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Ein Schattendasein

Ernest Hemingways Pariser Jahre aus der Sicht seiner ersten Frau

© Die Berliner Literaturkritik, 07.09.11

BERLIN (BLK) –  Der Aufbau Verlag hat im Juli 2011 erneut den Roman „Madame Hemingway“ von Paula McLain herausgebracht. Yasemin Dinçer hat ihn ins Deutsche übersetzt.

Klappentext: Chicago 1920: Hadley Richardson hat die Liebe und das Glück bereits aufgegeben, als sie Ernest Hemingway trifft und sofort von seinem guten Aussehen, seiner Gefühlstiefe und seiner Kunst, mit Worten zu verführen, angezogen wird. Die beiden heiraten und gehen nach Paris, wo sie Teil einer schillernden Gruppe Amerikaner werden, unter ihnen Gertrude Stein, Ezra Pound und die Fitzgeralds. Doch im Paris der goldenen 20er – fiebrig, glamourös, verwegen – lassen sich Familie und Treue kaum aufrechterhalten. Während Hadley, inzwischen Mutter, mit Eifersucht und Selbstzweifeln ringt und Ernests literarische Arbeit allmählich Früchte trägt, wird das Paar mit einer Enttäuschung konfrontiert, die das Ende all dessen bedeutet, was es gemeinsam erträumt hatte.

Paula McLain, geboren 1965, studierte an der University of Michigan Kreatives Schreiben und lebte in den Künstlerkolonie Yaddo und MacDowell. Sie veröffentlichte bislang zwei Gedichtsammlungen, ein autobiographisches Werk sowie einen Roman. Paula McLain lebt mit ihrer Familie in Cleveland.

Leseprobe:

 ©Aufbau Verlag©

Einundvierzig

Am Golfe-Juan entlang führte eine weiße Straße in die Felsen. Man konnte auf ihr zehn, zwanzig oder dreißig Kilometer mit dem Fahrrad fahren und auf die glänzenden Boote an den Kais, die Kieselstrände und manchmal auch auf eine unglaublich weich aussehende Sandbank hinunterblicken. Badende ruhten unter fröhlich rot-weiß gestreiften Sonnenschirmen und sahen dabei aus, als wären sie einem Gemälde entsprungen. Wie alles andere auch: die Fischer mit ihren dunklen Kappen, die ihre Netze auswarfen, die Steinwälle, die Antibes vor Unwettern schützten, und die roten Dächer des Dorfes, die sich in Terrassen die Hügel hinaufzogen.

  Pauline und ich fuhren oft nach dem Frühstück zusammen hinaus, während Ernest arbeitete. Es war nicht meine Idee gewesen, aber wir befanden uns nun einmal in diesem Paradies und mussten uns irgendwie beschäftigen. Da die Villa Paquita nur bis Anfang Juni gemietet war, nahmen wir uns zwei Zimmer im Hôtel de la Pinède in Juan-les-Pins. Bumby und Marie Cocotte schliefen in der Nähe in einem kleinen Bungalow unter Pinien. Die Medikamente gegen seinen Keuchhusten hatten langsam zu wirken begonnen, und es ging ihm Tag für Tag ein wenig besser. Er bekam wieder Farbe und schlief gut, und wir sorgten uns kaum noch um ihn. Die Quarantäne war aufgehoben, doch wir blieben tagsüber trotzdem unter uns, bildeten unsere eigene kleine Insel, während ein paar Kilometer weiter auf der Halbinsel die Murphys, die Fitzgeralds und die MacLeishs in der Villa America genauso weitermachten wie zuvor, um Punkt halb elf Sherry und Gebäck zu sich nahmen, um halb zwei Tavel zu Kaviar und Toast tranken und auf einem eigens dafür aufgestellten prächtigen blaugrünen Mosaiktisch am Strand Bridge spielten. Das Bild auf der Tischplatte zeigte eine Sirene mit wehendem Haar. Sie saß auf einem Felsen und blickte in die Ferne. In der Villa America liebten alle die Sirene, da sie ein Symbol für irgendetwas zu sein schien. Sie liebten sie so, wie sie ihren Sherry und ihre Toasts und jedes ihrer Rituale liebten.

  Im Hôtel de la Pinède hatten wir unsere eigenen Rituale. Wir frühstückten spät, dann ging Ernest in sein kleines Arbeitszimmer, das auf die Terrasse führte, und Pauline und ich fuhren Fahrrad oder schwammen und sonnten uns mit Bumby an unserem kleinen Strand. Nach dem Lunch hielten wir Siesta, dann badeten wir und zogen uns an, um in einem der Terrassengärten der Villa America oder im Casino in der Stadt Cocktails trinken zu gehen. Niemand zog in unserer Gegenwart auch nur eine Augenbraue hoch oder sagte irgendetwas Geschmackloses, denn das war die Vereinbarung.

  Jeder, der uns von einem beliebigen Punkt aus beobachtet hätte, würde geglaubt haben, Pauline und ich wären Freundinnen. Vielleicht hat sie es sogar selbst geglaubt. Ich war mir nie sicher. Sie gab sich zweifellos Mühe, gut gelaunt zu bleiben, dachte sich Gründe aus, ins Dorf zu gehen, um dort dann frisch gepflückte Feigen oder die besten eingelegten Sardinen aufzutreiben.

„Wartet nur, bis ihr diese Oliven probiert habt“, sagte sie dann, oder was es auch war – starker Kaffee oder Gebäck oder eine Marmelade. „Das ist himmlisch.“

  Ich muss sie in jenem Sommer ungefähr tausendmal „das ist himmlisch“ sagen gehört haben, bis ich nur noch schreien wollte. Allerdings schrie ich nicht, und das wurde zu einem der Dinge, die ich mehr und mehr bereute.

  Im Hotel hatten wir zwei Zimmer, jedes mit einem Doppelbett, einem schweren Schreibtisch und Fensterläden, die sich in Richtung Küste öffneten. Ernest und ich schliefen in einem davon, und Pauline blieb allein in dem anderen – zumindest am Anfang. Etwa zehn Tage lang entschuldigte sich Pauline, wenn wir vom Fahrradfahren oder Schwimmen zurückkamen, um sich zum Lunch umzukleiden, doch dann verschwand sie stattdessen in Ernests Arbeitszimmer. Sie durchquerte dabei das Hotel, bis sie zu einer zweiten Tür zu diesem Zimmer kam, an der kein Schild hing und die so unverdächtig wie ein Besenschrank wirkte. Wahrscheinlich hatten sie ein geheimes Klopfzeichen. Ich malte es mir aus, wie so vieles andere auch, obwohl mir bei der Vorstellung ganz schlecht wurde. Wenn sie eine Stunde darauf zum Lunch erschien, war sie stets frisch geduscht und tadellos gekleidet. Sie setzte sich lächelnd hin und begann, das Essen oder den ganzen Tag in den Himmel zu loben. Es war alles so fein abgestimmt und diskret, dass ich mich fragte, ob sie eine gewisse Freude an ihrer Rolle empfand. Es schien, als würde sich in ihrem Kopf ein Film abspielen, in dem sie die große Schauspielerin war, die niemals auch nur einen einzigen Satz verpatzte.

  Ich war nicht annähernd so gerissen. Mir fehlten immer öfter die richtigen Worte, und ich wollte auch anderen Menschen nicht mehr zuhören. Ihre Gespräche wirkten auf mich hohl und verlogen. Lieber schaute ich auf das Meer hinaus, das schwieg und einem nie das Gefühl gab, allein zu sein. Von meinem Fahrrad aus konnte ich die Boote im Wasser beobachten oder das hellgrüne Gestrüpp betrachten, das hartnäckig aus den Mauern herauswuchs. Obwohl es heftig von Wind und Wellen attackiert wurde, blieb es irgendwie fest verwurzelt und so unbeweglich wie das dunkle Moos auf den Felsen.

  Als einmal nachts stundenlang ein Sturm tobte, war Pauline am nächsten Morgen ganz versessen darauf, mich auf jedes Zeichen der Zerstörung hinzuweisen: umgedrehte Beiboote, abgerissene Äste von Pinien und das Gewirr der Sonnenschirme am Strand. Ich versuchte, ihrem Geplapper zu entkommen, indem ich immer schneller in die Pedale trat, bis ich nur noch das urren der Räder auf dem Asphalt hörte. Aber so leicht wurde ich sie nicht los.

„Ich habe versucht, Drum dazu zu überreden, im Herbst in die Staaten zu gehen. Du weißt doch, dass meine Eltern Land in Arkansas besitzen. Das Leben ist so billig dort, und ihr würdet ein Vermögen sparen.“

  Wie ich es hasste, dass sie ihm so zwanglos Spitznamen gab. Das war unsere Sprache. Unser Tanz. „Spar dir die Spucke“, sagte ich. „Er würde sich eher den Arm abhacken, als nach Hause zurückzukehren.“

  „Eigentlich fand er die Idee gut.“

  „Arkansas?“

  „Piggott. Es ist natürlich sehr ländlich, aber das magst du doch.“

  „Ich mag unser Leben hier. Was versuchst du eigentlich zu tun?“

  „Es tut mir leid. Ich denke dabei doch nur an euch. Ihr werdet in Paris bald kein Geld mehr übrig haben. Er sollte einen neuen Roman beginnen und sich über nichts anderes Sorgen machen müssen. Und du könntest dir in Piggott hübsche neue Sachen leisten. Das wird dir doch gefallen.“

  „Nein“, entgegnete ich. „Nein, das gefällt mir nicht.“

  Die restliche Fahrt über kämpfte ich gegen Ungläubigkeit und die hochsteigenden Tränen an. Ich wollte Pauline keins von beidem zeigen und fuhr also schneller und schneller, um meinen Vorsprung zu vergrößern. Manche der Kurven waren gefährlich. Wenn ich auch nur für einen Moment das Gleichgewicht verloren hätte, hätte ich den Abhang hinunter auf die gezackten Felsbrocken fallen können. Manchmal geriet ich ins Schlingern, doch ich hielt meinen Kurs und verspürte eine Art von scharfkantiger Euphorie, während ich zurückeilte, um Ernest zur Rede zu stellen. Mein Blut war durchströmt von Adrenalin, und meine Gedanken überschlugen sich. Was würde ich sagen? Was konnte er zu seiner Verteidigung hervorbringen?

  Als ich das Hotel erreichte, war ich so aufgebracht, dass ich mein Fahrrad einfach im Kies liegenließ und atemlos und mit einer feinen Schweißschicht bedeckt ins Hotel rannte. Ich hatte mir vorgenommen, in sein Arbeitszimmer zu platzen, doch natürlich war die Tür verschlossen.

  „Wer ist da?“, fragte er, als ich klopfte.

  „Deine Frau“, rief ich mit vor Zorn belegter Stimme.

  Als er die Tür öffnete, konnte ich erkennen, wie überrascht er war, mich dort zu sehen. Es war Paulines Zeit, oder zumindest fast. Wahrscheinlich hatte er schon begonnen, sie mit wachsendem Verlangen zu erwarten.

  „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich nach Arkansas ziehe“, spuckte ich aus, noch bevor er die Tür hinter mir geschlossen hatte.

  „Oh“, sagte er. „Ich wollte dir bald davon erzählen. Wenn du einmal vernünftig darüber nachdenken würdest, könntest du erkennen, dass es gar keine schlechte Idee ist.“

  „Wir würden bei ihren Eltern leben?“ Ich lachte schrill.

  „Nein, sie würde ein Haus für uns alle suchen, vielleicht in der Stadt.“

  Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. „Du willst, dass wir alle zusammenleben?“

  „Das tun wir doch jetzt auch schon, oder etwa nicht?“

  „Doch, aber es ist schrecklich. Mir wird so schlecht, wenn

  ich daran denke, dass du mit ihr schläfst.“

  „Das tut mir leid, Tatie. Aber vielleicht ist das nur, weil die Situation für uns alle neu ist und wir noch nicht wissen, wie wir damit am besten umgehen können.“

  „Glaubst du wirklich, dass man damit umgehen kann?

  „Ich weiß es nicht. Ich will dich nicht verlieren.“

  „Und wenn ich nicht mitmache?“

  „Bitte, Tatie“, sagte er mit leiser, gequälter Stimme. „Versuch es doch. Wenn es funktioniert und wir alle beginnen, uns damit wohlzufühlen, dann fahren wir im September nach Piggott. Wenn nicht, gehen wir zurück nach Paris.“

  „Allein?“

  „Ja“, antwortete er, obgleich ich eine Art Zögern vernahm. Er war sich bei der ganzen Sache nicht sicher.

  „Ich halte es für einen Fehler.“

  „Das kann sein, aber es ist zu spät, um es rückgängig zu machen. Wir müssen nun nach vorn blicken.“

  „Ja“, sagte ich traurig und ging.

 ©Aufbau Verlag©

Literaturangabe:

McLain, Paula: Madame Hemingway. Aus dem Amerikanischen von Yasemin Dinçer. Aufbau Verlag, Berlin 2011. 456 S., 19,99 €.

Weblink:

Aufbau Verlag

 


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