MÜNCHEN (BLK) – Der Roman „Der Sommer, in dem wir Gatsby gelesen haben“ von Danielle Ganek ist im Juni 2011 als Taschenbuch im Goldmann Verlag erschienen. Aus dem Amerikanischen hat ihn Ulrich Blumenbach übersetzt.
Klappentext: Alles, was Cassie und Peck Moritary verbindet, ist ihre Begeisterung für den Roman „Der große Gatsby“ und ein mit Kunst vollgestopftes Sommerhaus auf Long Island. Das Haus hat ihnen ihre Tante Lydia vererbt, und es soll sogar einen Schatz beherbergen, doch worum es sich dabei handeln soll, hatte ihre Tante den beiden nicht verraten. Inmitten von exzentrischen Künstlern und hoffnungsvollen Literaten versuchen die zwei ungleichen Schwestern nun herauszufinden, was es mit diesem „Schatz“ auf sich hat. Dabei erleben sie einen nicht enden wollenden Sommer mit rauschenden Partys, unverhofften Begegnungen und dem großen Glück.
Danielle Ganek lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in New York. Sie sammelt moderne Kunst und zeitgenössische Fotografie, doch am liebsten mag sie die Bilder, die ihre Kinder von der Schule mit nach Hause bringen.
Leseprobe:
©Goldmann©
1
Sommer 2008
Meiner Erfahrung nach sind Hüte meistens ein Fehler, genau wie erste Ehemänner. Aber die Einladung war unmissverständlich. Eine GATSBY-Party. Weiß erbeten. Und darunter in flehender Schreibschrift: „Damen bitte mit Hut“.
Mir ist bis heute unklar, was Hüte mit Fitzgeralds Roman zu tun haben – im Gatsby werden nur wenige erwähnt – oder was Erwachsene jenseits der zwanzig an einer Mottoparty reizen soll. Und ich weiß auch nicht, ob dieser Teil der Geschichte – dass nämlich Miles Nobles erste Party in dem Haus, dessen Planung und Bau fünf Jahre gedauert hatten, angeblich etwas mit dem Buch zu tun hatte, das er einst meiner Schwester geschenkt hatte – tatsächlich je bestätigt wurde. Aber ich war ja auch eine Ausländerin, wie Peck mir immer wieder unter die Nase rieb, und hatte eh von nichts eine Ahnung.
Wie so viele ihrer Bemerkungen trifft auch diese nicht ganz zu. Peck – kurz für Pecksland, was einem schon einiges über ihre Mutter verrät – ist meine Halbschwester. Wir hatten denselben Vater, aber er starb, als ich drei war und sie sieben; er hatte Pecks Mutter wegen meiner verlassen. Ich bin also genauso Amerikanerin wie meine Schwester und habe den gleichen marineblauen Pass. Bloß habe ich nie in den Staaten gelebt, und ihrer Meinung nach kenne ich absolut niemanden, nicht mal die Sorte Mensch, die jeder unbedingt kennen muss: amerikanische Promis, Modedesigner, Mitglieder der New Yorker Schickeria, Menschen, die in einem ominösen Restaurant namens Waverly Inn immer einen Tisch bekommen und so weiter.
Ich besaß auch keine Hüte, wie Daisy Buchanan sie zumindest in meiner Vorstellung getragen hatte, aber in der Beziehung war Peck wie so oft unerbittlich. Sie bestand nicht nur darauf (soll heißen: bettelte, flehte und drohte, mich aus dem Haus zu werfen), dass ich sie zu Miles Nobles Party begleitete, sondern wollte auch, dass ich mich an die seltsam präzisen Garderobevorschriften hielt. Sie war oft unerbittlich, meist wegen irgendwelcher Kleinigkeiten, aber besonders unerbittlich war sie, was Hüte anging. Da gab es für sie keine Diskussion. Sie hatte Miles seit sieben Jahren nicht gesehen, und für das Wiedersehen brauchte sie Beistand: mich.
Unterstützen Sie unsere Redaktion, indem Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen kaufen! Vielen Dank!
Ich war erst seit drei Tagen in Southampton und nicht in Partylaune. Auch nicht, wenn der Gastgeber, wie Peck immer wieder dramatisch betonte, der erste und einzige Mann war, den sie je wirklich geliebt hatte. Das war am vierten Juli, einem Feiertag, den ich immer geheiligt hatte, aber damals im Sommer war ich noch kratzbürstig und zynisch, eine achtundzwanzigjährige, frisch geschiedene Möchtegern-Schriftstellerin, deren künstlerische Ambitionen gerade mal für einen wenig zukunftsträchtigen Job als Übersetzerin bei einer Schweizer Lifestyle-Zeitschrift für Touristen gereicht hatten. Und meine einzige engere Verwandte – abgesehen von meiner Halbschwester, die ich kaum kannte – war erst wenige Monate zuvor verstorben. Tante Lydias Tod hatte mich weit trauriger gemacht, als ich gedacht hätte, zumal ich sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich war in katastrophaler Verfassung und konnte mich einfach nicht daran gewöhnen, dass sie nicht mehr da war. Und deswegen lehnte ich Pecks Bitte erst einmal höflich ab.
Die höfliche Ablehnung einer Einladung vertrug sich allerdings nicht mit meiner glamourösen, vergnügungssüchtigen Halbschwester, und da der geplante Monat schwesterlicher Vertrautheit in dem Haus, das wir gemeinsam von Tante Lydia geerbt hatten, eben erst begonnen hatte, ließ ich mich widerwillig zum Mitkommen überreden. Um mich nicht unnötig mit Peck anzulegen, zog ich das einzige Kleid aus meinem Koffer voller Jeans und T-Shirts und wählte einen Hut aus dem seltsamen Sortiment, das Tante Lydia zurückgelassen hatte. Dabei entschied ich mich dummerweise für einen schlaffen, gebrochen weißen Bowler, der am Kopf juckte und mir immerzu ins Gesicht rutschte, während Peck den uralten Kombi unserer Tante ungeschickt die Auffahrt hinablenkte.
„Wir stecken in einer Krise“, verkündete sie, als sie auf die von Sonnenflecken getüpfelte Straße einbog und den Schotter stieben ließ, als säße sie am Lenkrad eines Fluchtwagens. Das ist einer ihrer Standardausdrücke. Peck verkündet gern irgendetwas, für sie ist das Leben eine einzige Abfolge von Krisen. Eine Krise konnte alles Mögliche sein: der geheimnisvolle Safe in Tante Lydias Kabinett, den wir nicht hatten knacken können, aber auch der Typ im nassen, hautengen weißen Slip, den wir am Morgen gemütlich vom Strand nach Hause hatten radeln sehen. Oder die Krise war ich.
Im betrübten Ton eines Duodezfürsten erläuterte Peck: „Die Krise ist, dass du und ich niemals einer Meinung sind.“
Das stimmte. Ich versuchte es ja, ehrlich. Aber schon die Aussage, Peck und ich würden einfach nicht miteinander harmonieren, wäre eine grobe Vereinfachung. Unsere ersten drei Tage waren, sagen wir mal, angespannt gewesen. Das bringen Erbschaften vermutlich so mit sich. Die näheren Umstände waren dabei gar nicht so ungewöhnlich: Eine geliebte alte Tante vermachte ihren Zweitwohnsitz zwei Nichten, die sich zusammenraufen mussten, um den Verkauf abzuwickeln. Nur dass die beiden Nichten eine komplizierte Beziehung hatten: Sie waren Halbschwestern, die, durch einen Ozean getrennt, von zwei Frauen aufgezogen worden waren, welche verschiedener nicht hätten sein können und doch denselben Mann geliebt hatten. Und es ging um ein Haus in den Hamptons. Southampton, genauer gesagt. (Anscheinend gibt es da Nuancen, von denen ich als „Ausländerin“ keinen blassen Schimmer habe.) Außerdem reitet Peck ständig darauf herum, dass hier keiner von „den Hamptons“ spricht.
Gewisse New Yorker, erfuhr ich, und zu ihrem eigenen Entzücken zählte sich die stilbesessene Peck dazu, ziehen am Wochenende und im Sommer aufs Land. Für sie ist alles „auf dem Land“, was nicht in Manhattan ist, denn dort ist man „in der City“. In der City wohnt man in der Woche. Am Wochenende fährt man aufs Land. Für diese Städter liegen schon Vororte wie Larchmont und Scarsdale auf dem Land, erst recht also Southampton, East Hampton und Westhampton. Das waren die kleinen Unterschiede, die ich zum Entsetzen meiner Schwester nicht kannte.
„In der Tat“, das war auch so ein Lieblingsausdruck von Peck. Eine ansteckende Macke. Peck gab Gas, ging gleich wieder in die Eisen und verfluchte den Fahrer vor uns. „Ich verstehe in der Tat nicht, wie wir verwandt sein können. Du kannst einfach keine Prioritäten setzen.“
Das war ein Thema, auf das sie immer wieder zurückkam. Peck war der festen Überzeugung, wir sollten uns über Lydias Wünsche hinwegsetzen – „schließlich kriegt sie es ja nicht mehr mit“ – und das geerbte Haus behalten. Aus dem Hausverkauf Geld herauszuschlagen war für sie, als schaute man einem geschenkten Gaul ins Maul, und das gehörte sich einfach nicht. Ich neigte weit weniger zu festen Überzeugungen, aber in dieser Hinsicht war Lydias Testament unmissverständlich gewesen. Und ich hatte absolut keine Lust, etwas zu behalten, was mich immer nur daran erinnern würde, dass sie alle fort waren: mein Vater, meine Mutter und meine Tante, diese ganze Generation der Moriartys. Nur Pecks Mutter lebte noch, sie wohnte in Palm Springs, „und da gehört sie auch hin“, sagte Peck, die ihre Mutter vergötterte.
Ihrer Meinung nach gab es für mich überhaupt nur eine Lösung: Ich hatte nach New York zu ziehen, denn da lebte schließlich jeder, und das Haus in Southampton behielten wir für gemeinsame Wochenenden und Sommer. Oder ich kehrte in die Schweiz zurück, wo der Hampton Jitney – ein beziehungsreicher Name für einen großen grünen Bus, der die Leute aus Manhattan in die Dörfer der Hamptons und zurück brachte – ihres unmaßgeblichen Wissens nach keine Haltestelle hatte, und überließ das Haus in Southampton einfach ihr. Sie sah nicht ein, warum sie gezwungen sein sollte, es zu verkaufen, bloß weil ich mich so anstellte.
©Goldmann©
Literaturangabe:
GANEK, DANIELLE: Der Sommer, in dem wir Gatsby gelesen haben. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Goldmann Taschenbuch. Goldmann Verlag, München 2011. 352 S., 8,99 €.
Weblink: