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Ein schonungsloser Blick

Willa Cathers Roman „Mein ärgster Feind“ vom Knaur Verlag neu aufgelegt

© Die Berliner Literaturkritik, 18.02.10

MÜNCHEN (BLK) – Die Neuauflage der Werke von der US-amerikanischen Autorin Willa Cather, von denen mehrere erfreulicher Weise inzwischen ins Deutsche übersetzt wurden,  wird mit dem Roman „Mein ärgster Feind“ fortgesetzt. Dieser meisterhafte, im Knaus-Verlag erschienene Roman zeigt einmal mehr, dass Willa Cather zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts gehört.

Klappentext: Das Schicksal Myra Driscolls und die Geschichte ihrer Liebe ist für die 15-jährige Nellie das einzig spannende Thema. Vor Jahren hat Myra auf ein sicheres Leben in der Provinz verzichtet, um ihrer großen Liebe nach New York zu folgen. Als Nellie Myra kennenlernt, trifft sie eine lebhafte, kultivierte, liebenswürdige Frau. Mit ihrem Mann Oswald lebt sie die romantische Idee der großen Liebe, von der auch Nellie träumt. Doch dann wird das junge Mädchen Zeugin einer Eifersuchtsszene, und alles Sanfte, Gute und Liebevolle scheint zu zerbrechen. Erst Jahre später, als Nellie das Paar unter schwierigen Umständen wieder trifft, begreift sie die zwei Seiten dieser Liebe. Beim Erscheinen 1926 erregte „Mein ärgster Feind“ wegen seines schonungslosen Blicks auf Liebe und Ehe großes Aufsehen. Bis heute faszinieren sprachliche Genauigkeit und hellsichtige Klarheit dieses literarischen Kleinods.

Die Pulitzer-Preis Trägerin Willa Cather (1873-1947) gilt als eine der großen amerikanischen Erzählerinnen. Bevor sie sich als erfolgreiche Schriftstellerin einen Namen machte, arbeitete sie als Lehrerin und Redakteurin. Ihre Romane spielen meist in der weiten Prärie des amerikanischen Westens und Südwestens. Mit „Antonia“ schuf sie eine der bedeutendsten Frauengestalten der modernen Literatur. (arn/len)

Leseprobe:

©Knaus Verlag©

Ich war fünfzehn, als ich Myra Henshawe zum ersten Mal begegnete, doch ihre Legende kannte ich schon seit meiner frühesten Kindheit. Von ihr und dem Tag, an dem sie durchbrannte, um zu heiraten, handelten die interessantesten, ja eigentlich die einzig interessanten Geschichten, die man sich in unserer Familie an Feiertagen und bei Festessen erzählte. Meine Mutter und meine Tanten hörten noch immer von Myra Driscoll, wie sie sie nannten, und Tante Lydia reiste von Zeit zu Zeit nach New York, um sie zu besuchen. Unter den Freundinnen ihrer Mädchenjahre war sie die Schillernde gewesen, die Schöne, und ihr Leben war so aufregend und bewegt verlaufen, wie das unsrige eintönig war.

Obwohl sie in Parthia, unserem Heimatstädtchen im Süden von Illinois aufgewachsen war, kehrte Myra Henshawe nach ihrer Flucht nie wieder dorthin zurück – bis auf ein einziges Mal. Das war in jenem Jahr, in dem ich die Highschool abschloss, und sie musste zu der Zeit eine Frau von fünfundvierzig Jahren gewesen sein. Sie kam im Frühherbst, nachdem sie sich mit einem kurzen Telegramm angekündigt hatte. Ihr Mann, der im New Yorker Büro einer der Eisenbahngesellschaften im Osten angestellt war, reiste geschäftlich in den Westen, und sie wollten zwei Tage Zwischenstation in Parthia machen. Er stieg im „Parthian“ ab, wie unser neues Hotel hieß, und Mrs. Henshawe sollte bei Tante Lydia wohnen.

Ich war der Liebling meiner Tante Lydia. Sie hatte drei erwachsene Söhne, aber keine Tochter, und sie war der Ansicht, meine Mutter wisse mich nicht richtig zu schätzen. Deshalb gewährte sie mir immer wieder ganz beiläufig kleine „Vergünstigungen“, wie sie es nannte. An dem Tag, als die Henshawes ankamen, lud Tante Lydia meine Mutter und meine Schwester zum Abendessen ein, und mir flüsterte sie zu: „Ich möchte gern, dass du schon früher kommst, vielleicht eine Stunde vor den anderen, dann kannst du Myra kennenlernen.“

An jenem Abend schlüpfte ich lautlos durch die Vordertür ins Haus meiner Tante, und während ich im Vorraum meinen Umhang ablegte, konnte ich am anderen Ende des Salons eine kleine, mollige Frau in einem schwarzen Samtkleid sehen, die auf dem Sofa saß und leise auf Vetter Berts Gitarre spielte. Sie hatte mich wohl gehört, und als sie aufblickte, sah sie im Spiegel mein Bild; sie legte die Gitarre beiseite, erhob sich und wartete darauf, dass ich näher kam. Sie stand auffällig gerade und sehr steif da, mit durchgedrücktem Rücken und erhobenem Kopf, als wollte sie mich

daran erinnern, dass es meine Pflicht war, so schnell wie möglich zu ihr hineinzugehen und mich ihr auf die denkbar höflichste Weise vorzustellen. Ich war mit keinerlei gesellschaftlichen Umgangsformen vertraut, doch durch ihre Haltung gab sie mir zu verstehen, dass sie dies erwartete.

Ich eilte durchs Zimmer, und auf meinem Gesicht lag eine solche Verwirrung, eine solche Beklommenheit, dass sie kurz und mitfühlend auflachte, als sie mir ihre reizende, rundliche kleine Hand entgegenstreckte. „Du bist bestimmt Lydias liebe Nellie, von der ich schon so viel gehört habe! Du musst jetzt etwa fünfzehn sein, wenn meine beklagenswerten Rechenkünste noch etwas taugen – stimmt das?“

 ©Knaus Verlag©

Literaturangabe:

CATHER, WILLA: Mein ärgster Feind. Aus dem Amerikanischen von Stefanie Kremer. Knaus Verlag, München 2008. 112 S., 14,95 €.

Weblink:

Knaus Verlag

 

 


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