Studie des Allensbacher Instituts bestätigt diese Popularität und weiß, dass 94% aller Deutschen Karl May kennen. Das Klischee, dass lediglich pubertäre Jungen zu seinen Abenteuerromanen greifen, scheint widerlegt. Hinter dem Phänomen Karl May muss sich mehr verbergen als Wild-West Romane oder Winnetou und Old Shatterhand.
Freilich trugen indes die Verfilmungen mit Pierre Brice und Lex Barker ihr Übriges bei und verhalfen den Romanen zu nachhaltigem Ruhm. Jedoch wissen die Autoren und Karl May-Fachmänner Gerhard Klußmeier und Hainer Plaul weitaus mehr zu berichten. Das hier vorliegende, opulente Kompendium gleicht einem Zeitdokument. Wie der Untertitel erahnen lässt, schmücken zahlreiche Bilder und anderes Quellenmaterial das Buch. Sorgsam ausgewählt lassen sie den Leser tief in den Kosmos um die Jahrhundertwende eintauchen. Denn auch ein Kultautor wie May blieb nicht von etwaigen Strömungen verschont: er begegnete Wunderheilern, Heilsbringern und auch einem Indianer, hielt spiritistische Séancen ab und wurde höchstwahrscheinlich von den Kostümfesten der Fin-de-Siècle-Bohème zusätzlich inspiriert.
Dass Karl May in seiner Jugendzeit einige kriminelle Energie entfaltete, überrascht möglicherweise selbst alteingesessene Fans. Klußmeier und Plaul sparen jedoch kein Ereignis aus und belegen auch das Verbüßen der Haftstrafe in Waldheim. Weiterhin werden Mays Reisen quer durch Europa und selbst auf andere Kontinente beschrieben. Denn zum einen erfährt der Leser, dass der Vater des „Wild-West-Romans“ den Wilden Westen niemals sah und zum anderen, dass diese Reisen wesentliche Inspirationsquelle des Autors waren.
Die Autoren verzichten jedoch positiverweise auf eine bloße Aneinanderreihung von Fakten, sondern fügen verschiedene Lebenspassagen und Sequenzen zu einem Großen zusammen. Dabei werden immer wieder kleine Anekdoten zum Besten gegeben und mit vielen Illustrationen so mancher Wegbegleiter und Aufenthaltsort näher vorgestellt.
Das Erstaunlichste an diesem umfangreichen Band ist jedoch die Einsicht, dass Karl Mays Romane keineswegs bloße Fiktion und zu viel Fantasie repräsentieren. Es wird deutlich, dass sich hinter seinen Geschichten Authentizität verbirgt.
In „Karl May und seine Zeit – Bilder, Dokumente, Texte“ wird der Abenteuerschriftsteller auch als Kritiker und Pazifist vorgestellt, der sich gegen den Krieg aussprach und mit der Friedensnobelpreisträgerein Bertha von Suttner (1843-1914) korrespondierte. Seinen Kritikern trotzte May, wobei auch Klußmeier und Plaul bemüht sind, dem Glanze Mays keinen Abbruch zu tun. So wirft diese Retrospektive ein buntes Licht auf den Autor May und eine imposante Ära.
Von Stephanie Tölle
Literaturangaben:
KLUSSMEIER, GERHARD / PLAUL, HAINER: Karl May und seine Zeit. Bilder, Texte, Dokumente – Eine Bildbiografie. Herausgegeben von Lothar und Bernhard Schmid. Karl-May-Verlag, Bamberg 2007. 592 S,. mit über 1500 meist farbigen Abbildungen, 98 €.
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